Jetzt ist der Referentenentwurf zum „LSR“ raus und soll vom Kabinett so als Vorlage beschlossen werden. Die Fachkundigen haben ihn analysiert und festgestellt, dass ungefähr jeder Blogger, der mehr als Katzenfotos bloggt, betroffen ist.
Großartig an dem Entwurf ist geradezu, wie die Hilflosigkeit seiner Verfasser noch größere Hilflosigkeit bei denjenigen verursacht, die den Entwurf interpretieren wollen.
Udo Vetter schreibt:

Das ist die Ausgangslage: Verleger sollen ein eigenständiges Verwertungsrecht für ihre Presseerzeugnisse erhalten. Wer diese Erzeugnisse auch nur zu kleinsten Teilen übernimmt, kann mit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen überzogen werden. Blogger, die Texte aus Zeitungen oder Zeitschriften übernehmen, müssen eine Lizenz erwerben. Einzige Voraussetzung: Die Netzpublizisten sind gewerblich tätig. Das ist laut Entwurf schon dann der Fall, wenn irgendwelche Einnahmen erzielt werden. Ausdrücklich ausreichen sollen Werbebanner oder Micro-Bezahldienste, etwa Flattr.

Das ist die Quintessenz: Pressezitate können teuer werden. Eng ausgelegt ist schon ein Verlinken eine lizenzpflichtige Handlung, wenn der Link sprechend ist.
Zitate sind zwar immernoch erlaubt, aber die Abgrenzung war schon immer schwierig. Es gab schon mehrmals Abmahnungen wegen eines Zitats, wenn der zitierte Abschnitt etwas länger war.
Nun kommt ein weiterer rechtlicher Aufhänger für Rechtsstretigkeiten, der auch (!) das Verlinken von Pressetexten auf Facebook, Google+ und Twitter betrifft.
Ein vom Zitatrecht gedecktes Zitat ist (wie das oben von Udo Vetter) in einen eigenständigen Text eingebettet und dient als Beleg einer bestimmten Aussage, die Bezug zum restlichen Text hat.
Wenn ich einen Zeitungsartikel in Facebook teile, dann extrahiert Facebook ein Snippet, einen kleinen Anreissertext, gegebenenfalls auch ein Foto. Das ist aber kein Zitat, da es nicht in einen eigenen Text und mit Bezug zu diesem eingebettet wurde. Und genau das soll durch das Leistungsschutzrecht verhindert werden.
Diese Forderung beweist nur eines: Die Verleger, die sie wollten, verstehen das Internet nicht. Und fragen offenbar auch ihre Webmaster nicht, welche Referrer ihnen den meisten Traffic ins Haus spülen. Aber das hat Mario Sixtus schon längst mit deutlicheren Worten gesagt.
Daniel Schultz bringt es auf den Punkt:

Schon heute habe die Verlage über eine von Google freiwillig angebotene Selbstregulierung die Möglichkeit zum Opt-Out. Aber genau das möchten die Verlage nicht, weil sie an den Werbeeinnahmen des Unternehmens partizipieren wollen. Die Gier wird den Verlegern nun jedoch jäh im Halse steckenbleiben. Mit dem Leistungsschutzrecht wird der freiwillige Opt-Out zu einem erzwungenen Opt-In. Also Google darf nur Angebote anzeigen, über die mit den Verlegern erfolgreich verhandelt wurde. Bei der GEMA sieht man, was derzeit aus einem nicht erfolgreichen Handeln resultiert. Nichtlizensierte Inhalte werden in Deutschland nicht angezeigt.

Die aktuelle Unsicherheit bei der Auslegung des Gesetzes wird (wenn es denn in diesem ungaren Wortlaut verabschiedet wird) zu Rechtsunsicherheit im Internetalltag führen, wenn es um den Bezug auf Zeitungsartikel geht. Rechtssicherheit bekommt man dann nur, wenn man eine gefestigte Rechtsprechung zu den Lücken vorfindet. Bis die da ist, sieht das Internet schon zum vierten oder fünften Mal anders aus, als es das heute tut.
Nicht nur Google und Bing werden daher keine Links auf Presseerzeugnisse mehr aufnehmen. Auch auf Facebook werden weniger Zeitungsartikel und dafür mehr Blog-Links geteilt.

Und das ist gut so, denn Zeitungen werden dadurch aus der Filterbubble dieser Internet-People mehr und mehr verschwinden. Und da diese Internet-People immer mehr werden, werden klassische Zeitungen mehr und mehr verschwinden.

Man bekommt zunehmend das Gefühl, dass die Autoren des Leistungsschutzrechts und die Lobbyisten, die es fordern, noch nie im Internet waren.
Thomas Knüwer hat schon vor über einem Monat auf den Punkt gebracht, was nun kommt.
Und grandios auch die Geschäftsidee von Sascha Lobo:

Update: Thomas Knüwer, Jens Scholz und das Pottblog verlinken demonstrativ nicht mehr auf Presseverlage.
Ich werde das auch nicht mehr tun, für die Links auf Preseerzeugnisse in alten Posts habe ich das zu dieser Kampagne von D64 gehörende Plugin installiert.
Update 2: Stefan Niggemeier hat den Blogbeitrag vom „Springer-Außenminister“ Keese zerpflückt und sein Fazit zum Schadensbegrenzungsversuch Keeses:

Wenn das Leistungsschutzrecht nur ungefährlich ist, solange die deutschen Verlage sich gutwillig, vernünftig, zurückhaltend und maßvoll verhalten, muss man dieses Gesetz fürchten.

Ach ja, und dann hat ein in Berlin lebender Mann mit Irokesenschnitt im Onlineteil einer Zeitung, die in Hamburg ihren Sitz hat, noch ein paar verdammt kluge Sachen über das Leistungsschutzrecht geschrieben, die ich hier aber wegen des Leistungsschutzsrechts ohne Lizenz weder inhaltlich wiedergeben noch verlinken möchte (da ich zwangsläufig Artikel und Präpositionen aus dem Originaltext übernehmen müsste). Dank Leistungsschutzrecht paraphrasiere ich sogar seinen Namen und den der Zeitung, da ich mir nicht sicher bin, ob nicht die Erwähnung schon lizenzpflichtig wäre.
Update 3:
Der dritte Entwurf des Gesetzestextes wurde von der Bundesregierung als „reif“ eingestuft und geht in die Gesetzgebung.
Udo Vetter schreibt, dass die Verlage die digitale Revolution verschlafen haben:

Nun lassen sie sich einen staatlichen Rettungsschirm spannen. Richtig wäre es, sie im Regen stehen zu lassen. “Alte, überholte Geschäftsmodelle” haben nichts anderes verdient.

Vielleicht zementieren die „Holzmedien“ ihr Geschäftsmodell aber gerade durch das Leistungsschutzrecht sogar so, dass sie mehr Schaden anrichten als sie Vorteile haben.
Netzwertig.com interviewte einige Netz-Startupper wie Marcel Wichmann (Quote.FM). Das Leistungsschutzrecht würde das Innovationspotenzial deutsche Startups reduzieren, so die Aussage.

Und das vorrangig des Prinzips wegen, bedenkt man, dass die zur Zahlung herangezogenen Startup-Firmen in den meisten Fällen ohnehin lieber deutsche Verlagsangebote ausschließen würden, als Lizenzgebühren zu zahlen.
Am Ende gewinnt also niemand, nicht einmal die Verlage.

Auf den Punkt bringt es meiner Meinung nach Robert Basic:

Hallelujah!! Das ist die Chance für Blogger, vom gewaltigen Trafficanteil, der damit offen liegt, zu profitieren. Ob nun weniger User Google News nutzen oder nicht. Es bliebe immer noch genügend über. Und Google Search dürfte mit Sicherheit nicht weniger Suchanfragen verzeichnen, nur weil die Presseerzeugnisse nicht mehr im Index zu finden sind.

Und sehr gut und bedacht wieder Pia Ziefle im Denkding:

Unser Protest gegen das LSR schadet uns, denn er tut so, als wären unsere Inhalte abhängig vom Nachrichtenstrom aus den Medienhäusern. Dabei verkennen wir allerdings etwas Entscheidendes: Die Realität existiert identisch vor deren UND vor unserer Tür. Wir müssen nur hingehen.
Unsere Relevanz für unsere Leser/innen, Abonnent/inn/en und Zuschauer/innen liegt also zu jeder Sekunde in unserer eigenen Hand.

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