Oder: Wie aus 300 EUR Brutto 1885 EUR Netto werden
Wir sind in einer Krise und müssen sparen. Natürlich nicht bei denen, die eine Lobby haben – die könnten sich ja wehren – sondern bei denen ohne Lobby. Und Familienministierin Schröder geht schonmal voran.

Von ihrem (nicht gefakten) Twitter-Account aus verkündete sie am 6. Juni:
Aber: Eine Familie in Hartz IV, 2 Kinder, erhält inkl. Elterngeld 1885 € vom Staat. Netto! Ist das gerecht gegenüber denen, die arbeiten?
Ich hab das mit Hilfe einiger Menschen kurz analysiert.

  • 7 von 8 Personen lasen zunächst „1885 € Elterngeld“
  • 5 von 8 Personen hielten die Kosten für den Staat für noch höher als die genannte Summe, weil diese ja Netto ist
  • 4 von 8 Personen hielten die Summe für „wirklich hoch“

Um Zahlen beurteilen zu können muss man sie verstehen.
Zunächst Hartz IV bzw. das Arbeitslosengeld II. Dieses wird im Prinzip so berechnet, wie die alte Sozialhilfe, nur mit mehr und deutlicheren Eingriffen in die Selbstbestimmung der Zahlungsempfänger.
Der Zahlung liegen also Regelsätze zu Grunde, die das finanziell abdecken sollen, was der Zahlungsempfänger als minimalen Lebensunterhalt benötigt.
Laut sozialhilfe24.de berechnet sich der Hartz VI-Betrag auf Grund der Regelsätze in NRW für eine Familie mit 2 Kindern wie folgt:

Antragsteller (Nordrhein-Westfalen): 323.10 €
Ehepartner/in, Partner/in, Lebenspartner/in: 323.10 €
Kinder 5 Jahre und jünger: 430.80 €
Summe der Leistungen: 1077.00 €

Nun das Elterngeld, das auch eine Transferleistung ist. Transferleistungen sind staatliche Zahlungen, um Personen, die ein sehr geringes Einkommen haben, dennoch einen angemessenen Lebensunterhalt für ein menschenwürdiges Leben zu garantieren.
Das Elterngeld wird für maximal 14 Monate pro Kind gezahlt.
Elterngeld soll zunächst dafür sorgen, dass bei berufstätigen Eltern auch der Mann eine Weile aus dem Beruf aussteigt, um sich um das Kind zu kümmern, während die Mutter wieder arbeitet und eine Chance bekommt, auch ihre Karriere weiterzuführen. Wenn nur ein Elternteil die Arbeit unterbricht, um sich um das Kind zu kümmern, besteht folgerichtig auch nur ein 12monatiger Anspruch auf Elterngeld.
Etwas anders ist das bei Hartz IV-Empfängern. Da alle Kinder unter 5 Jahren bei Hartz IV denselben monatlichen Regelsatz erhalten, ist das Elterngeld auch für Hartz IV-Empfänger wichtig, da Kinder wenigstens im ersten Jahr durch ihre kräftiges Wachstum, Windelverbrauch etc. doch deutlich mehr Kosten verursachen.
Während das Elterngeld bei berufstätigen Eltern 67% des monatlichen Nettogehaltes, maximal 1.800 €, beträgt, erhalten einkommenslose Eltern ein zwölfmonatiges Mindestelterngeld von lediglich 300 €.
Wie fließt das Elterngeld in die Berechnung von Frau Köhler, in die 1.885 €, ein?
Wenn die Eltern für ein Kind Elterngeld beziehen, kriegen sie 300 €, wenn sie die sportliche Leistung vollbracht haben, innerhalb von 12 Monaten zwei Kinder in die Welt zu setzen, sind es für einen kurze Zeitraum von rechnerisch maximal 3 Monaten 600 €.
Da zusätzlich zum Regelsatz bei Hartz IV auch die Warmmiete der Wohnung gezahlt wird, solange diese angemessen ist, gehe ich von 300 € Elterngeld aus. Bei 1.077 EUR Regelsätzen + 300 EUR Elterngeld bleiben dann noch rund 500 EUR für die Warmmiete. Bei einer vierköpfigen Familie wird niemand eine Drei- oder Vierzimmerwohnung mit 70m² beanstanden wollen, in Krefeld liegt der Mietspiegel bei dieser Wohnungsgröße derzeit bei 5,53€/m², also rund 390 € Kaltmiete im Monat, was die rund 500 EUR Warmmiete aus Frau Schröders Summe plausibel erscheinen lässt.
Das offenbart, wie perfide Kristina Schröder hier rethorische Mittel einsetzt, um einen falschen Eindruck zu erwecken.

  • Die Familie bekommt 300 € Elterngeld, sie spricht aber von 1.885 €, die die Familie insgesamt bekommt, spezifiziert insbesondere die sehr unterschiedliche Mietbelastung gar nicht
  • Die Sozialleistungen sind natürlich frei von Steuern und Abgaben, dennoch betohnt Frau Köhler das Wort „Netto“, was die Gesamtkosten, also das (nicht existente!) Brutto noch höher erscheinen lässt
  • Den Kontext lässt sie völlig außen vor – nämlich, dass es sich für eine zeitlich begrenzte Zahlung von maximal 12 Monaten handelt, die zudem in einen Zeitraum fällt, wo das Kind besonders hohe, vom Regelsatz nicht erfasste Kosten, verursacht.

Das, liebe Frau Ministerin, ist perfide Propaganda auf BILD-Zeitungsniveau.
Auf Twitter musste sie für ihren Tweet schon einiges an Häme einstecken:

Ich trete hiermit zurück! Meinem Amt wird nicht der nötige Respekt entgegen gebracht!
Aber auch der Wunsch von Johnny Haeusler auf Spreeblick, noch die hervorragend aufbereitete Kritik im Web wird diese Frau nicht stoppen können.
Update: Sehr schöner Bericht von Jörg Marx über ein Mem, das die Ministerin versehentlich erschaffen hat. Und Fefe hat daraus einen Picure-Mashup-Wettbewerb gemacht.

Kategorien: Allgemein

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13 Jahre zuvor

Guido Westerwelle ist gegen „Freibier für alle“…

Nachdem sich am Wochenende die Bundesregierung in einer Sonderklausur auf den sozialen Kahlschlag als Lösung der Finanzprobleme geeinigt hat, gab es am Sonntag eine Pressekonferenz zum Thema, deren Wortlaut hier auf der Website der Bundesregierung nach…

13 Jahre zuvor

Danke für diese ausführliche Berechnung / Erläuterung. Habe mich auch gefragt, wie die Dame auf diese Summe kommt.

Aber an dieser Stelle wird es doch ein wenig unsachlich:
„Da alle Kinder unter 5 Jahren bei Hartz IV denselben monatlichen Regelsatz erhalten, ist das Elterngeld auch für Hartz IV-Empfänger wichtig, da Kinder wenigstens im ersten Jahr durch ihre kräftiges Wachstum, Windelverbrauch etc. doch deutlich mehr Kosten verursachen.“

Die beschriebene Tatsache ist unbestritten, aber warum genau soll dieser Bedarf dann aus dem „Elterngeld“ gedeckt werden?

Das Elterngeld gibt es wie gesagt für diejenigen, die gerade ihrem Job nicht nachgehen können. ALG II gibt es ebenfalls dafür, dass man gerade seinem Job nicht nachgehen kann.

Ich finde es schwierig, hier also öffentliche Gelder doppelt zu vergeben, allein rechtlich ist das arbeitenden Menschen schwer zu vermitteln.

Sollte es denn wirklich so sein, dass Kinder in den ersten Monaten so viel kostenintensiver sind als später, so müsste ggf. das Kindergeld für diesen Zeitraum an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden.

Ob es so ist, kann ich mangels eigener Kinder nicht beurteilen, habe jedoch aus dem Freundeskreis den Eindruck, dass Kinder im Wachstum eigentlich immer ein – natürlich heiß geliebter! – „Kostenfaktor“ sind. Hat meine Mami auch immer gesagt: „Hier sitzen unsere Millionen“ :-))))

13 Jahre zuvor

@Daniela: Du hast geschrieben:

„Sollte es denn wirklich so sein, dass Kinder in den ersten Monaten so viel kostenintensiver sind als später, so müsste ggf. das Kindergeld für diesen Zeitraum an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden.“

Das würde nichts nützen, weil Kindergeld beim Alg II angerechnet wird. Faktisch bekommen Hartz-IV-Bezieher kein Kindergeld.

Malte
13 Jahre zuvor

Tina, das ist doch nur eine bürokratische Ablenkung. Die Frage von Daniela hat doch weiter Bestand: Wenn der Bedarf von Säuglingen höher ist als 215,-€ (plus einiger Einmalanschaffungen usw), dann muss der H4-Satz düe Kinder bis 12, 14 oder welches Alter auch immer angepasst werden, in Einklang übrigens mit der Forderung des BGH.
Warum dafür eine Lohnersatzleistung herangezogen werden muss kann ich nicht nachvollziehen. Aber wenn mit der Staat von Gehaltsteilen 42% abzieht möchte ich gerne eine vernünftige Berechnung sehen und einen Nachweis des Mehrbedarfs.

Malte
13 Jahre zuvor

Das die Regelsätze nicht unbedingt nachvollziehbar zusammenkommen, ist ja unbestritten. Aber zeige doch mal eine Berechnung, die angemessen ist. Je nachdem, wen ich auf dem Spielplatz frage, werden mir Zahlen zwischen 100 und 250,- € im Monat an Säuglingskosten gesagt, so ganz absurd scheinen mir die 215,-€ nicht zu sein.