Wir alle kennen Grimms Märchen, die Bücher unserer Kindheit, in denen die Geschichten von Rotkäppchen & Co erzählt wurden. Dabei haben Jacob und Wilhelm Grimm gar kein Kinderbuch geschrieben, sondern aus volkskundlichem Interesse überlieferte und auch in der Literatur genutzte Geschichten gesammelt und kommentiert. Aber vielleicht war das auch alles ganz anders.

Nick Burkhardt (David Giuntoli) ist Police Detective – also Kriminalbeamter – in Portland. Er lebt mit der Tierärztin Juliette Silverton (Bitsie Tulloch) zusammen. Eines Tages bekommt er merkwürdige Halluzinationen – das Gesicht einer Frau, die auf der Straße an ihm vorbei läuft, verwandelt sich zum Beispiel kurz in eine mumifizierte Grimasse.

Während Nick einen Fall bearbeitet, in dem Mädchen mit roten Kapuzen bestialisch ermordet werden, besucht ihn seine an Krebs erkrankte Tante Marie, bei der er nach dem Tod seiner Eltern aufwuchs. Während Nick einen Verdächtigen im Mordfall mit den Mädchen wieder laufen lassen musste, klärt seine Tante ihn auf dem Sterbebett über ein dunkles Geheimnis der Familie auf.

Nick ist ein Grimm.

Ein Grimm ist ein Mensch, der Wesen erkennen kann.

Wesen sind… naja, meistens äußerlich Menschen, nur, dass in ihnen noch eine eher mystische Gestalt hockt, in die sie sich verwandeln, wenn sie eine Aufwallung haben, also einen Adrenalinschub. Ihr Körper bleibt im großen und ganzen humanoid, nur bekommen sie wolfs- oder schlangenähnliche Gesichter und auch ihre Haut und Hände passen sich an. Bei leichten Aufwallungen sehen nur Grimms, was gerade passiert, bei stärkeren auch normale Menschen, die als „Ungesichter“ bezeichnet werden.

Es gibt reichlich Arten von Wesen: Wolfsähnliche Blutbader, wie den Verdächtigen aus dem Fall mit den Mädchen, Eisbiber, Fuchsteufel, Hexenbiester (das sind die meistens nicht altern wollenden Frauen, die sich in einer Aufwallung in eine Mumie verwandeln, und ja, sie sind zaubermächtig), Todesdoggen, Ziegendämonen und mehr, genug für sechs Staffeln.

Jede Wesenart hat ihre eigenen Besonderheiten, wenn sie Mensch sind. Eisbiber sind ängstlich, aber sozial und hilfsbereit. Bud, der Eisbiber, der in der Serie immer wieder vorkommt, repariert beruflich Kühlschränke und andere Haushaltsgeräte und überschüttet Menschen, denen er Dankbar ist, mit Hilfe und Pasteten, redet sich aber in gefährlichen Situationen immer wieder um Kopf und Kragen, um erst im letzten Moment die Kurve zu kriegen.

Leider sind einige der Typen tendenziell eher kriminell als andere, Blutbader beispielsweise haben immer wieder das Bedürfnis, auf die Jagd zu gehen, wobei sie dann am liebsten Menschen jagen und zerfleischen. So kann ein einzelgängerischer Blutbader beispielsweise als Briefträger arbeiten, seine Opfer ausbaldowern und dann … nein, ich will nicht zu viel spoilern.

„Und was hat das jetzt noch mit den Gebrüdern Grimm zu tun?“

Ein großer Teil der Geschichten ist an die von ihnen gesammelten Märchen [amazon_link asins=’3866474210′ template=’MyProductLink‘ store=’olk02d-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’ac28bfcb-8bf5-11e8-8d73-01990aa4a67f‘] angelehnt, andere orientieren sich beispielsweise an nordischen Sagen. „Grimm“ ist im Deutschen dem Adjektiv „grimmig“ ähnlich und deutet tatsächlich auf Ableitungen von grimmig, unfreundlich, wild, Helm, Maske oder Grimasse hin.

Will man eine Mystery-Serie mit Märchenfiguren drehen, dann führt auch in den USA am Namen Grimm kein Weg vorbei.

Tatsächlich werden die Wesen auch im Original als „Wesen“ bezeichnet (was dann auch ziemlich deutsch ausgesprochen wird) und ihre Gattungen haben meist deutsche Namen. Der „Blutbader“ ist der „Blutbad“, was für englischsprachige Menschen, die kein Deutsch verstehen, schon schlimm genug klingt, aber nur die halbe Wahrheit ist. Außerdem erbt Nick von seiner Tante neben merkwürdigen Waffen auch Familienaufzeichnungen aus mehreren Jahrhunderten, die alle erdenklichen Wesen beschreiben und nur selten in englischer Sprache niedergeschrieben wurden.

Und ab der 2. Staffel spielt ein gewisser Teil der Handlung auch in der Alten Welt. Die Wesen haben einen eigenen Rat, der in Amsterdam seinen Sitz hat und große Sorge hat, dass Wesen nicht zu auffällig in der Weltgeschichte rum laufen, und es gibt Königshäuser, eines davon in Wien.

Und eine Widerstandsbewegung.

Und Wesen-Rassisten, die gegen Beziehungen zwischen verschiedenen Arten der Wesen und Freundschaften mit Ungesichtern und Grimms kämpfen.

Und bislang unterdrückte Arten, die gegen ihre Unterdrücker aufbegehren.

Und mittendrin steht nun Nick, der von den Wesen schnell als Grimm erkannt wird. Als Grimm, dem Monster unter dem Bett des Wesenkindes, der in den Märchen der Wesen als Das Böse Schlechthin gilt.

Nick freundet sich nicht nur mit einem vegan lebenden Blutbader an (Silas Weir Mitchell als Munroe), der in seiner menschlichen Existenz auf Antiquitäten spezialisierter Uhrmacher ist, sondern tötet nur die Wesen, die ihm oder jemand anders an den Kragen wollen. Blutbader Munroe verliebt sich in eine Fuchsteufeldame (Bree Turner als Rosalee) und Nicks Chef entpuppt sich als … – nein, ich spoilere nicht.

Überhaupt scheint Portland der Sammelpunkt merkwürdiger Verbrechen zu sein, was auch der asiatischstämmige Sergeant Wu (Reggie Lee) mitunter anmerkt. Wu ist übrigens ein bemerkenswert cooler Polizist, der sowohl im Streifenwagen durch Portland fährt als auch Handys und Computer forensisch analysieren kann. Zudem erinnert er mich an einen Running Joke aus der Zucker/Abraham/Zucker-Serie „Die Nackte Pistole“ [amazon_link asins=’B000JGW846′ template=’MyProductLink‘ store=’olk02d-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’5c987058-8c01-11e8-9f57-650487f926af‘], in der Frank Drebin immer wieder feststellt: „Als ich den Tatort erreichte war mein Boss bereits da.“

Während ich Grimm erst etwas grimmig als albern empfinden wollte, fand ich dann gewisse Parallelen zu Supernatural [amazon_link asins=’B00IDZLKXA,B00IDZLLJ8,B00IDZLL4I‘ template=’MyProductLink‘ store=’olk02d-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’1f9b974a-8bfc-11e8-b88a-21002c963104′], die mich mit dem Gebrüder-Grimm-Thema versöhnten. Die Idee ist wirklich gut umgesetzt.

Was ich auch positiv empfinde: Es geht um Diversity. Es geht um Akzeptanz. Um Befreiung aus den Vorurteilen, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Munroe und Rosalee haben eine Beziehung, die in den USA als „interracial“ bezeichnet würde und in den 1960ern dazu geführt hätte, das die Serie in einzelnen Staaten nicht sendefähig gewesen wäre. Wie die Folge „Platons Stiefkinder“ [amazon_link asins=’B00FG15W3S‘ template=’MyProductLink‘ store=’olk02d-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’5274d5a5-8bff-11e8-b276-b9f6ea4e6616′] aus Star Trek [amazon_link asins=’B00O2XICQK‘ template=’MyProductLink‘ store=’olk02d-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’73b2a938-8bff-11e8-825e-550288e197f9′] (bei uns Raumschiff Enterprise), zu der das Star Trek Wiki Memory Alpha schreibt:

Es wird oft behauptet, dass diese Episode den ersten Kuss zwischen einer schwarzen Frau (Uhura) und einem weißen Mann (Kirk) im amerikanischen Fernsehen zeigt. Genau genommen ist es der erste Kuss zwischen zwei fiktiven Charakteren, von denen einer schwarz und der andere weiß ist. Obwohl der Kuss nicht einmal freiwillig, sondern von den Bewohnern des Planeten erzwungen war, löste er in den USA heftige Diskussionen aus.

Das ist heute anders, obwohl beängstigenderweise weltweit die Neurechten Einfluss gewinnen. Daher finde ich Serien, die Freundschaften und Kooperationen zwischen historischen Erzfeinden wie Wesen und Grimms, Serien also, die eine Antithese zum Rassismus und Nationalismus und Hass zeigen, positiv.

Leider wurde Grimm vergangenes Jahr nach der 6. Staffel eingestellt, weil das Publikum die Handlungverläufe nicht mehr so toll fand. Mir gefallen sie in der 5. Staffel, die ich aktuell schaue, immer noch. Die Monster Wesen of the Week-Struktur der ersten Staffel wurde längst von folgenübergreifenden Handlungen abgelöst und macht die Serie gerade zum Bingen ideal.

Ok, dass Hauptrollen sterben, ist bei Serien mit mehr als drei Staffeln nahezu zwangsläufig, aber manchmal erstehen sie wieder auf, kommen als Geister wieder (hey, das ist Mystery!) oder verändern sich plötzlich grundlegend. Das sind die Elemente von Supernatural, die eine Serie auch nach 12 Staffeln sehenswert machen – aber der größte Teil des Grimm-Publikums wenigstens in den USA gefiel das wohl nicht. so.

Immerhin konnten die Storyliner in der 6. Staffel noch alle Handlungsstränge zusammenführen, worauf ich gespannt bin.

Staffeln 1-5 gibt es übrigens bei Netflix.

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