Lex Mailbox
Teil 2: Sex and Crime – Mailboxen und das Strafgesetzbuch
Regelmäßig wenn die Gurken sauer werden, kann man es vielerorts nachlesen: in den Mailboxen wimmelt es von Pornographie und Raubkopien. Berichte von Razzien und Verhaftungen belegen das Bild: viele Sysops sind kriminell – oder?
Unterthema: Porno – jugendgefährdend oder einfach nur erotisch?Das Grundgesetz schreibt in Artikel 103 vor, daß man eine Tat nur dann bestrafen kann, wenn sie durch ein Gesetz unter Strafe gestellt wird. Straf- und Verfassungsrechtler sagen daher, daß das Gesetz die Strafe ähnlich einer Bedienungsanleitung beschreiben muß. Im Zweifel sollte man in der Lage sein, eine Tat anhand der Gesetze zu begehen. Das führt folgerichtig zu einem Analogieverbot: Etwas, das einer Straftat nur ähnlich ist oder genauso verwerflich, darf alleine deshalb nicht bestraft werden.
Datenreisende wähnten sich lange Zeit in einem rechtsfreien Raum und lagen damit auch gar nicht so falsch – jedenfalls, was das »Erhacken« von Rechnersystemen anging. Das war tatsächlich nicht strafbar [1]. Erst 1986 wurde das StGB entsprechend erweitert. Gerade noch rechtzeitig, denn schon kurz darauf spürte Clifford Stoll die legendären KGB-Hacker ausgerechnet in Deutschland auf.
Eine ähnliche Rechtsunsicherheit herrscht auch heute noch bezüglich dem Angebot von jugendschutzrelevanter Dateien in Mailboxen. Ich will hier nicht das Angebot von Pornographie an sich bewerten; das wurde in der c’t schon ausführlich getan [2]. Bewerten will ich die Art und Weise, wie derzeit von Behörden mit dem Thema umgegangen wird und wie unklar die Rechtslage dadurch ist. Insbesondere im – neulich erst entkruzifizierten – Bayern scheint eine eilige Inquisition gegen Mailboxen stattzufinden.
Scharf definiert
Um Angebote an Bildern und Texten rechtlich einordnen zu können, gilt es zunächst zu klären, ob es sich im Einzelfall um Pornographie, gegebenenfalls harte Pornos, handelt. Dann kann man daran gehen, zu klären, ob das, was damit geschieht, überhaupt strafbar ist.
Und genau da liegt das Problem. Pornographie ist ein unbestimmter Rechtsbegriff; es wurden viele Seiten mit Erörterungen darüber gefüllt, was denn nun pornographisch sei und was nicht. Die Entscheidung eines Richters zu dieser Frage kann man trotzdem oft nicht vorhersagen. Aber, und hier liegt der Knackpunkt, was ist eigentlich die strafbare Handlung?
Bei einfacher Pornographie hat der Gesetzgeber zugelassen, daß ihr Konsum Erwachsenen erlaubt ist. Er schützt in Absatz 1 des §184 StGB primär Minderjährige davor, daß sie ohne Erlaubnis ihrer Eltern damit in Kontakt kommen. Der Paragraph bezieht sich nahezu vollständig auf pornographische Schriften. Die Definition des Begriffs »Schrift« schließt – sinnvollerweise – auch Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen ein [3].
In einem Computer sind Texte und Abbildungen nicht sinnlich wahrnehmbar gespeichert. Disketten, Festplatten und CD-ROMs sind daher beispielsweise »Bildträger«. CDs mit Pornographie unterliegen den Verboten des §184, dürfen also beispielsweise nicht im Versandhandel angeboten werden.
Mit den präzisen Formulierungen des §184 Absatz 1 StGB (siehe Kasten) hat der Gesetzgeber sich aber, offen gesagt, womöglich in den Fuß geschossen: In einer Mailbox kann man die Festplatte oder CD-ROM mit den Bildern niemandem überlassen; sie befindet sich ja im Zweifel auf der anderen Seite des Erdballs. Denn »Überlassen« setzt den Wechsel des Besitzers voraus. So bleibt von den vielen in dem Paragraphen aufgeführten Tatbeständen keiner mehr übrig, den man zweifelsfrei auf einen Filetransfer anwenden könnte.
Schmaler Grat
Manche Juristen unterscheiden zwischen der tatsächlichen (körperlichen) Weitergabe und dem (inhaltlichen) Zugänglichmachen. Letzteres, so meinte unter anderem das OLG Stuttgart [4], läge auch dann vor, wenn nicht der Bild(daten)träger an sich, sondern nur die gespeicherte Information zugänglich sei. Das bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen erlaubter Auslegung und unzulässiger Analogie. Es gibt auch völlig gegenteilige Meinungen zu dieser Frage [5].
Doch deren Beantwortung ist vielleicht müßig. Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß es nur strafbar ist, Pornographie für Minderjährige zugänglich zu machen. Trotzdem sind bayerische Gesetzeshüter unlängst gleich mehrfach über das Ziel hinausgeschossen [6]. Nach ihrer Auffassung sind die Tatbestände des §184 StGB schon erfüllt, weil man Systemfehler nicht ausschließen kann, durch die auch ein Kind ein Pornobild empfangen könnte.
Noch wilder ist das Argument, Pornos seien Minderjährigen per se zugänglich, weil sie das Paßwort eines volljährigen Users erhacken könnten. Obwohl es tatsächlich Befürworter findet: Oberstaatsanwalt Walther aus Stuttgart ist beispielsweise der Ansicht [7], daß ein zu einfach zu umgehendes Verbot die »Neugier und Risikobereitschaft Jugendlicher unberücksichtigt« läßt.
Er vertritt den Standpunkt, daß ein dem Vater abgeluchstes Btx-Paßwort oder gar eine auf dem Schwarzmarkt gekaufte Benutzerkennung viel zu geringe Hemmschwellen seien. Wenn der Zugang zu Pornographie nur hiervon abhinge, so Walther, sei er de facto möglich, was einen Verstoß gegen §184 StGB durch den Pornoanbieter darstellt.
Was das väterliche Paßwort angeht – das kann man mit zu schlecht versteckten Pornoheften vergleichen. Juristen würden sagen, daß die Verantwortung in diesem Fall in der Sphäre des Erziehungsberechtigten liegt und nicht in der des Mailboxbetreibers. Das ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, jedenfalls, was die Haftung für Btx-Dienste angeht, die der Nachwuchs mit Vaters Paßwort aufgerufen hat [8].
Brandgefährlich
Die Ansicht, durch die Möglichkeit des Knackens (oder Kaufens) eines fremden Paßworts sei der Zugriff mit einer geringen moralischen Hürde möglich, muß ich als brandgefährlich einstufen. Das regelrechte Stehlen eines Zugangscodes ist immer eine Straftat (§202a StGB, Ausspähen von Daten). Genausogut könnte man den Inhaber einer Videothek mit Pornofilmen präventiv für den – durchaus denkbaren – Fall bestrafen, daß Minderjährige durch Aufbrechen der Tür an die Kassetten herankämen – ein Vorwurf, der vor Gericht nur zu Kopfschütteln führen würde.
Bedenkt man, daß Sysops nach der aktuellen Rechtssprechung für die Inhalte ihrer Systeme nur so weit haften wie Verleger für den Anzeigenteil einer Zeitung [9], dann stünden die bajuwarischen Strafverfahren wahrlich auf tönernen Füßen – würden sie nicht gerade vor bayerischen Gerichten verhandelt. Bleibt zu hoffen, daß die Verteidiger diese an den Haaren herbeigezogenen Argumente durchschauen und ihre Erkenntnis auch den Richtern vermitteln können.
Im liberalen Teil von Deutschland empfiehlt es sich, so vorzugehen wie ein Hamburger Polizeibeamter, der in seiner Mailbox nicht auf die »Attraktion Porno« verzichten möchte: Die entsprechenden Dateien sind nur mit einem speziellen Paßwort zugänglich, das ausschließlich volljährige User erhalten, die sich dem Sysop persönlich (auf User-Treffen) vorgestellt haben.
Abgezockt
Ein weiteres Problem sind Raubkopien, die sich angeblich in Mailboxen finden. Von bestimmten Staatsanwälten (wieder einmal aus Bayern) wird schon beim Vorhandensein installierter Originalsoftware auf dem Mailboxrechner davon ausgegangen, daß diese möglicherweise Usern zugänglich sein könnte – bei Systemfehlern oder geknackten Paßworten halt. Der durchschnittliche Computer-Hobbyist muß vor soviel Phantasie den Hut ziehen.
So paranoides Denken bringt die Datenverarbeitung an sich in Mißkredit und schadet der Anerkennung elektronischer Kommunikation durch die Rechtsprechung mehr, als sie den vermeintlich geschädigten Softwareherstellern nützt. Wenn sich derartige Panikmache gegen die Verläßlichkeit von Computern durchsetzt, dann können alle Arbeiten im Bereich »Digitale Signatur« [10] eingestellt werden: Der Computer ist ja offensichtlich viel zu unsicher.
Aber auch im liberalen, außerbayerischen Deutschland bleiben Sysops von Haussuchungen nicht verschont, wenn Raubkopien in ihren Boxen auftauchen. Nach der meist schnellen Einstellung des Verfahrens werden altbekannte Abmahner aktiv und fertigen ein Schreiben, in dem sie den Sysop darauf hinweisen, daß er illegal die Software ihrer Klienten angeboten hat. Das ist kein Straf-, sondern Zivilrecht und wurde schon in vielen Ausgaben der c’t erwähnt [11].
Der Sysop ist sich nur in den seltensten Fällen bewußt, daß er Raubkopien im System hat. Zudem haftet er ja nur auf Entfernung der Raubkopie. Kann er also aufatmen? Leider nein, denn das gilt nur für die strafrechtliche Seite. Ein Sysop wird sich vorerst damit abfinden müssen, daß ihn findige Winkeladvokaten zur Kasse bitten, wenn Raubkopien in seiner Box auftauchen. Dafür reicht nämlich – unabhängig vom Verschulden – schon ein rechtswidriger Zustand, den allein der Sysop abstellen kann.
Richter nehmen an, daß der gegnerische Anwalt das Schreiben im Rahmen der »Geschäftsführung ohne Auftrag« geschickt hat, also vermutlich im Sinne und Interesse des Sysops handelt. Daher muß dieser auch dafür die Gebühren zahlen. Möglicherweise können aber viele Abmahnungen abgewehrt oder für den Abmahner unrentabel gemacht werden. Wenn man die Unterlassungserklärung unterschreibt und dann keine Zahlung leistet, muß der Abmahner vor Gericht gehen, um sein Geld zu bekommen.
Abgeblockt
Die Abmahnung wird von vielen Gerichten nur so lange akzeptiert, wie der rechtswidrige Zustand besteht [12]. Hat der Sysop die Raubkopie beim Eintreffen des anwaltlichen Schreibens bereits entfernt, kann der Anwalt durchaus in die Röhre gucken. Ein Logfile in Verbindung mit einem Zeugen (Co-Sysop oder User) gilt dabei vor Gericht als »Zeugenbeweis«.
Außerdem versuchen viele Abmahner, die fiktive Schadenssumme hochzudrükken. Dazu setzen sie als Schaden, der pro Kopie des Programms angeblich entsteht, hundert Prozent des Ladenpreises an. Es kann aber vermutlich nur der dem Verlag entgangene Gewinn gefordert werden [13]. Der berechnet sich aus dem Abgabepreis, den der Verlag von Zwischen- und Einzelhändlern bekommt, abzüglich der ersparten Aufwendungen. Die Raubkopie wurde ja nicht hergestellt, fiel dem Vertrieb nicht zur Last und bietet keinen Anspruch auf die Hotline.
Eine anonymisierte Umfrage unter Herstellern von Unterhaltungssoftware hat Anfang 1995 ergeben, daß durchschnittlich nur 15% des Ladenpreises eines Spiels als Gewinn für den Hersteller abfallen. Zugegeben, die Datenbasis für diese Statistik war zwar recht mager, aber der Nachweis des entgangenen Gewinns kann für den Kläger leicht ein Gang nach Canossa werden. Das kann den Streitwert mit etwas Glück so drastisch senken, daß von einer Klage ganz abgesehen oder doch zumindest bei den Anwaltskosten deutlich nachgegeben wird.
Plädoyer
Eine insgesamt unsichere Rechtslage für Sysops, wie wir sehen. Niemand will bestreiten, daß der Vertrieb pädophiler Darstellungen verboten sein muß – ihr Besitz ist daher in allen Aggregatzuständen bereits strafbar. Bei normalen Pornos hingegen handelt es sich eher um ein soziologisches denn ein juristisches Problem – wenn sie überhaupt eines sind. Dafür hat sich aber südlich des Weißwurstäquators offenbar noch kein Verständnis entwickeln können.
Im restlichen Bundesgebiet ist den meisten Jugendschützern das Prozeßrisiko zu groß, um tatsächlich in der Mailboxszene oder im Internet zu ermitteln. Sie rechnen den Problemkreis »normaler« Pornographie eher dem häuslichen und familiären Bereich zu, was nicht von der Hand zu weisen ist.
Ohne Frage verboten und verwerflich ist auch die Verbreitung von Raubkopien, aber eben nur dann, wenn dies vorsätzlich erfolgt. Hier bedarf es dringend gesetzlicher Regelungen, damit eine Situation entsteht, die wenigstens für gleiches Recht im ganzen Land sorgt. Das Schicksal der bayerischen Methoden ist, wenn man sich die Entscheidungsfreudigkeit des Bundesverfassungsgerichtes ansieht, zwar schon besiegelt, aber ein Gesetzgebungsverfahren ohne Druck aus Karlsruhe bringt mit Sicherheit ein besser durchdachtes Gesetz als Ergebnis. Doch dazu mehr in der kommenden Ausgabe. (ad)
Literatur
- [1] Dieter Butscher, Hackordnung, Wann wird das Strafrecht für »Datenreisende« zur Falle?, c’t 5/89, S. 58
- [2] Martin Fischer, Nur aus technischem Interesse, Pornographie in Mailboxen und Datennetzen, c’t 11/91, S. 52
- [3] Ermin Brießmann, Strafrecht und Strafprozeß von A-Z, 6. Auflage, Beck-Rechtsberater im dtv, München 1991
- [4] Urteil des OLG Stuttgart vom 27.8.91, Az 5 Ss 560/90
- [5] z. B. Urteil des OVG Münster vom 22.9.92, Az 20 A 1183/91
- [6] Jürgen Fey, Stochern im Nebel, Staatsanwalt ermittelt gegen Mailboxen, c’t 9/85, S. 28
- [7] Walther, Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990, S. 523 ff.
- [8] z. B. Urteil des OLG Oldenburg vom 11.1.93, Az 13 U 153/92
- [9] Volker König, Lex Mailbox Teil 1: Brauchen wir ein Mailbox-Pressegesetz? c«t 11/95, S. 62
- [10] Dirk Fox, Automatische Autogramme, Mit digitalen Signaturen von der Datei zur Urkunde, c«t 10/95, S. 278
- [11] Volker König, Im Netz verfangen, Stiften Softwarefahnder zu Straftaten an? c’t 1/94, S. 46
- [12] Urteil des LG Stuttgart vom 17.11.87, Az 17 O 478/87
- [13] Prof. Dr. Abbo Junker, Die Entwicklung des Computerrechts in den Jahren 1992 und 1993, NJW 1994, S. 879 ff.