Auf der re-publica wurde die Netzgemeinde abgewatscht. Gestern von Sascha Lobo und heute von Yasmina Banaszczuk. Und ihr wurde attestiert, nichts zu tun. Also denen. Beziehungsweise uns. Also Euch allen.

Genau genommen haben die beiden Recht. Wir haben zwar durch den rudimentäre Lobbyarbeit hinter den Kulissen ACTA und andere freiheitsschädliche Planungen stoppen können, hatten aber mit Avaaz.org und Campact auch Trittbrettfahrer dabei, die gefühlt zwei Stationen vor dem Ziel aufgesprungen sind und eine Menge „Clicktivism“ verursacht und Spenden kassiert haben. Clicktivism kills Activism.
Sind Avaaz und Campact Teile der Netzgemeinde?
Wer ist das eigentlich, die „Netzgemeinde“?
Die Piraten?
Das Netz gab es schon lange vor den Piraten, und ich habe auf Comlink (/CL) schon beim Virtuellen Ortsverein der SPD mitgelesen, bevor viele der heutigen Piraten aus der Schule aus waren. Und der Virtuelle Ortsverein ist deutlich jünger als er FoeBuD, den padeluun und Rena Tangens schon in den 1980ern gründete und den ich belächelt habe, weil er von anfang an die bewegliche Datenübertagung thematisiert hatte – tatsächlich sitze ich gerade auf dem „Affenfelsen“ der re-publica 14 und schreibe diesen Blogbost auf einem Nexus 7 Table mit Bluetooth-Tastatur.

Wer ist also diese „Netzgemeinde“

Versuch einer Definition

Ich lebe in einem Dorf. Das Dorf, Vorst, ist recht groß, hatte nach dem 2. Weltkrieg eine Menge Neubürger, die damals Siedler hießen, heute Zugeschneite. In den 1970ern wurde es im Rahmen der Gebietsstrukturreformen mit der Nachbarstadt und einigen kleineren Dörfern zur Gemeinde Tönisvorst zusammen geschlossen.
Die Gemeinde wurde nach dem 2. Weltkrieg heterogen: Es gab viele neue Einwohner, die neue Bedürfnisse hatten.
Nach dem Zusammenschluss mit der Nachbarstadt wurde es schwierig. Die gebürtigen Einwohner waren immer in Richtung Kempen orientiert. Man ging in Kempen einkaufen, dort war das Schwimmbad, das man besuchte und da waren die Realschule und das Gymnasium. Der neue Hauptort hat zwar auch ein Schwimmbad und Schulen – aber tatsächlich wurde der Verein, der den Bürgerbus zwischen den Ortsteilen organisiert, erst gegründet, als ich 1997 schon dort hin gezogen war. Vorst war bis dahin per Bus besser an Kempen und Viersen angebunden, als an den eigenen Hauptort!

So ähnlich ist das mit der Netzgemeinde.

Da sind die Eingeborenen (zu denen ich mich auch zähle), die beobachtet haben, wie immer mehr Bürgerinnen und Bürger dazu kamen. Bürgerinnen und Bürger, die im Netz kein Kommunikationsmedium sehen, das ihnen Freiheiten zur öffentlichen Kommunikation und Meinungsäußerung gibt, sondern für die rein rezeptiv „ins Internet“ gehen, die dort Zeitung lesen, dank WhatsApp SMS-Gebühren sparen und bei Amazon bestellen.
Während das Netz an sich für die Ureinwohner identitätsstiftend ist, ist es für die Neubürger halt nichts anderes als eine universellere Telefonleitung, über die man viele Dienste in Anspruch nehmen kann, ohne an Bits, Bytes und Ähnliches zu denken.

Genauso, wie zu meinem Wohnort ein umfangreiches Schützenfest gehört und Straßengemeinschaften, die nicht nur Straßenfeste organisiert haben und eine Osterparty am Reiterhof und mehr Folklore, gibt es auch im Internet Folkloren, die Neubürgern genauso wenig verständlich sein müssen wie ich in einen Schützenverein eintreten möchte.
          
Was wir aber alle brauchen ist eine Infrastruktur. Egal, ob wir Schützen sind oder Karnevalisten oder einfach nur in Ruhe dort leben wollen: Wir brauchen Straßen, Buslinien, Einkaufsmöglichkeiten, Spielplätze und Schulen für die Kinder.  Um das durchzusetzen benötigen wir Ratsmitglieder, die, wenn sie nicht selber aus dem Dorf  stammen, doch die Bedürfnisse des Dorfs sehen.

Genauso, wie wir keine Vorst-Partei gründen werden, weil die selbst auf kommunaler Ebene zu monothematisch wäre, wird es keine Netzpartei geben. Es gibt ja bereits netzpolitische Intiativen der Pateien: netzppolitik.org, D64, cnetz als Beispiele.
Genauso, wie die Politiker der verschiedenen Parteien in Vorst alle ähnliche Ziele mit einer großen Übereinstimmung haben, sieht das auch bei den Netzpolitikern der Parteien aus.
Natürlich ist ein CDU-Politiker eher von der Vorratsdatenspeicherung überzeugbar, als einer der GRÜNEN, aber Infrastrukturpolitisch sind immense Übereinstimmungen vorhanden.

Das hat Potenzial.
Organisiert Euch.
Ihr seid in einer Partei oder steht einer nah? Tretet der netzpolitischen Organisation der Partei bei oder spendet ihr wenigstens.

Politischer Aktivismus ist ein Vollzeitjob. Lobbyisten der Industrie sind nicht in ihrer Freizeit in den Parlamenten tätig, sie werden von ihren Auftraggebern entlohnt.

Wir, die Netzgemeinde, müssen unsere bezahlten hauptberuflichen Lobbyisten in die Parlamente bringen.
Und noch mehr: Wer sich mal in den Ausschüssen von Bundes- und Landesparlament umschaut, die sich mit der Jagd befassen, wird feststellen, dass dort fast ausschließlich Jäger sitzen.

Das können wir auch!

Dank VoiP-Telefonie, dank Video-on-Demand über Internetleitungen, dank Amazon und Facebook und Smartphones sind all die Menschen, die in den Parlamenten sitzen, doch auch Bürger der Netzgemeinde. Nicht unbedingt Eingeborene, sie wohnen eher in den Neubaugebieten und halten unsere Kirche für schick, sind aber längst ausgetreten und lächeln jedes Jahr über den Schützenverein. Aber auch sie sind täglich mehr von der freien, unzensierten, ungefilterten, unrationierten Verfügbarkeit des Netzes abhängig.

Helft den netzpolitischen Initiativen der Parteien, dieses Bewusstsein in die Parlamente zu bringen!

 

Kategorien: Allgemein

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[…] Volker König: Hilfe, die Netzgemeinde kommt #rp14 […]

[…] hatte ja neulich schon u.a. Sascha Lobos Rant auf uns “Netzbürger” reflektiert. Eine spontan ins Unreine gekritzelte Idee zur Einflußnahme auf die Politik will […]

[…] ist so ein schwammiger Begriff. Ziemlich doof. Ich hab da schon zu geschrieben, und Jürgen Geuter a.k.a. tante hat das mal fundiert in eine Art Aufruf […]