Egal wie wir gendern, die Genderfeinde sind in ihrer mittelalterlichen Ansicht immer dagegen. Machen wir ihnen die Abwehr nicht noch leichter. Schauen wir nach vorne, denn auch Gendern ist überholt.

Seit den 1990ern „gendere“ ich Texte zunehmend. Waren es anfangs die lästigen „Benutzerinnen und Benutzer“, das man irgendwann mit genervtem Augenrollen mit „Parameterinnen und Parameter“ weiterdachte, kam später das Binnen-I.

Der Sinn dieser sprachlichen Ungewöhnlichkeit ist ganz simpel: Spricht man davon, zum Arzt oder zum Anwalt zu gehen, sehen die ZuhörerInnen vor ihrem geistigen Auge einen Mann, auch, wenn man noch so glaubwürdig sagt, dass man Ärztinnen und Anwältinnen mitmeint.

Den Spieß herumzudrehen und aus dem in unserer Sprache weit übergewichtigen generischen Maskulinum ein generisches Femininum zu machen, ändert zwar viel, aber „damals“ war es noch sehr, sehr ungewohnt. Jedenfalls im Gegensatz zu heute, wo ein generisches Femininum noch immer sehr ungewohnt ist.

Also nimmt man eine Form, die beides abdeckt, die ÄrztIn bzw. AnwältIn. Eine weibliche Form, in der das I groß geschrieben wird, um zu signalisieren, dass auch die männliche Form gemeint ist.

Auch, wenn die „taz“, deren Säzzer das einst in den 80ern einführte, sich inzwischen davon entfernt, ist es nach wie vor ein gängiger Weg und steht neben den anderen Varianten des Genderns mit dem Sternchen (Ärzt*innen) oder Unterstrich (Anwält_innen).

Den ewigmittelalterlichen Gegnern einer geschlechtergerechten Sprache ist die gewählte Form egal, sie sind eh dagegen.

Nun hat letztes Wochenende Felix Stephan in der Süddeutschen Zeitung etwas bemerkt.

Nämlich:

Dies fällt gerade wieder häufiger auf, wenn man sich im Betrieb der Kunst, des Theaters oder der Geisteswissenschaften mit jüngeren deutschsprachigen Personen unterhält. Man hört dann nämlich einen Laut, den es vor Kurzem an der Stelle noch nicht gab: Es ist der stimmlose glottale Plosiv, ein karger Kehllaut, der entsteht, wenn in den progressiven Innenstadtmilieus das Binnen-I mitgesprochen wird.

Die Genderfrage ist in der Phonetik angekommen

Wenn da was von AnwältInnen steht, wird also vor dem großen I eine Pause gemacht, wie in Theater, das auch nicht mit Bindung zwischen e und a gesprochen wird.

Und: Junge Leute machen das.

Sowas geht mir runter wie Öl, denn diese lautmalerische Abbildung des Binnen-I, dieses gesprochene „ich meine nicht nur die weibliche Person, sondern auch die Männer“, das kenne ich schon aus den 90ern.

In den Nullerjahren war ich Sprecher einer Landesarbeitsgemeinschaft der Grünen in NRW und wir hatten, was das Gendern angeht, zwei Fraktionen. Die einen – zu der ich gehörte – nutzten das Binnen-I, die anderen das generische Femininum.

Schon damals lasen wir mit dem glottalen Plosiv: Die Politiker [Pause] Innen. Was dazu führte, dass diese etwas sperrig aussehende und klingende Konstruktion von den BefürworterInnen des generischen Femininums gerne mit „…und außen“ kommentiert wurde.

Insofern geht mir mit 53 Jahren diese an „jungen Menschen“ gemachte Beobachtung runter wie Öl. Danke schön. Ehrlich jetzt.

Und eigentlich wäre der Artikel bis dahin ein toller Artikel gewesen.

Felix Stephan schlägt dann aber vor, statt des Binnen-I, des Sternchens und aller anderen Variationen (Anwält/innen etc) nun das i mit dem Trema zu nutzen: ï.

Also Ärztïnnen, Anwältïnnen etc.

Das ist linguistisch gesehen sicher geschickt. Denn das Trema bedeutet: Dieser Vokal, auf dem ich stehe, wird nicht mit dem vorangehenden Ton verbunden. Wie bei Noël, der ja No-Ell gesprochen wird und nicht Nöl, was o und e in dieser Reihenfolge eigentlich ergäben.

Aber.

Ich hätte da zwei, drei Anmerkungen. Die erste ist relativ einfach: Das Zeichen fehlt auf der Tastatur. Man kann es zwar erzeugen – Anatol Stefanowitsch beschreibt auf Twitter, wie man mit weniger als acht gleichzeitig gedrückten Tasten ein ï schreibt, andere erklären, wie sie ihre Tastatur umdefiniert haben und wo das ï bei ihnen nun liegt.

Das macht die Ablehnung durch die GendergegnerInnen aber nicht besser. Es mag etwas hübscher sein als das Binnen-I, hübscher als alle anderen Gendermethoden ist es eh, aber wenn wir dann ein Zeichen benutzten, dass derzeit noch nicht auf der Tastatur abgebildet ist, machen wir das Gendern noch angreifbarer.

Zwar ist das ï linguistisch sinnvoll, aber die meisten draußen werden mit dem Trema zunächst nix anfangen können. Fragt mal bei Euren NachbarInnen rum, wer alles einen Zitröhn fährt und wer einen Citroën.

Kurz: Ein Zeichen zu nutzen, das zwar linguistisch richtig ist, aber vielen Leuten nur ein „Hä?!?“ entlockt, weil sie es nicht von der Tastatur kennen, ist schon suboptimal, wenn man Akzeptanz für generneutrale Sprache erreichen will.

Und, zweitens, was ein sprachlich schwierigeres Problem ist: Das ï ist nur die halbe Miete.

Wenn ich eine Anwältïn brauche, dann ist der Artikel nach wie vor nicht gegendert. Entweder maskulin oder feminin. In der „taz“ schrieb man daher immer, dass man einE AnwältIn brauche.

Das Binnen-I war nämlich gar nicht nur ein Binnen-I. Es war die kurze Bezeichnung dafür, dass man durch Binnenmajuskel Wörter so schreibt, dass gleichzeitig die maskuline und die feminine Form vorhanden ist.

Und nein, noch mehr neue Zeichen sollten wir dafür nicht einführen. Man kann zwar auch schreiben, dass man einë Anwältïn braucht, aber das sind schon zwei Tastaturkürzel, die man verinnerlichen muss.

Und dann kommt der Witz am Schluss: Klassisches Gendern, ob mit Binnen-I oder mit Trema, ist von gestern.

Denn inzwischen ist das Dritte Geschlecht (bzw. sind all die Menschen, die sich weder als feminin oder maskulin sehen) im Einwohnerregister angekommen.

Was ist mit denen? Sind die bei den diversen männlich-wie-weiblich-Formen des Genderns „selbstverständlich mitgemeint“, wie einst die Frauen?

Ich hoffe doch, dass wir da weiter sind.

Wir brauchen also den nächsten Schritt, nämlich eine Spracherweiterung, die wirklich geschlechtsneutral ist. Wie Profx Lann Hornscheidt es vorgeschlagen hat zum Beispiel.

Daher halte ich es für müßig, sich jetzt über 2/3-Lösungen des Problems der geschlechtsneutralen Sprache Gedanken zu machen und noch was neues einzuführen, nur, weil man sich weiter vorne vorkommt als man es tatsächlich ist.

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4 Jahre zuvor

Ich wehre mich dagegen, als Gender-Gegnerin in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ich habe auch keine mittelalterlichen Ansichten. Ich bin für Gleichberechtigung, ich möchte, dass Frauen dann so genannt werden, wenn es um Frauen geht. Aber ich will keine Sonderzeichen oder ähnliche Verhunzungen der geschriebenen Sprache. Dass gendern in der gesprochenen Sprache so gut wie unmöglich ist, dürfte Konsens sein. Wer bitte kennt da draußen den glottalen Plosiv und wer erkennt ihn, wenn ihn jemand spricht. Ich wette, die Mehrheit vermutet, der Sprecher habe sich gerade verschluckt oder aus anderem Grund gezögert, aber nicht, weil er ein Gendersternchen oder von mir aus ein Trema spricht. Wobei das Trema nehmen der Tatsache, dass es viele unbekannt ist, noch einen weiteren Nachteil hat. Entweder es wird ein Rechtschreibfehler vermutet oder es wird gar ganz übersehen.
In der ganzen Diskussion kommt mir eines zu kurz: Wenn über einzelne Menschen gesprochen wird, sagt niemand Anwalt zu einer Anwältin oder Arzt zu einer Ärztin. Bin ich krank, sage ich bei der Arbeit, dass ich zu meiner Ärztin gehe. Bei der Debatte ums Gendern wird aber genau das immer vermischt.
Das Mitnennen von Frauen, das so vehement eingefordert wird, spielt also nur dann eine Rolle, wenn es um Gruppen geht. Selbst da differenzieren viele Menschen, ohne zu gendern. Wenn es um die Bezahlung der Kindergarten-Angestellten geht, wird niemand sagen, die Erzieher sollen mehr verdienen, da die große Mehrheit Erzieherinnen sind. Wenn aber von Physikern die Rede ist, die an einer bestimmten Sache forschen oder von Schülern, käme ebenso niemand auf die Idee, dass keine weiblichen Wesen dabei sind. Spricht der Verkehrsfunk von „Achtung, Autofahrer“, horchen alle auf, ob Fahrer oder Fahrerinnen.
Als Frau fühle ich mich tatsächlich mitgemeint, auch wenn mir das immer abgesprochen wird. Das dürfte viele Frauen zu gehen.