Mehrere Panels auf der re:publica 2016 befassten sich mit SnapChat. Abgesehen vom Vortrag „SnapChat für Erwachsene“ vom  @yoshua fand ich sie eher hilflos.

Es scheint, dass SnapChat alte Marketingreflexe völlig ins Leere laufen lässt und dort klassische Social-Media Ansätze zum Erreichen der Zielgruppe – egal welcher – den Naturgesetzen widersprechen und daher erfolglos sein werden.

Der Grund, warum SnapChat etwas ist, dass sich uns Ü25ern nicht erschließt, ist meiner Meinung nach ein radikaler Bruch in der Art der Medienrezeption.

Wir, die Ü25er, haben durch Musikdownloads die physischen Grenzen der klassischen Tonträger überwunden. Auf mobile Player und den USB Stick im Autoradio passen so viele Songs, dass wir faktisch all das immer dabei haben können, was wir früher im CD Regal hatten. Cloudanbieter machen uns inzwischen sogar von den Geräten unabhängig: Ich kann an beliebigen technisch geeigneten Geräten mit meinem Google Account einloggen und habe Zugriff auf meine Musiksammlung.

Die Bevormundung durch TV-Stationen, welche Sendung wir bitte wann zu gucken haben, überwanden wir erst durch DVDs insbesondere mit Serien und später Streaming.

Die U25-Menschen in meiner Umgebung kaufen selten CDs, eigentlich nur, wenn es sich um Sonderausstattungen handelt. Musik wird viel über Streamingdienste konsumiert, wenn man sie mal runterlädt, dann wird mit frei verfügbaren Apps die Tonspur eines YouTube-Videos gespeichert. Musik kommt aus dem Handy, selten aus einem Tablet, und die Stereonlage wird auf ein Radio reduziert. Hauptsache, man hat einen Lautsprecher für das Smartphone.

TV-Sender sind wegen der vorgegebenen Sendezeiten unbeliebt, Streams, teilweise von mehreren Anbietern, liefern die Inhalte.

Medien sind für junge Menschen als Default einfach verfügbar. Die aktuellen Charts und alles, was man sonst an Musik braucht, halten YouTube und Spotify vor, sogar werbefinanziert, also für den Konsumenten kostenlos.

Den (vermeintliche) Besitz des Werks in Form eines Ton- oder Bildträgers, das wir bei Musik inzwischen in der Cloud oder mit MP3 simulieren, kennt die Jugend nicht und braucht sie auch nicht, da ja nahezu alles verfügbar ist, wenn man es braucht.

Auch der Umgang mit Fotos ist anders. Wer noch zu analogen Zeiten seine ersten Bilder geschossen hat, der hat sich wegen der Kosten und der geringen Zahl an Aufnahmen pro Film beschränkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Foto einen persönlichen, dokumentarischen Wert hat, war damals erheblich größer.

Heute haben die meisten Menschen dank Smartphone immer eine Kamera dabei und Fotos werden inflatorisch gemacht: Die Zimmernummer des Hotelzimmers als Notiz oder das Preisschild eines Artikels. Die Kosten, die ein Bild verursacht, sind unkalkulierbar gering.

Während wir „Senioren“ bei dem, was wir posten, noch Auslese betreiben, wurde das Foto in den Social Media zum Teil der dorthin verlagerten Schulhofgesräche. Es ist keine Erinnerung mehr, beziehungsweise nur die wenigsten sind noch eine Erinnerung.

Dazu kommt, das Videos schon komplett aus dem Handy publiziert werden können, wenn man nicht viel schneiden will. YouTube hat eine wachsende Zahl an Kanälen, die dem Fernsehen immer mehr den Rang ablaufen. YouTube ist nicht nur Entertainment, sondern auch Informationsquelle und sogar Hilfe bei Schulthemen. Sogar Anleitungsvideos zur Nutzung von Haushaltsgeräten gibt es.

Da passt das sonderbar erscheinende Konzept von SnapChat perfekt. Das bescheuerte Foto als Teil der Schulhofalberei, noch einen Filter drüber oder kurze Videoschnipsel. Kaum Text, der ist eher für den privaten Chat, nicht für das, was an alle geht.

Morgen ist es weg, wie eben das Schulhofgespräch, nur, dass alle Freunde vierundzwanzig Stunden die Chance hatten, es anzusehen.

Wie auch das Schulhofgespräch ist die Story danach etwas, an das man sich vielleicht erinnert, aber auch der Absender hält die Story nicht automatisch in Händen, auch bei ihm wird sie gelöscht.

Sascha Lobo fällt sicher bald ein neues pseudoenglisches Wort für diese Vergänglichkeit oder Flüchtigkeit ein, ich schlage Vergessiness vor.

Anders bei uns „alten Menschen“. Wir publizieren, selbst dann, wenn wir nur twittern. Wir können zwar Dummheiten wieder löschen, aber es geht uns ums Dauerhafte. Wieder Sascha Lobo hat ja apelliert, dass wir unsere Webseiten und Blogs wieder auf eigene Domains nehmen, weg von Plattformen wie Facebook, Tumblr oder Twitter.

Damit wir in unseren Publikationen unabhängig von Plattformen sind, die ihre AGBen jederzeit ändern oder, wie Posterous, den Laden plötzlich komplett schließen können.

Dazu ist SnapChat absolut inkompatibel. Wenn Postings nur 24 Stunden online sind, führt ein Ende der Plattform nicht zum Verlust von Inhalten.

Reichweite? Kann man sehen, solange die Story online ist, also 24 Stunden lang, danach nicht mehr. Und es geht auch, glaube ich, nicht um die Reichweite, Likes oder Favs, Impressions oder andere Messzahlen, sondern nur darum, dass man sieht, wer in Person es sich angeguckt – und wer einen Screenshot gemacht – hat.

Denn andes als auf der Pinwand bei Facebook oder der Timeline bei Twitter muss ich die Stories ausdrücklich anklicken, um sie zu sehen. Werbung kann da nur effizient sein, wenn sie zwangsweise vorgeschaltet wird. Social Media Auftritte von Marken sind größtenteils inkompatiel zum digitalen Schulhofgealber und können nur zu gefeatureten Stories werden, die man nur anklickt, wenn sie verlockend genug sind.

Mobbing und Cyberbullying auf Facebook und WhatsApp war in den letzten Jahren immer wieder ein Thema. @Joshuas Aussage “Einfach mal ein dummes Gesicht posten, ey, morgen ist es wieder weg” kann hier möglicherweise auch deeskalieren und Brisanz nehmen.

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