Michael ist Berater und daher viel in Deutschland unterwegs. Mit der BahnCard 100 spart er viel Geld, denn er kann damit so viel Zug fahren, wie er will.
Ab dem nächsten Jahr, liest er im Prospekt der Bahn, wird das Preismodell gerechter. Es gibt nämlich BC100-Kunden, die tagein, tagaus in Zügen durchs Land fahren und die Karte übermäßig nutzen. Es ist nur unfair, dass alle anderen sie querfinanzieren.
Also zählt die Bahn jetzt die Kilometer und ab einer Strecke, die für 98% aller Kunden ausreicht, dürfen die Vielnutzer mit der BC100 nur noch in Nahverkehrszügen fahren. Der ICE ist tabu.
Michael findet in den Fußnoten noch einen Hinweis auf Hotels, die der Bahn gehören, und dass Fahrten dann nicht auf dieses Limit angerechnet werden, wenn man am Ziel eines dieser Hotels gebucht hat.
Unmögliche Geschichte? Monopolmissbrauch? Sowas kann bei uns gar nicht passieren?
Ist es aber. Gerade vor 2 Wochen.
Statt der Bahn war es die Telekom und statt der BC100 waren es die zukünftig gedrosselten DSL-Flatrates. Und statt der Hotels der Telekom-Fernsehverteiler „Entertain“ oder Dienste wie Spotify, die eine Partnerschaft mit der Telekom eingegangen sind.
Ich könnte die Argumentation der Telekom verstehen und würde es auch begrüßen, wenn Vielnutzer nicht von mir quersubentioniert würden. Schließlich akzeptieren die meisten Menschen ja auch die Heizkostenmessröhrchen an ihren Heizungen, weil die Kosten dadurch grob nach tatsächlichem Verbrauch umgelegt werden.
Wie gesagt: Ich würde es akzeptieren, wenn es denn so wäre, wie die Telekom argumentiert.
Ist es aber nicht.
Tatsächlich steigt zwar die Zahl der Internetnutzer ständig, aber im gleichen Maß schaffen es die Provider, durch Techniken wie Content Delivery Networks die Backbones zu entlasten und Daten dezentral zwischen zu lagern. Ein YouTube-Video wird daher genauso unmittelbar in das Netz der Telekom eingespeist, wie deren eigener Dienst Entertain. Tatsächlich ist die Kapazität der Leitungen zwischen den Providern ist noch lange nicht erschöpft – was auch Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur auf der re:publica 13 dem Telekom-Vertreter vorhielt.
Nochmal zum Nachvollziehen: Ein YouTube-Video kommt aus einem Zwischenspeicher, der genauso unmittelbar mit dem Netz der Telekom verbunden ist, wie ihr Dienst Entertain und belastet das Netz genauso, wie Entertain, wird aber von der Telekom demnächst anders behandelt. Weil das Netz an der Lastgrenze ist? Nein, weil der kostenpflichtige Dienst Entertain auf diese Weise Wettbewerbsvorteile gegenüber dem werbefinanzierten YouTube hat. Genauso, wie Spotify als Telekom-Partner diese Vorteile vor anderen Streamingdiensten wie Napster oder jedem beliebigen Webradio weltweit hat.
„Ok, dann guck ich Fernsehen halt über Entertain und Spotify ist so schlecht auch nicht, und notfalls wechsle ich den Provider.“ könnte man jetzt denken.
Aber wäre das klug?
Die Laufzeit eines DSL-Vertrages beträgt normalerweise zwei Jahre, und wenn der Provider nicht mächtigen Bullshit baut kommt man kaum vorher aus dem Vertrag raus. Man unterwirft sich quasi einem zeitlich begrenzten Monopol.
Was, wenn in diesen zwei Jahren ein neuer, innovativer Dienst online geht? Der es sich als Startup noch nicht leisten kann, Telekom-Partner zu werden und seine IP-Pakete bevorzugt durchs Netz zu leiten?
Durch das Internet verkürzen sich Innovationszyklen immer mehr. Kaum hat man den Nutzen des letzten neuen Dienstes verstanden, sind schon mindestens zwei neue „Next Big Things“ online. Dazu sind immer mehr Geräte vernetzt: Fernseher (die eher nicht mit Entertain zusammenarbeiten), Telefone, Stromzähler, Radios, vielleicht morgen der Kühlschrank und übermorgen die Waschmaschine. Immer mehr Geräte sind von einer funktionierenden und halbwegs performanten Internetverbindung abhängig.
Daher brauchen wir eine vom Staat durchgesetzte Netzneutralität. Ein Provider muss verpflichtet sein, alle Datenpakete ungeachtet ihrer Herkunft gleich zu befördern. Ein Stromnetz, das Geräte bestimmter Hersteller besser mit Strom beliefert als das anderer, wäre auch nicht auszudenken und würde schneller Kartellwächter auf den Plan rufen als das Geschäftsmodell sich rechnet.
Manchmal mag es technische Gründe geben, den einen Traffic im Netz anders zu behandeln, als den anderen. Über Quality of Service Regeln kann man zum Beispiel dem VoiP-Telefon oder dem TV-Streaming-Dienst Vorrang auf der Leitung geben. Wenn ich ruckelfrei Fernsehen und ohne Knacken und Knirschen Telefonieren kann, habe ich nichts dagegen, dass der Download der neusten OpenSuSE-Version 5 Minuten länger dauern kann.
Alles darüber hinaus ist inakzeptabel. Vielmehr müssen Inhalteanbieter und Zugangsprovider offenbar kartellrechtlich von einander getrennt werden.
Beim reinen Transportmedium Internet handelt es sich heutzutage um eine Maßnahme der Daseinsvorsorge, die nicht in die Hände des Wettbewerbs gehört.

tl;dr: Die Drosselung aller Content-Anbieter zu Gunsten einiger weniger, die einem Zugangsprovider gehören oder ihm Geld zahlen, ist undemokratisch und innovationsfeindlich.

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