Dass es unserem Rechtsstaat nicht so wirklich gut geht hatte ich ja schonmal geschrieben. Nun hat eine Juristin aus Köln ein paar Thesen an die Gerichtstür genagelt in einem Buch veröffentlicht, die das Thema aufgreifen.

Es handelt sich um die streitbare Anja Neubauer aus Köln, die Missstände in der Justiz schon länger beklagt und nun durch ein persönliches Erlebnis erkannt hat: So geht es nicht weiter.

In ihrem Buch Albtraum Justiz legt sie dar, dass unser Rechtsstaat kurz vor dem Kollaps ist.

Vom Ungleichgewicht bei Streitwerten und Strafmaßen über die personelle Unterbesetzung oder das Personalkarussel bei Richtern, dass dazu führt, dass „viele Richter einfach keine Ahnung haben können“, weil erfahrene Strafrechtler in Kammern für Familienrecht sitzen (und umgekehrt), kommt sie auf überlange Verfahren, auf Vermutungsstrafrecht, bis hin zum rechtsfreien Raum für Konzerne. Insgesamt beleuchtet sie 13 grundlegende Fehler unseres Rechtssystems.

Fehler, die sich durch Lobbyismus, Kostenrechnung, Personaleinsparung und reformunwillige Politik eingeschlichen haben.

Ich hatte die Möglichkeit, das Buch vorab zu lesen, und bin bestürzt. Ja, ich beobachte das Rechtssystem seit meinem eigenen Studium. Insbesondere die bloggenden Juristen wie Udo Vetter, Carsten R. Hoenig und Thomas Stadler haben da sehr viele Missstände dokumentiert.

Aber Anjas Buch ist bedrückend, gerade, weil sie viele persönliche Erlebnisse schildert. Erlebnisse, die es ihr am Ende leichter machten, die Anwaltszulassung abzugeben. Diese geradezu wutschnaubenden Passagen schildern aber etwas, das man, wenn man mal einen kurzen Blick hinter die Kulissen wirft, als Alltag im Justizsystem erkennt.

Überlastung der Staatsanwaltschaften und der Polizei, die nach betriebswirtschaftlichen Erwägungen geführt werden. Und der Gerichte, bei denen das selbe passiert und Juristen fixe „Fallzahlen“ wie an einem Fließband abarbeiten müssen, als ob da nicht am Ende menschliche Schicksale von abhingen.

Das führt zu Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen.

Selber habe ich ja schon bei einem Fall von Identitätsdiebstahl erlebt, dass die Polizei ohne Vorratsdatenspeicherung augenscheinlich hilflos ist – aber nicht, weil die Kommunikationsdaten ohne VDS gar nicht existierten, sondern, weil die organisatorische und personelle Infrastruktur fehlt, um das zu tun, was dutzende Abmahnkanzleien tagtäglich tausendfach bei Amtsgerichten beantragen: Die Ermittlung des Inhabers einer IP-Adresse.

Statt der Polizei das Personal zu geben, das sie dazu bräuchte, wird den Telekommunikationsanbieter eine Speicherfrist für diese Daten auferlegt, die zu Missbrauch durch Provider, Mitarbeiter und staatliche Stellen nur einlädt.

Und das ganze ist ein aktuelles politisches Thema. Wenn Staaten Verträge wie TTIP aushandeln, die Konzerne de facto über das Landesrecht stellen, wenn eine rechtsextreme Partei nicht verboten werden kann, weil sie zu viele V-Leute des Verfassungsschutzes im Vorstand hat, dann ist das Sterben des Rechtsstaats offensichtlich.

Und lädt dazu ein, dass in einer windstillen rechten Ecke vermeintliche Schuldige und einfache Lösungen gefunden werden, die man den Wählern verkaufen kann.

Wer das Buch lesen will, kann es über die Homepage oder direkt bei Amazon erwerben.
Hinweis: Anja Neubauer und ich sind auf Facebook befreundet, wir folgen einander auf Twitter und kennen uns sogar persönlich. Für diesen Text hab ich keinerlei Gegenleistung erhalten.

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