Serien, die in den 1980ern spielen, sind gerade in Mode. Stranger Things, GLOW und – nicht zuletzt – Deutschland 83. Der Blick auf die damalige Zeit ist aber verklärt und, der Storyline geschuldet, nicht ganz korrekt.

Der Monk in mir hat allerdings einige Problemchen mit „Deutschland 83“. Mir ist natürlich bewusst, das es eine fiktionale Geschichte ist, aber das schließt ja nicht aus, dass man die Geschichte nah an der Realität orientiert. Jedenfalls solange, wie noch Zeitzeugen zur Zielgruppe gehören.

Und da hapert es leider.

Und vielleicht ist es für die, die sich für das Thema „Leben in den 1980ern“ interessieren oder sich daran erinnern wollen, interessant, darüber zu lesen, was ich an nervigen Fehlern finde.

Der Protagonist Martin Rauch – klasse gespielt von Jonas Nay – wird als Grenzschutzsoldat der DDR von der Stasi angeworben wird, um die Bundeswehr zu infiltrieren.

Das Kommando Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR bestand aus ausgesprochen motivierten und kadertreuen SoldatInnen. Schließlich standen sie an den Grenzübergängen und in den Wachtürmen an der innerdeutschen Grenze, und hatten den Feind draußen zu halten – ne, Moment. Ihre Aufgabe war vielmehr, die Menschen im real existierenden Sozialismus festzuhalten.

Völlig korrekt, dass man dort suchen wird, wenn man Menschen rekrutieren will, die Agententätigkeiten nachgehen.

Martin Rauch hat nun eine nierenkranke Mutter, die auf eine Transplantation hofft. Sowas gab es auch in der DDR, aber mit Wartelisten, auf denen nur VIPs wie zum Beispiel Politbüromitglieder noch zu Lebzeiten zum Zuge kommen.

Sein Alter ist nicht ganz klar, aber der Dienstgrad Oberfeldwebel könnte passen, da seine Freundin bereits Lehrerin ist. Was er in der NVA genau macht und wie seine Karriere dort aussehen wird, ist erstmal unerheblich, denn direkt in der ersten Folge wird er über seine Tante, die bei der Staatssicherheit (Stasi) arbeitet, gegen seinen Willen „angeworben“.

Er findet sich damit ab, da man andeutet, eine Transplantation bei seiner Mutter zu ermöglichen, wenn er erfolgreich ist.

Er soll in die Rolle eines Oberleutnants der Bundeswehr namens Moritz Stamm schlüpfen und einen Bundeswehrgeneral ausspionieren, bei dem er als Ordonnanz untergebracht wird.

Hier kommt der erste Haken: Damit das klappt, wird der wirkliche Moritz Stamm entführt (oder getötet?) und Rauch, mit gefälschten Papieren ausgestattet, an seine Stelle gesetzt, als Stamm gerade den Dienst im Büro des Generals antreten sollte.

Hat Stamm – also der echte – keine Familie? Keinerlei zivile Bezugspersonen? Nemanden, zu dem er am Wochenende fährt? In Folge 1 hat Rauch noch gebrochene Finger, in Folge 2 ist die Hand nicht mehr verbunden. Es müssen also mehrere Wochen vergangen sein.

Fällt weder den zivilen Bezugspersonen des echten Stamm noch den Kameraden des Falschen auf, dass er nie am Wochenende nach Hause fährt? Die freitäglichen Heimfahrten wurden nicht umsonst als „Natorallye“ bezeichnet. Züge waren mit Soldaten überfüllt, kasernennahe Autobahnauffahrten kollabierten im Stau.

Ein Soldat, der jedes verdammte Wochenende in der Kaserne verbringt, wäre definitiv aufgefallen – sowohl seiner Familie als auch seinen Kameraden.

Aber sehen wir mal darüber hinweg.

Rauch soll also als Ordonnanz beim General arbeiten. Der Begriff hat durch die verschiedenen Jahrhunderte und in verschiedenen Ländern unterschiedliche Bedeutungen, bei der Bundeswehr bezog er sich damals und bezieht sich heute auf die aus Uniformierten bestehenden Bedienungen (also KellnerInnen) in Unteroffizier- und Offizierheimen und -casinos.

Das sind von zivilrechtlich organisierten Vereinen (Unteroffizier- bzw. Offiziergesellschaft) an den jeweiligen Standorten geführte Kneipen bzw. Bars, die zusätzlich zu den Truppenküchen existieren. Sie dienen dem „Abendprogramm“ und, obwohl sie normalerweise auf dem Kasernengelände liegen, dürfen auch Zivilisten als Gäste mit hinein.

Dort arbeiten aber Mannschaftsdienstgrade, also Gefreite, Obergefrete etc. 1983 war die Bundeswehr noch eine Wehrpflichtarmee, insofern waren dort Wehrpflichtige beschäftigt, die definitiv keinen Offizierdienstgrad hatten.

Tatsächlich sitzt Stamm als Oberleutnant aber im Vorzimmer von General Edel (Ulrich Noethen). Er ist also vielmehr ein Adjutant, also ein persönlicher Assistent. Ein General hat üblicherweise einen Hauptmann als Adjutant, dazu fehlt dem Spion noch ein Stern auf der Schulter. Aber vielleicht sollte der echte Oberleutnant Stamm ja zwecks Bewährung und Beförderung auf diese Stelle. Passt also irgendwie, bis auf die falsche Bezeichnung.

Erwähnte ich die Sterne? Ein – zugegeben – Luxusproblem. Aber wer mal selber eine solche Uniform getragen hat, wird mich verstehen.

Sterne auf der Schulterklappe dem Schulterstück gehören den Offiziersdienstgraden. Ein Stern: Leutnant, zwei Sterne: Oberleutnant, drei Sterne: Hauptmann,

Die Sterne auf Stamms Uniformen (und denen der anderen Oberleutnants) sind gleichmäßig über die Länge des Schulterstücks verteilt und damit falsch angebracht.

Die Sterne werden eng, sie berühren sich fast, von der geraden Basis des Schulterstücks beginnend angebracht. So kann man bei der Beförderung bis zum Hauptmann einfach den zusätzlichen Stern anbringen.

Bei der Verteilung in der Serie geht das nicht – falls man bis zur Beförderung nicht einen Termin beim eigenen Vorgesetzten hat und den Befehl erhält, sich ordnungsgemäße Rangabzeichen anzuheften

Noch was zu den Uniformen. Der Sportanzug, den die Soldaten beim Training tragen (die Bundeswehrsoldaten der Serie muss ich übrigens nicht gendern, weil es damals nur Männer waren).

Der Trainingsanzug aus der Kleiderkammer, den man als Neuling bekam, war genau das schlicht-hässliche blaue Ding, dass sie in der Serie trugen – aber aus Polyester. Polyester aus den 1980ern. Plastik. Auf 50m Entfernung als Plastik erkennbar. Statisch aufladbar. Man konnte nach einigen Runden Laufens auf isolierten Bodenmaterialien Papierschnipsel dran kleben.

Als Offizier dient man länger und bekommt ausreichend Geld, um sich in speziellen Geschäften höherwertige Kleidung zu kaufen. Das war damals die Kleiderkammer der Bundeswehr.

Und der dort erhältliche Trainingsanzug hatte natürlich denselben Schnitt wie das Plastikdings, beinahe dieselbe Farbe, dieselben aufgenähten Bügelfalten, war aber aus Schurwolle. Er war also in entgegengesetzter Richtung hässlich, unattraktiv und vollkommen dysfunktional. Schwitzen (beim Sport ja nicht unüblich) war in beiden Ausführungen ekelhaft.

In der Serie scheinen die Anzüge aus Baumwolle zu sein, was hätten wir uns das damals gewünscht!

Bevor ich mich noch über die Tragweise des Baretts aufrege, kommen wir jetzt zur Kaserne, in der es spielt.

Diese liegt im idyllischen Daun in der Eifel. Im richtigen Leben heißt sie „Heinrich-Hertz-Kaserne“ und beherbergte damals, 1983, den Fernmeldestab 94, das Fermeldebataillon (FmBtl) 940 mit vier Kompanien und die Fernmeldeausbildungskompanien 941 und 942.

Tatsächlich war der Auftrag des Bataillons das Abhören der NVA, der Roten Armee und der GSTD (Gruppe Sowjetischer Truppen in Deutschland, also den russischen Einheiten in der DDR). Der Fernmeldestab wertete die abgefangenen Funksprüche nachrichtendienstlich aus, die Ausbildungskompanien bildeten den Nachwuchs – überwiegend Wehrdienstleistende – aus.

Was es dort nicht gab: Einen General.

Kommandeur des Fernmeldestabes war ein Oberst, Kommandeur des Bataillons ein Oberstleutnant. Der Bataillonskommandeur war zwar in der Regel im Generalstab, aber das hatte einen ganz einfachen Grund: Wer General werden will, muss erst im Generalstab arbeiten, das gibt den Zusatz „iG“, „im Generalstab“, am Dienstgrad.

Im Generalstab macht man überwiegend politisches und organisatorisches Zeug. Um aber vom Oberstleutnant zum Oberst befördert zu werden, musste man 18 Monate Bataillionskommandeur gewesen sein. Daher hatte das FmBtl 940 sehr viele Kommandeure, die keine 19 Monate da waren, weil sie als Generalstäbler dort quasi das Praktikum für die nächste Beförderung absolviert haben.

Woher ich das weiß?

Von 1985 bis 1988 war ich dort Soldat, Fernmeldeaufklärer in der 3. Kompanie des FmBtl 940. Und hab dort die NVA und deren Kommando Grenztruppen abgehört, zeitweise auch die GSTD.

Was in der Kaserne hingegen nicht gemacht wurde: Telefonverbindungen auswerten, wie in der ersten Folge erwähnt wird, als der Adjutant als erste Aufgabe entsprechende Daten besorgen sollte.

Abgehört wurden nur Tastfunk (also Morsezeichen), Sprechfunk und Funkfernschreibverbindungen auf Kurzwellenfrequenzen. Alles andere wäre nie bis in die Eifel zu empfangen gewesen, und das kabelgebundene Telefon schon gar nicht.

À propos Telefon.

An seinem Schreibtisch im Vorzimmer des Generals findet der Spion ein für die 1980er phänomenales Telefon vor, das etliche Leitungen verwalten konnte, Kurzwahltasten hatte und viel mehr. Eine Fläche mit leuchtenden Knöpfen von ungefähr einem A4-Blatt.

Auch sowas gab es nicht. Die Telefone bei der Bundeswehr waren durch die Bank Standardtelefone, die 1983 alle im AUTOKO-Netz, dem Automatisierten Korps-Stammnetz, miteinander verbunden waren. Man konnte über ein logisch aufgebautes Nummernsystem jederzeit jede Einheit und jede Stelle erreichen, wo auch immer sie sich befand, was über ein ausgeklügeltes System von Kabel- und Richtfunkstrecken inclusive mobiler Richtfunkfahrzeuge, wenn eine Einheit „im Feld“ war, realisiert wurde. 1985 wurde dann das verbesserte AUTOKO II eingeführt.

Warum ich mich darüber durchaus ärgere?

In der Presse wird eine Anekdote des Produzenten Jörg Winger erzählt. Weihnachten 1988 war er junger Fernmelder in eben der Kaserne in der Eifel, hörte dort offenbar die NVA ab und hörte (auch beim Tastfunk nennt man das „hören“) „Frohe Weihnachten, Jörg“.

Er war sicher, dass es einen Spion, einen Maulwurf in seiner Einheit gab. Der wusste, dass er, Jörg Winger, diesen einen Funkverkehr – jeder Funkverkehr war einer bennenbaren Einheit der NVA zugeordnet – abhört, das an die Stasi weitergeleitet hat und die ihn nun grüßen lassen.

Nun.

Da Jörg Winger in der Kaserne gedient hat, hätte er all das wissen können. Sicher hat er die Kaserne umbenannt, um die Geschichte ausdrücklich fiktional zu machen. Aber solche visuell auffallenden Detailfehler bei Uniformen? Fehler wie das tolle Telefon bei Requisiten? Der krasse Logikbruch mit dem „unbemerkt“ ersetzten Soldaten, der offenbar keine Menschen außerhalb der Bundeswehr kennt, die ihn vermissen könnten?

Solche Patzer, wenn man sich gleichzeitig an welthistorischen Ereignissen orientiert wie Reagans Rede, in der er die UdSSR als Reich des Bösen bezeichnete?

Aber vielleicht ist noch mehr Fiktion.

Beispielsweise die Anekdote. In meiner Zeit – die einige Wochen vor Wingers Anekdote endete – habe ich durchaus viel Ungewöhnliches im NVA- und GSTD-Funk erlebt.

Ein GSTD-Betriebsfunker (ein Russe also) fing plötzlich an, völlig aus den normalen Abläufen eines militärischen Funkverkehrs gerissen, eine schier endlose Kette von Morsezeichen in die Taste zu hämmern. Wir bekamen die Rückmeldung aus dem Fernmeldestab, dass es sich um knapp eine halbe Seite aus einem Werk von Dostojewski handelte.

Weihnachts und Neujahrsgrüße innerhalb der Funkverkehre waren auch nicht unüblich, wenn auch garantiert verboten.

Einen Flirt mit einer NVA-Soldatin per Sprechfunk konnte ein Kamerad auch mithören, den Ort ihrer Verabredung nannten sie aber nicht unverschlüsselt.

Die Morsezeichen „ctl for qtr“, ungefähr mit „Überprüfen Sie die Uhrzeit“ zu übersetzen, kamen auch vor, was praktisch war, weil die Leitstelle des Funkverkehrs die untergeordneten Stationen so an die Umstellung zwischen Sommer- und Winterzeit erinnerte. Und uns auch.

Und da Jörg auch in der DDR als Vorname nicht verboten war, der junge Fernmelder Jörg Winger aber mutmaßlich weltpolitisch eher unwichtig, waren das höchstwahrscheinlich Grüße an den Kumpel Jörg von der NVA, der auch gerade Dienst schob.

Nicht, dass es keine Spionage gab. Ich bin sicher, dass die Stasi einschließlich der Schuhgröße der Stiefel, die wir in der Kleiderkammer bekommen hatten, alles wusste. Verwandte von Kameraden, die an der Grenze zur DDR nach den Kameraden befragt wurden, kamen immer wieder vor.

Aber die Interpretation dieser Anekdote ist reine Phantasie.

Übrigens fragt der Spion seine Bundeswehrkameraden im Scherz in einer Szene „…und wer hört uns ab?“

Ganz einfach: Ein Kommando, das in Strausberg saß und direkt dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt war. Es handelte sich um das I. Bataillon des Nachrichtenregiments 14.

Ratet mal, wen wir abgehört haben.

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