Tageszeitungen – eine der Spezies aus der Familie der sog. Holzmedien – sind bekanntlich Publikationen, in denen man lesen kann, was gestern im Internet stand. Klassisch versuchen sie seit Urzeiten, Aktualität durch die gewählten Zeitformen vorzugaukeln.
Ganz besondere Routine hat da die BILD-Zeitung, bei der laut BILDBlog–Wörterbuch gilt:
jetzt: Zeitraum, der grob zwischen einem, drei, fünf und 22 Jahren liegt.
Die Rheinische Post ist so ein Holzblock und hat heute in Holz- und Netzausgabe mal wieder versucht, durch Formulierung im Präsens zu implizieren, dass die dargebotene Meldung aktuell sei.
Natürlich ist uns allen klar, dass der Stiefvater aus der Schlagzeile seine Stieftochter nicht just im Moment, da wir davon lesen, missbraucht. Natürlich will die RP durch die Formulierung im Präsens nur die Aktualität der Meldung hervorheben.
Liest man den Beitrag, sieht es gleich wieder anders aus:
Also, liebe Rheinische Post.
Wenn Du in der eigentlichen Meldung den zu berichtenden Sachverhalt „Verurteilung“ im durchaus vertretbaren Präteritum formulierst, warum erwähnst Du dann die der Verurteilung zwangläufig zeitlich vorhergehende Tat im völlig falschen Präsens? Wäre nicht Plusquamperfekt oder wenigstens Perfekt korrekt?
Um die Aktualität der Meldung hervorzuheben, hätte „Gericht veruruteilt Stiefvater wegen Missbrauchs“ gereicht, wenngleich auch hier die Formulierung im Präsens zumindest eine dumme Angewohnheit der Medien ist.
Liebe Rheinische Post, ich bin kein regelmäßiger Klugscheisser, wenn es im Grammatik geht. In diesem Fall – falscher Tempus + falsche Schlagzeile = falscher Zusammenhang – konnte ich nicht anders.
Moin Volker,
Recht hast du – schön, dass das mal jemand ausspricht. Als Online-Redakteur, also Schreiberling der nicht-veralteten Holzmedien, wurde mir in der Anfangszeit oft eingetrichtert, dass im Präsens geschrieben werden muss – also seh ich das soweit noch ein. Finde aber deine Alternativ-Headline „Gericht verurteilt …“ auch wesentlich besser formuliert als „Mann missbraucht Stieftochter“. Nur wissen wir alle: Diese Headline zieht leider, leider, leider mehr Aufmerksamkeit auf sich als eine Verurteilung …
Hi Bianca,
ich weiss, dass die Aktualität und der Eyecatcher einer Headline wichtig sind, aber ich kenn die RP und seh, dass hier der Redakteur einfach schlampt. Der Artikel hätte auch in dieser Kürze eine Spannungskurve haben können, anderer Focus (auf das Opfer – muss sie noch aussagen oder überzeugt der Richter den Steifvater?) und das geht klar. Nur klappt das heute nicht mehr. Die Lokalredaktionen wurden vor über 15 Jahren als erste eingedampft. Da kann nur noch schlunzig und auf niedrigem Niveau gearbeitet werden – siehe auch der „Entenkaiman“ in Stefan Niggemeiers Blog.
Und am Ende stellen die Medienkonzerne fest: Die Leser konsumieren den Lokalteil gar nicht mehr, die Welt hat sich verändert, also streichen wir ihn völlig.
Ich hoff, dass es bis dahin genügend Lokalblogger mit Presseausweis gibt.