Nun ist hat der EuGH der Voratsdatenspeicherung einen Schuss vor den Bug verpasst. Ihre Gegner reden vom „Ende der VDS“  und die Befürworter von freier Hand für das organisierte Verbrechen.

Dabei haben beide Unrecht.

Einmal werden Sicherheitspolitiker natürlich die VDS unter einem neuen Namen wieder in die Gesetzgebung einspeisen. Natürlich werden sie das, genauso, wie sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus „Vorratsdatenspeicherung“ die „Mindestspeicherfrist“ machten und sich Regelungen ausdachten, genauso vom BVerfG gekippt worden wären, die die alten Regelungen.

Dabei ist ein Teil dessen, was mit „Vorratsdatenspeicherung“ gemeint ist sogar für uns alle auf eine Weise wünschenswert. Zugleich hängt es mit einem der beiden argumentativen Schlachtschiffe zusammen, die Befürworter auffahren.

Die IP-Adresse nämlich. Wenn Ermittler beispielsweise den Datenverkehr eines Kinderpornotauschrings analysieren, erhalten sie Netzwerkadressen, die auf den Teilnehmer hinweisen. Nämlich die Adresse, mit der sein heimischer Router sich über den Provider mit dem Internet verbunden hat.

Diese Adresse wechselt in der Regel alle 24 Stunden.

Vergleichen wir die Adresse mal mit Car-Sharing: Jedes Auto hat ein Kennzeichen und wenn die Car-Sharing-Anbieter speichern, wer wann welches Auto gefahren hat, kann man den Fahrer zu einem bestimmten Zeitpunkt nachvollziehen. Aus Gründen der Datensparsamkeit sagte das Bundesverfassungsgericht aber, dass Provider die dem Kennzeichen entsprechende IP-Adresse nicht beliebig speichern dürfen, wenn der Kunde eine Flatrate hat und die Daten nicht zur Rechnungsstellung benötigt werden.

Aus dem Kennzeichen alleine lässt sich nicht ableiten, welche Strecken mit dem Fahrzeug gefahren wurden. Die können nur nachvollzogen werden, wenn etwas aufgefallen und das Kennzeichen daher notiert wurde: Radarkontrollen, Falschparken, Zeugenaussagen nach Unfällen.

Nur anhand der IP-Adresse können keine Kommunikationsvorgänge nachvollzogen werden. Das geht nur,  wenn diese an der Gegenstelle protokolliert wurden. Da diese Protokolle nicht in globalem Zugriff sind, sondern nur gelesen werden, wenn eine konkrete Tat aufgeklärt werden soll, ist anhand der IP-Adresse kaum ein vollständiges Aktivitätsprotokoll möglich, sondern nur die Aufklärung spezifischer Zugriffe.

Natürlich wollen wir Kinderpornotauschringe ausheben, und natürlich wollen wir Terroristen das Handwerk legen. Trotzdem wehren wir VDS-Gegner uns gegen das Gesamtpaket, denn die IP-Adressen sind nur ein vorgeschobenes Argument.

Warum das?

Weil das, was Sicherheitspolitiker und Polizeifunktionäre durchsetzen wollen eben weit mehr ist als die Speicherung, wer wann welche IP-Adresse hatte. Es geht ihnen vielmehr um eine vollständige rückwirkende Telekommunikationsüberwachung.

  • Um die Speicherung aller Telefonverbindungen: Wer hat wann wen angerufen?
  • Um die Speicherung aller Mobilfunkstandorte: Wessen Handy war wann in welcher Funkzelle eingebucht?
  • Um die Speicherung aller Verbindungsdaten, die zur SMS gehören: Wer hat wann wem etwas geschickt?
  • Und das alles rückwirkend für ein halbes Jahr.

Verglichen mit dem Car Sharing wäre das eine komplette Protokollierung, wann wer mit den Fahrzeugen wo war, welche Geschwindigkeiten gefahren wurden, wo gehalten wurde.

Eine solche Datenbank über Kommunikationsvorgänge ermöglicht massive Eingriffe in die Privatsphäre und kann unser Kommunikationsverhalten beeinflussen:

Dass die Vorratsdatenspeicherung nur unproblematische Verbindungsdaten, nicht aber die Inhalte der geführten Gespräche erfasst, lässt Korsten nicht gelten: „Bereits die Tatsache, dass jemand zur Beichte geht oder eben bei einer Beratungsstelle anruft, ist eine zutiefst private Information.“ Die Gesetze in Deutschland tragen dem Rechnung: Im Telekommunikationsgesetz ist festgelegt, dass Anrufe bei der Telefonseelsorge und anderen Beratungsstellen nicht in Einzelverbindungsnachweisen auftauchen dürfen. Das schützt Anrufer, die sich etwa wegen Problemen in der Ehe oder Streit mit den Eltern melden. Mit einer anlasslosen Speicherung aller Verbindungsdaten würden auch solche Anrufe in den aufbewahrten Datensätzen festgehalten.

Wir hatten bereits zwei Jahre lang die Vorratsdatenspeicherung. Von 2008 bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2010.  In dieser Zeit wurde die  Kommunikationsüberwachung zur Aufklärung vieler Delikte eingesetzt.

Wozu Telekommunikationsüberwachung dient

Wozu Telekommunikationsüberwachung dient

Richard Gutjahr hat das bereits vor drei Jahren aufgedeckt und transparent gemacht. Seine Auswertung der amtlichen Zahlen zeigt sehr deutlich: Die Fälle, in denen mit Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung auch rückwirkend in Sachen „Kinderporno“ ermittelt wurden, sind gar nicht sichtbar! Selbst zusammen mit den „Terrorismusfällen“ ergeben sie weniger als die Fälle, in denen die Mittel wegen Steuerhinterhziehung eingesetzt wurden! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Argumente für die VDS sind Kinderpornoringe und Terroristen, aber es wird gegen mehr Steuersünder damit ermittelt als gegen die zwei argumentativen Schwergewichte!

Sechs Monate wurde in den Jahren 2008 und 2010 gespeichert, wer auf elektronischem Wege mit wem kommuniziert hat. Es wurden vermeintliche Beziehungsnetzwerke in erster Linie im Drogenhandel analysiert. Vermeintlich, denn alleine aus der Tatsache, dass es Telefonverbindungen gab, ist in vielen Fällen kriminalistisch nichts handfestes abzuleiten.

Wenn ich einen Drogendealer mehrmals kurz anrufe, dann kann ich den aktuellen Deal mit ihm abgesprochen haben und die Lieferung klar machen. Vielleicht hab ich mich aber auch nur mehrfach verwählt oder oder für das Auto interessiert, das er bei Autoscout24 inseriert hatte.

Auf alle Fälle kann ich nicht mehr annähernd im Detail nachvollziehen, wen ich vor sechs Monaten aus welchem Grund angerufen habe. Die Ermittlungsbehörden maßen sich aber an, aus den Anrufen kriminalistisch verwertbare Schlüsse zu ziehen.

Noch heikler sind die Standortdaten der Handies.

2008 etwa haben Ermittler in Niedersachsen Handydaten von rund 10.000 Menschen erfasst. Sie wollten den Täter ermitteln, der einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke auf ein Auto geworfen hatte, wodurch die Fahrerin starb. (Quelle: taz)

Durch diese Daten gerieten ein paar Jugendliche ins Visier der Fahnder, die auch von einem Zeugen gesehen wurden. Der sich hinterher als Täter herausstellte. Aber 10.000 Menschen wurden dafür in einer Art Rasterfahndung überprüft.

Fazit:

Wir werden in Sachen Vorratsdatenspeicherung von den Sicherheitspolitikern gezielt hinters Licht geführt: Mit Argumenten wie „Denkt doch an die Kinder“ wird uns vorgegaukelt, dass die Vorratsdatenspeicherung was ganz tolles ist und niemand dagegen sein dürfte. Und von der reinen IP-Adressspeicherung hätten wir sogar alle Vorteile, weil sich Identitätsbetrug, Stalking, Mobbing und vieles mehr anders nur schwer nachweisen lässt. 

In der bisherigen Konstellation, in der mit der IP-Speicherung auch massive Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis einher gehen sollen, ist die VDS jedoch inakzeptabel.

 

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