Teil 3: Stopft die Gesetzeslücken!Man sagt Deutschland nach, mehr Paragraphen als Einwohner zu haben. Trotzdem wähnte sich die Mailboxszene lange in einem weitgehend rechtsfreien Raum. Doch in jüngster Zeit greift der Arm des Gesetzes auch hier durch.

Unterthema: Wünsche an ein »Mailboxgesetz«Es gibt scheinbar kaum Gesetze, die Mailboxen und Netze inhaltlich reglementieren. Vermeintlich progressive Wortführer befürchten daher, daß der Staat durch Gesetze überhaupt erst eine Handhabe gegen Mailboxen bekommt. Man hat Angst vor staatlicher Zensur und will keine schlafenden Hunde wecken.

Aber, mit Verlaub: die Hunde sind längst wach. Nicht erst seit den jüngsten bayerischen Ermittlungen ist bekannt, daß es Mailboxen gibt und sie Berührungspunkte mit dem Gesetz haben. Wie Dr. Stephan Ackermann in seiner Dissertation[1] feststellt, wird es langfristig unumgänglich sein, Spielregeln für das DFÜ-Leben in ein Gesetz zu gießen.

Vogelfrei

Im Paragraphendschungel sieht man leicht den Wald vor lauter Bäumen nicht; die aktuelle Rechtslage verwirrt selbst Fachleute. Zur allgemeinen Verwirrung tragen auch die Äußerungen des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation (BMPT) bei, in denen Mailboxen das »Massenmedium« und damit der Pressestatus verweigert wurde. Mittlerweile verschickt jedoch das Bundesamt für Post und Telekommunikation (BAPT) im Rahmen des Meldeverfahrens für Mailboxen ein Merkblatt, in dem es ausdrücklich darauf hinweist, daß alle Mailboxbetreiber die Bestimmungen des Presserechts einhalten müssen – was auch nicht stimmt.

Jedes Bundesland – ach was, nahezu jeder Staatsanwalt hat seine eigenen Ansichten über Mailboxen. Das führt bundesweit zu Beschlagnahmeaktionen, bei denen Mailboxrechner mitgenommen werden. Die juristische Fachliteratur[2] bezweifelt längst nicht mehr, daß Mailboxen Massenmedien im Sinne von Art. 5 des Grundgesetzes (GG) sind. Die Beschlagnahmeaktionen wären damit verfassungswidrig, da sie die Ausübung der Pressefreiheit verhindern.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müßte die Staatsanwaltschaft sich mit einem Backup der Mailbox zufriedengeben, was zur Beweissicherung völlig ausreichte. Daß der Staat sich keine hierzu befähigte »Experten« leistet, ist kein Grund anders zu verfahren. Doch selbst ein komplettes Backup einer Mailbox zu beschlagnahmen wäre ebenfalls unzulässig, sofern man Mailboxbetreibern das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht, welches ihre Informanten vor staatlichem Zugriff schützt[3].

Papiertiger

Allerdings existieren diese Rechte derzeit nur auf dem Papier, weil Strafermittler den Pressestatus von Mailboxen verneinen. Der Grund ist simpel: Andernfalls wären ihre Ermittlungen bei der vorhandenen technischen Ausstattung nahezu unmöglich. Insofern ist der »rechtsfreie Raum« Realität, wenn auch mit einem anderen Vorzeichen.

Offensichtlich kann nur ein entsprechendes Gesetz, welches Mailboxen ausdrücklich als Massenmedium im Sinne von Art. 5 GG definiert, die Belange der Mailboxbetreiber schützen. Das brächte zwar auch Auflagen mit sich, doch die einzigen sachgerechten Pflichten lägen wohl im Bereich der Haftung (siehe Kasten).

Grüße aus Babylon

Das BMPT hat die Gerüchteküche noch in einem anderen Zusammenhang angeheizt, nämlich mit der Meldepflicht für Mailboxen. §1a des Fernmeldeanlagengesetzes (FAG) sagt klipp und klar: Man muß den Betrieb von Fernmeldeanlagen, die dem öffentlichen Verkehr dienen, dem Postminister melden. Dieser sammelt die Meldungen und veröffentlicht halbjährlich eine Liste der Anbieter.

Das BMPT hat jedoch eine Verfügung erlassen[4], nach welcher nur geschäftlich geführte Mailboxen anmeldepflichtig sind. Von den schätzungsweise über 25 000 deutschen Mailboxen – einige Tausend wurden dem BMPT gemeldet – erscheinen daher nur rund 330 in der Liste. Wenn Mailboxen nach dem Gesetz, das keine Unterscheidung zwischen »privat« und »geschäftlich« vorsieht, anmeldepflichtig sind, dann kann das BMPT daran nichts ändern – die Verfügung wäre rechtswidrig.

Die Anmeldepflicht hängt, ebenso wie die Gültigkeit der Fernmeldeverkehrs-Überwachungs-Verordnung (FÜV) für Mailboxen, an der Frage, was das Gesetz denn unter »Fernmeldeanlage« versteht. Eine solche ist bisher immer als eine Einheit von Sender, Empfänger und Leitungswegen definiert worden[5]. Die klassische Mailbox ist dagegen nur eine Endstelle, die andere Endstelle betreibt der Benutzer, das Leitungsnetz dazwischen die Telekom. Laut §1a FAG und laut §1 der FÜV gelten die Anmeldepflicht und die Pflicht zur Unterstützung von Behörden beim Abhören des Fernmeldeverkehrs aber nur für Betreiber von »vollständigen« Fernmeldeanlagen.

Gottlob, denn die Forderungen der FÜV würden den Betrieb von Hobby-Mailboxen verhindern. Denn welcher Computerfreak kann sich zur Unterstützung der »Bedarfsträger« von Abhörmaßnahmen schon Personal leisten, das rund um die Uhr zur Verfügung steht und »die Voraussetzungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz erfüllt«? Gemessen an der real existierenden Pressefreiheit wäre diese Forderung mutmaßlich verfassungswidrig.

Aktuell liegt ein Referentenentwurf für ein neues Telekommunikationsgesetz vor, in dem die benutzten technischen Begriffe auch erklärt werden. Der Entwurf definiert meldepflichtige Telekommunikationsdienstleistungen als »das gewerbliche Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte«. Da Mailboxen die Übertragungswege der Telekom nutzen, fallen sie möglicherweise gar nicht unter diese Meldepflicht. Zumindest blieben aber die hobbymäßig betriebenen Systeme verschont. Man kann nur hoffen, daß sich keine wesentlichen Änderungen an dem Entwurf ergeben und auch die FÜV entsprechend ausgelegt oder abgeändert wird.

Vertrag bricht Streit

Vor dem Hintergrund der Rechtsunsicherheit hat sich in München die »Interessengemeinschaft Datenkommunikation« (IDK) gegründet. Sie versprach, einen »wasserdichten Mailboxvertrag« ausarbeiten zu lassen, nachdem die Benutzer die Verantwortung für den Inhalt der von ihnen versandten Dateien übernehmen. Aber ein Vertrag birgt auch Gefahren in sich. Allgemein gilt nämlich der Grundsatz »pacta sunt servanda«, Verträge sind zu erfüllen. Wenn zwischen User und Sysop ein Vertrag besteht, müssen sich beide Seiten daran halten.

Bei einem Hardwarecrash kann der Sysop seine Leistung nicht mehr erbringen. Ein Vertrag, in dem er diese Leistung zusichert, könnte die Haftung des Sysops zwar gleichzeitig begrenzen, aber nur im Rahmen des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen: Klauseln, die eine unangemessene Verschiebung des Vertragsrisikos zuungunsten des Kunden bewirken, sind unwirksam.

Auf alle Fälle ist ein Vertrag zwischen User und Sysop nicht der Weisheit letzter Schluß. Dr. Ackermann ist der Ansicht, daß zwar auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein »Mailboxvertrag« zustande kommen kann (konkludent würde der Jurist sagen), aber halt nicht immer. Selbst eine Vereinbarung zur Zahlung von »Pointgebühren« gilt häufig nicht als Vertrag. Der angestrebte Ausschluß der »Delikthaftung« des Sysops für Mailboxinhalte ist ohnehin nur durch ein Gesetz möglich.

Verbotene Früchte

Auch im Bereich des Jugendmedienschutzes wird man über kurz oder lang nicht mehr um eine Anpassung der Gesetze herumkommen. Ein Teil der Experten verneint die Anwendbarkeit der einschlägigen Vorschriften auf »BTX-Texte« (und damit auch auf Mailboxen) generell, ein anderer Teil bejaht sie mit den irrwitzigsten Begründungen. Es kann jedoch nicht angehen, daß Jugendliche sich Bilder, Texte und Spiele »saugen« können, die sonst nur in für sie uneinsehbaren Läden angeboten werden dürfen. Die Bestimmungen für den Handel mit Pornographie müssen ausdrücklich auf den Vertrieb via Kabel (und Funk) ausgeweitet werden.

Fehl am Platze sind jedoch publikumswirksame Versuche, sich mit hartem Durchgreifen gegen Mailboxen als Sittenwächter profilieren zu wollen. Leider gelten Computer als »undurchschaubares« Medium, woran die Presse und sensationslüsterne Fernsehmagazine nicht unschuldig sind. Berichte über »mehr als 4000 Bilder von vergewaltigten Hamstern« machen über das Verhältnis zwischen Fernsehsendern und den zukünftigen Online-Anbietern nachdenken: Soll da vielleicht aufkeimende Konkurrenz bekämpft werden?

Bezogen auf die Bandbreite der Netze stellen die schlagzeilenträchtigen Angebote nur einen Bruchteil dar (kaum 1,5 Prozent der Usenet-Gruppen befassen sich mit nackter Haut im weitesten Sinne). Es wäre lächerlich, wenn Mailboxen und das Internet deshalb generell »zensiert« würden. So sind in jüngster Vergangenheit beispielsweise von der Düsseldorfer NADESHDA-Mailbox Initiativen ausgegangen, die in der Politik ein Bewußtsein für den Regelungsbedarf zum einen und die demokratischen Möglichkeiten des Mediums zum anderen schaffen sollen.

Zugzwang

Es ist für das Medium an der Zeit, sich der eigenen Möglichkeiten bewußt zu werden und zu versuchen, gezielt auf eine positive Entwicklung der rechtlichen Zukunft hinzuarbeiten. Zum Schutz des Pressestatus der Systeme wird, wenn die gesetzliche Regelung nicht bald erfolgt, allerdings eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung dringend erforderlich. (ad)

Literatur

  • [1] Dr. Stephan Ackermann, Ausgewählte Rechtsprobleme der Mailbox-Kommunikation, Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes Saarbrücken, 1994, als NETLAW.ZIP in der c’t-Mailbox verfügbar.
  • [2] Hans-Jürgen Stenger, Mailboxen, Computer und Recht, 1990, S. 786 ff.
  • [3] Wolfgang Bär, Polizeilicher Zugriff auf kriminelle Mailboxen, Computer und Recht 8/95, S. 489
  • [4] Vfg. BMPT 121/1990, nach Amtsblatt 68 vom 23. 8. 90
  • [5] z. B. Urteil des BayObLG vom 30. 10. 92, Az. 4St RR 122/92, aus NJW 1993, S. 1215 f. mit weiteren Fundstellen

Kasten 1

Wünsche an ein »Mailboxgesetz«

Von den derzeit diskutierten »Wunschvorstellungen« ist Stephan Ackermanns skizzenhafte Zusammenstellung wohl die geeignetste:

Geltungsbereich: Ein Mailboxgesetz soll den Betreiber, seine »Hilfspersonen« (Brettverwalter, Redakteure) und auch die Teilnehmer (User) einschließen, da sie alle Organe der Presse sind.

Grundrechtsschutz nach Artikel 5 GG: Es sollten analog zu den Landespressegesetzen bestimmte Rechte der Mailboxen gesetzlich verankert werden: die Zulassungsfreiheit, das Verbot von Sondermaßnahmen jeglicher Art sowie die öffentliche Aufgabe von Mailboxen als Presseorgan.

Problematisch ist hier lediglich der umfassende Informationsanspruch, denn beim derzeitigen Boom von Onlinediensten wächst die Zahl der potentiellen Anspruchsinhaber unvorhersehbar. Dabei kann sich kaum einer der Autoren als Journalist legitimieren. Ein denkbarer Ansatz wäre eine Art »Presseausweis«, den einschlägige Verbände ausgeben.

Schranken der Rechte: Die Pressegesetze reglementieren die Presse zum Schutz anderer wichtiger Rechtsgüter. Ein gut Teil der Bestimmungen läßt sich ohne Probleme auf Mailboxen übertragen: die journalistische Sorgfaltspflicht, die Impressumspflicht und die Kennzeichnungspflicht für Werbung. Einschränkungen ergeben sich allerdings bei der Pflicht des »Verantwortlichen Redakteurs«: Wie in der Rechtsprechung schon anerkannt, überspannt eine generelle Verantwortung für die Inhalte der Mailbox den Bogen bei weitem.

Allerdings muß auch verhindert werden, daß Autoren in die Anonymität abtauchen können. Insofern müssen Sysops damit rechnen, daß sie nur den Teilnehmern Schreibzugriff einräumen dürfen, deren Identität sie kennen. Weiterhin werden sie bei entsprechenden Vorwürfen den Ermittlungsbehörden (oder anderen berechtigten Anspruchstellern) diese Daten aushändigen müssen. Das ist allerdings bei vernetzten Systemen – insbesondere mit Vernetzung ins Ausland – organisatorisch schwierig: Ist der Sysop auskunftspflichtig, in dessen System die Nachricht erscheint, oder der, aus dessen System sie stammt?

Sonderregelungen bei strafrechtlicher Haftung: Die Pressegesetze definieren eine strafrechtliche Haftung für Inhalte durch den verantwortlichen Redakteur. Hierdurch wird sichergestellt, daß er seiner Sorgfaltspflicht auch wirklich nachkommt. Da sich die Pflichten für einen Mailboxbetreiber nicht derart ausufernd fassen lassen, kann er folglich auch nicht haftbar für den Inhalt sein. Vielmehr ist jeder Autor sein eigener Redakteur. Dies muß – auch für den Jugendmedienschutz – so im Gesetz verankert werden.

Außerdem ist die Mailbox ein extrem schnellebiges Medium. Während die Verjährung bei Beleidigungsdelikten bis zu fünf Jahren betragen kann, ist es sowohl Sysop als auch User meistens schon nach wenigen Wochen unmöglich, eine Beleidigungsklage angemessen zu erwidern. Aus diesem Grund ist auch eine verkürzte Verjährung analog den Pressegesetzen vonnöten.

Regelungen für die zivilrechtliche Haftung: Printmedien haften nach den Pressegesetzen durch eine Gegendarstellungspflicht. Diese auch für Mailboxen zu definieren ist denkbar, wenngleich nicht unbedingt notwendig. Praktikabel wäre eine Pflicht für den Mailboxbetreiber, die Gegendarstellung zu veröffentlichen.

Der eigentlich wichtige Problemkreis betrifft die Haftung nach den allgemeinen Regeln, die nicht pressespezifisch sind. Es bedeutete für den Sysop ein unüberschaubares finanzielles und rechtliches Risiko, wenn man ihn für die Nachrichten in seinem System zivilrechtlich haften ließe. Die Haftung wäre daher, wie auch auf der strafrechtlichen Seite, auf Herausgabe der Anschrift des tatsächlichen Autors zu beschränken. Besonders aufgrund der Möglichkeit des verschuldensunabhängigen »Abmahnens« wegen Mailboxinhalten ist dies lebenswichtig für das Medium. Jeder könnte dem Sysop eine Raubkopie »unterschieben«, um deren Entfernung dann kostenpflichtig von einem Anwalt fordern zu lassen.

Kategorien: Journalist