Es geht um Fotos von toten Kindern. Kindern, die auf der Flucht gestorben sind. Vorweg: Ich werde keines davon posten. Aber das Thema ist kontrovers.

„Ich entfreunde jeden, der mir tote Menschen auf die Pinnwand postet.“

„Man sollte still sein wenn Kinder schlafen und nicht wenn sie sterben.“

„Sie haben das Recht das man sie nicht einfach so vergisst. Wenn tausende Juden tot und abgemagert gezeigt werden, sagt auch keiner ich will diese Bilder aus den KZ nicht sehen. Und es ist auch richtig das sie gezeigt werden, genauso wie mit den syrischen Flüchtlingen!“

Meinungen alleine von Facebook. Alle berechtigt, finde ich. Jede aus ihrer Perspektive.

Fotos von toten Kindern, insbesondere von Aylan, sind eine Kontroverse. Ich sehe da schwierige Abwägungen, und BildBLOG hat die Abwägungen der Presse dokumentiert.

Und ist bei aller Medienkompetenz selber ratlos.

Die Aussagen oben sind alle berechtigt, aus der Perspektive der Person.

Die erste stammt von einer Grafikerin, die niemand davon überzeugen muss, dass Flüchtlingen geholfen werden muss und die derzeitige Situation unerträglich ist.

Die zweite stammt von einer Frau mit Wurzeln in der Türkei, die schockiert ist und ein stilisiertes Bild von Aylan gepostet hat.

Die dritte stammt von einer Kurdin, die aus einem Ort in der Südtürkei stammt, mehrmals in Kobanê war, um dort vor Ort zu helfen und einen eigenen Verein gegründet hat, um noch effizienter agieren zu können.

Als ich in der Tierrechtsbewegung sehr aktiv war, versuchten wir auch, durch schockierende Bilder zu bewegen. Bei Infoständen sah ich dann allerdings, dass diejenigen, die von den Bildern aus Legebatterien oder Nerzfarmen oder gar Schlachthöfen angelockt wurden, nur gaffende Idioten waren oder Menschen, die wir gar nicht mehr überzeugen mussten.

Die, die wir erreichen wollten wendeten sich ab. Menschen mit Empathie, die Mitgefühl entwickeln können, wurden vertrieben.

Bislang nahm ich an, dass es bei Bildern von Kriegs- und Terroropfern ähnlich sei. Das Bild von Aylan ist da aber anscheiend anders. Es scheint aufzurütteln.

Mir tut es weh und ich will es gar nicht sehen. Das Wissen, dass seit Monaten Kinder auf der Flucht sterben, weil die europäische Flüchtlingspolitik Schleppern ein lukratives Geschäft beschert, habe ich bereits. Und finde es unerträglich.

Unerträglich, dass zuletzt Eva Herman (auf die verlinke ich aus Prinzip nicht) die Themen „Flüchtlinge und Smartphones“ und „warum kommen eigentlich fast nur Männer bei uns an“ in so mancher Filterbubble um zwei Monate zurückgeworfen hat.

Wovor ich bei Bildern wie dem von Aylan Angst habe: Dass sie missbraucht werden. Es wurde schon in den Medien argumentiert, dass die Schlepper die Schuld an seine Tod trügen. Sie hätten die Familie auf ein unsicheres Boot verfrachtet.

Ja, aber nur, weil von der Türkei die Weiterreise zur Tante in Kanada nicht akzeptiert wurde.

Tatsächlich hat es schon viel ekelhafteren Missbrauch dieses und vergleichbarer Bildes gegeben.

Ich habe Angst vor den ersten Postings, wo behauptet wird, sein Vater säße vermutlich in Köln oder Hamburg in einer Flüchtlingsunterkunft „in Vollausstattung“ und hätte seine Familie kriminellen Schleppern überlassen.

Ich bin mir sehr sicher, dass das noch kommen wird. Vielleicht nicht mit dem Bild von Aylan, aber es passt zu den Argumenten der Rassisten.

Übrigens werden Menschen gesucht, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen. Es ist wie bei einem Pflegekind: Das Jugendamt übernimmt die Vormundschaft und bringt es bei geeigneten Pflegeeltern unter.

Updates:

Der STERN berichtet über Aylans Vater, der den Untergang des Boots als einziger der Familie überlebte. Wie in den Kommentaren unten schon von Lutz Prauser erwähnt, wird das von unverbesserlichen Rechten bereits als Kritik Hetze missbraucht.

Ich möchte seine Aussage so verstehen, dass er die Verbreitung des Fotos genau nicht kritisiert:

„Das, was uns hier in diesem Land passiert ist, in dem Land, in dem wir Zuflucht suchten, um dem Krieg in unserer Heimat zu entgehen, das soll die ganze Welt sehen.“

Meike Lobo hat zudem erklärt, warum das Foto und seine Veröffentlichung wichtig ist:

„Wenn Du so ein Foto brauchst, um Mitgefühl zu entwickeln, dann stimmt etwas nicht mit Dir“

So oder ähnlich lauteten die zahllosen Sprüche in meiner Twittertimeline, dutzendfach getwittert, dutzendfach retweetet. Ich finde diesen Satz richtig, wer Tote braucht, um sein Mitgefühl anzuwerfen, ist emotional irgendwie problematisch unterwegs. Doch es sind eben genau solche Menschen, die den Flüchtlingen zusätzlich zum Trauma der Flucht das Leben schwermachen.

 


0 0 votes
Article Rating
2 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
8 Jahre zuvor

Vielen Dank für das Setzen des Links zu meinem Beitrag auf Czyslansky. Ich hoffe nicht, dass die Klicks, die es generiert, von Leuten stammen, die ein voyeuristisches Bedürfnis nach ekelhaftem Missbrauch des Fotos angetrieben hat, auf unsere Seite zu kommen.

Deine Angst wird, wenn man die Kommentare zu dem Interview des Vaters liest,mittlerweile um ein Vielfaches übertroffen.
Besorgte Bürger werfen dem Vater vor, warum er lebt, seine Kinder und seine Frau aber dem Tod preis gegeben hat:

– Warum er seine Familie auf das Boot gebracht hat.
– Warum er keine Schwimmwesten organisiert hat.
– Warum er die Stunden, die er sich im Meer an ein gekentertes Boot geklammert hat, nicht auch noch seine Frau und seine beiden Kinder hat festhalten können…

Das alles kommt vermutlich von Leuten, die mit ihrem fetten, besorgten Hintern daheim auf der Couch im Warmen und Trocknem sitzen und einfach mal überhaupt keine Ahnung haben, was es bedeutet, schiffbrüchig zu sein, im Meer an einem Boot geklammert zu sein und seine Familie nicht retten zu können… weil es eben einfach nicht geht.
Dieser Mann geht durch den tiefsten Schmerz, den ein Mensch erfahren kann und muss sich dann mit solch unfassbar dummen und unreflektierten Vorwürfen konfrontieren lassen…