Es wird immer schlimmer. Die Kriminalität steigt mit jedem Flüchtling. So liest und hört man es zumindest, wenn man mit „besorgten BürgerInnen“ zu tun hat.

Befeuert wird der Effekt durch die Berichterstattung in der Presse. Normalerweise schreibt der Pressecodex vor, dass die Nationalität von Tatverdächtigen nur dann erwähnt werden soll, wenn sie tatrelevant ist.

Das hat sich seit den einschlägig bekannten Hetzereien auf Facebook geändert. Wenn eine Straftat von einem Menschen mit Migrationshintergrund begangen wurde oder die gesuchte Person auch nur von der Optik her einen Migrtionshintergrund haben könnte, dann wird das erwähnt.

Schließlich gab es reichlich Fälle, die durch die sozialen Medien geprügelt wurden, in denen Flüchtlinge – angeblich – Frauen sexuell belästigt oder gar vergewaltigt haben. Zwar sind diese Fälle oft nur ausgedacht, aufgebauscht oder bewusst aus rassistischen Gründen gefälscht, aber sie machen schnell die Runde und werden noch zusätzlich mit Mutmaßungen aufgeblasen.

Da nun viele solcher Fakes und Hoaxes in den sozialen Medien viral gingen und die Tatsache, dass sie in Zeitungen und TV nicht erwähnt wurden, als Beleg für die Unterdrückung der Wahrheit herangezogen wurde, hat sich die Berichterstattung geändert.

Wenn an einem Bahnhof ein Flüchtling eine Frau belästigt, dann ist durch die Sensibilisierung seit Silvester 2015 und die Tatsache, dass Menschen bei Delikten durch Menschen mit kultureller und ethnischer Distanz eher zu Strafanzeigen neigen, eben die Wahrscheinlichkeit einer Anzeige größer, als wenn ein blonder Deutscher im Anzug dieselbe Tat begeht.

Und da das Geschehnis mit einiger Wahrscheinlichkeit von anderen Menschen bemerkt wurde, ist das Risiko auch relativ groß, dass irgendjemand es auf Facebook postet. Wenn dann keine Pressemeldung der Polizei kommt, ist das unter Hetzern eine Unterdrückung der Wahrheit.

Dabei ist es ja so, dass insbesondere über die absolute Mehrzahl der Sexualdelikte gar nicht berichtet wird. Aus Opferschutz. Man kann darüber streiten, ob das richtig ist, aber es ist einfach so. Und kann Gerüchte verursachen, wie zum Beispiel in Spenge.

Da hat ein Flüchtling ein Mädchen auf die Wange geküsst, das ganze wurde von der Polizei aufgeklärt, der Mann identifiziert und dann auf den normalen juristischen Weg geschickt. Die Aktion des jungen Mannes war ziemlich dumm, wäre aber bei einem deutschen Täter vermutlich folgenlos geblieben. Dennoch bot sie Futter für Gerüchte.

Das Geschehen wurde nämlich beobachtet und machte im Netz die Runde, wurde ordentlich übergeigt, und da es keinen Polizeibericht gab, hieß es am Ende:

In Spenge hat es einen sexuellen Übergriff auf ein Mädchen durch einen 18-jährigen Afghanen gegeben, was die Polizei verschweigt.

Was sagt die Polizei dazu?

Die Mutter hat uns alarmiert, und wir haben den Mann vorläufig festgenommen. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. […] Wir haben den Fall in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Bielefeld nicht öffentlich gemacht, um das 13-jährige Opfer zu schützen.

Genau genommen gibt es (und gab es auch schon vor der „Flüchtlingskrise“) so viele Sexualdelikte, dass jeweils pro vier Tageswohnungseinbrüchen drei Sexualdelikte bei der Polizei angezeigt werden. Dennoch sehen wir in den Meldungen z.B.auf Presseportal kaum Sexualdelikte, aber jede Menge Tageswohnungseinbrüche.

Die Polizei ist nun in der Zwickmühle. In Fällen von Sexualdelikten, in denen möglicherweise Flüchtlinge Täter sein könnten, gilt zwar auch der Opferschutz, aber die Bevölkerung muss auch vor Hetzgerüchten geschützt werden, mit denen zu rechnen ist, wenn die Tat im öffentlichen Raum stattfand. Also wird in einer Pressemeldung offengelegt, was passiert ist, damit nicht aus einem idiotischen Kuss auf die Wange einer Unbekannten auf Facebook eine Massenvergewaltigung wird.

Und das gleiche gilt bei vielen Deliktarten. Streitigkeiten, die in einer Schlägerei mündeten? Kamen und kommen vor und wurden bislang höchstens unter „Vermischtes“ erwähnt. Sobald Menschen mit Migrationshintergrund beteiligt sind reicht das nicht mehr, um die Verbreitung übergeigter Gerüchte oder Vertuschungsvorwürfe zu verhindern.

Das verzerrt die öffentliche Wahrnehmung der Kriminalität noch mehr, als sie eh schon verzerrt ist.

Zudem haben Presse und Polizei auch oft keine ausreichende Sensibilität. Da werden Täterbeschreibungen genutzt, die zum einen Öl ins Feuer der Hetzer sind, zum anderen aber vollkommen unbrauchbar. Beispielsweise haben zwei Autoknacker laut der Polizei Lüneburg ein „nordafrikanisches Erscheinungsbild“.

Nafris, klar, kennen wir. Wie schrieb ich im Januar?

Genau genommen ist es bei sachlicher Betrachtung gar nicht möglich, Nordafrikaner als eine Ethnie zu beschreiben. Vor rund 20 Jahren habe ich in Tunesien unter den Einheimischen von einer dunkelblonden Frau mit blauen Augen bis zu Schwarzen alle erdenklichen Phänotypen getroffen.

Oder, wie der aus Marokko stammende Komiker Benaissa Lamroubal in der FAZ sagt:

Ich verstehe auch die Definition nicht: Woher will man denn auf den ersten Blick wissen, ob jemand aus Nordafrika, Brasilien oder dem Irak kommt? Ich selbst kann das optisch nicht immer unterscheiden.

Das „nordafrikanische Erscheinungsbild“ ist also unbrauchbar zur Identifizierung eines Täters, aber absolut tauglich, um Hetze gegen Flüchtlinge zu befeuern.

Etwas besser ist die Beschreibung „südländisch“. Aber nur etwas besser, weil sie eben Schwarze schonmal ausschließt. Aber auch deutsche sehen oft südländisch aus. Und machen deshalb auch Diskriminierungserfahrungen. Umgekehrt gibt es auch „SüdländerInnen“, denen das nicht anzusehen ist.

Warum wird „südländisch“ also nicht korrekt beschrieben, zum Beispiel „schwarze Haare, dunklerer Teint, braune Augen“? Damit könnte man das von ebenfalls „südländischem“ Aussehen abgrenzen, wenn jemand zwar schwarze Haare, braune Augen und dunkle Augenbrauen hat, aber eher blass ist. Oder einen dunklen Teint hat, aber braune Haare.

Das alles hat nämlich Konsequenzen auf die Wahrnehmung. Ist ein Tatverdächtiger nur „südländisch“ oder gar „nordafrikanisch“, dann ist er in der Wahrnehmung erstmal kein Deutscher. Auch, wenn „nordafrikanisch“ nur irrwitzig falsche Klischees über das Aussehen eines Menschen bedient und „südländisch“ eben auch etliche Deutsche beschreibt (und das auch ohne die 20% der Deutschen, die inzwischen Migrationshintergrund haben, weil ihre Großeltern nicht hier geboren wurden).

Gerade wenn man zur Vorbeugung von Panikmache durch aufgemotzte Gerüchte über Tatverdächtige, die ins Klischee „Flüchtling“ passen, eher berichtet, als über Taten von Einheimischen, dann ist eine solche, eben Klischees erfüllende und Vorurteile festigende Täterbeschreibung ein No-Go.

Ein Diebstahl durch einen „nordafrikanisch wirkenden“ Menschen ist natürlich für jeden Rassisten ein Leckerbissen, beweist er doch, dass „die“ sofort ausgewiesen werden müssen und Merkel abgesetzt gehört, weil sie uns so in Gefahr bringt mit dem angeblichen Einladen von Flüchtlingen.

„Südländisch“ bedeutet dann (wie ich schon oft gelesen habe), dass man für „Araber und Nordafrikaner jetzt eine weichere Beschreibung benutzt“, um die wahre Herkunft zu verschleiern. TäterIn ist also wieder so ein Flüchtling, die Polizei will es nur nicht so deutlich sagen.

Und wenn der Täter dann als „deutscher Staatsangehöriger“ identifiziert wurde, ist natürlich klar, dass er zu den 20% Deutschen mit Migrationshintergrund gehört.

Und selbst, wenn der deutsche Täter dann vor Gericht steht und in der Pressemeldung Josef G. heißt, ist natürlich klar, dass er bei seiner Geburt mal Yussuf hieß und das im Standesamt hat ändern lassen.

Haltet Ihr für übertrieben? Dann guckt mal auf Facebook nach.

Also, liebe Polizei, liebe Presse.

Wenn Ihr TäterInnen so beschreiben wollt, dass man sie effizient finden kann, dann macht das nicht mit Klischees. Wenn ein Mensch gesucht wird, der in einem wie im Zuhältermillieu üblich aufgemotzten Auto herumfährt, dann schreibt Ihr auch nicht „Fahrzeug aus dem Zuhältermillieu“, sondern Ihr nennt die Automarke, die Farbe und den Fahrzeugtyp und beschreibt dann die Spoiler und Verbreiterungen.

So müssen auch TäterInnenbeschreibungen aussehen.


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