Das Thema ist schwierig, denn manche der Argumente, die PEGIDA-Aktivisten und -Sympathisanten vorbringen, klingen oberflächlich plausibel, sind aber am Ende so falsch, dass auch ihr Gegenteil nicht richtig ist.

Ein Versuch.

Ich hatte neulich ja schon darüber geschrieben, dass die PEGIDA-Mitläufer meiner Meinung nach angstbehaftete Menschen sind. Nicht alle vermutlich, aber ausreichend viele.

Angst ist irrational und man kann sie oft nicht argumentativ ausräumen. Dennoch ist das Argument der erste Schritt, denn nach dem Erfahren der objektiven Fakten besteht eher Bereitschaft, die Angst an sich in Frage zu stellen, als ohne dieses Wissen.

In letzter Zeit habe ich mit vielen Menschen gesprochen und geschrieben, die eigentlich gar nicht rechts sind. Eher so links. Und die dennoch Ressentiments der PEGIDA-Propaganda für sich annehmen, teilweise ohne zu wissen, dass es so ist.

Der Islam ist eine expansive und gewalttätige Religion.

Tatsächlich ist die Auslegung der Schriften, die vom IS benutzt wird, expansiv, gewalttätig, kriegerisch. Dadurch ist diese Auslegung aber nicht „der Islam“. Der überwiegende Teil der Moslems weltweit ist friedlich und verurteilt den IS lehnen den IS ab:

Unterstützung des IS in der arabischen Welt, Quelle: ISPI - Istituto per gli studi di politica internazionale

Unterstützung des IS in der arabischen Welt, Quelle: ISPI – Istituto per gli studi di politica internazionale

Unter Moslems gibt es – wie bei allen Religionen – die unterschiedlichsten Konfessionen und die unterschiedlichsten Intensitäten des Glaubens. Die meisten Moslems sind gemäßigt, friedlich oder gar säkular, also unreligiös. Man ist halt Moslem wie man eine bestimmte Haarfarbe hat und weil alle um einen herum die Religion behalten, legt man sie auch aus Gewohnheit nicht ab.

Man praktiziert sie aber so wie der Großteil der Christen: Man hat die eine oder andere Metapher aus der Lehre entliehen und geht bei hohen Feiertagen in die Moschee.

Der Gesamtheit aller Moslems die Gewaltbereitschaft des IS und anderer Islamisten zu unterstellen ist ähnlich falsch, wie dem durchschnittlichen Christen, der nur Weihnachten regelmäßig in die Kirche geht,  die Unterdrückung von Mitgliedern durch die Zeugen Jehova, den Tod einer Nonne bei einem Exorzismus oder die rechtskonservative Unterstützung von Franco oder Pinochet durch Opus Dei anzukreiden.

Aber Christen fangen keine Kriege an wegen der Religion!

Nicht ganz richtig. Nein: Ziemlich falsch. Man muss gar nicht bis zu den Kreuzzügen oder der Hexenverbrennung zurückblättern, obwohl das unlängst sogar in der Frankfurter allgemeinen Sonntagszeitung passierte. Da erinnerte der Bundessprecher der AfD, Konrad Adam, daran, „wie die Christen schon einmal die Türken schlugen“.

Will da jemand „die Türken schlagen“? Bedrohen „die Türken“ gerade uns, oder ist es vielmehr so, dass der Islamische Staat den Nahen Osten bedroht? Und: Es handelte sich damals um einen Glaubenskrieg. Christen gegen Moslems.

Davon abgesehen, dass die Seeschlacht von Lepanto, die er herbeizitiert, diejenige Seeschlacht mit den meisten Toten an nur einem Tag ist (seit 1571 ungeschlagen!), war das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ damals gar nicht dabei, weil es mit dem Osmanischen Reich, das eben nicht die Türkei war, Frieden hielt. Also haben „wir“ damals gar nicht „die Türken“ geschlagen.

Achim Landwehr analysiert hier aus der Sicht eines Historikers ausführlich, was für ein unsäglicher Missbrauch der Geschichte sein Artikel ist.

Aber wir müssen, wie gesagt, gar nicht so weit zurück.

Bis 1998 war der Nordirlandkonflikt alle paar Tage in den Nachrichten. Zwar war der formelle Kriegsgrund die Abspaltung des britisch besetzten Nordirland vom Rest der Insel, aber der Krieg verlagerte sich schnell auf „Katholiken gegen Protestanten“.

Das war ein astreiner Religionskrieg, der auch gegen Zivilisten geführt wurde. Bomben gegen Bomben. Niemand, der in den letzten 20 Jahren Musik gehört hat, sollte behaupten, dass er das nicht wusste:

Der Wikipedia-Beitrag zum Lied beschreibt die Geschehnisse in diesem Krieg über die wenigen Details des Geschichtsunterrichts hinaus:

Den Text des Liedes schrieb Dolores O’Riordan während einer Tour der Band 1993 in England in Erinnerung an zwei Kinder (Jonathan Ball und Tim Parry), die während eines Bombenanschlags der IRA am 20. März 1993 in Warrington getötet wurden. […]

Frederic C. Millet interpretiert Zombie als Metapher, dass Krieg und Gewalt jeden zum Töten ohne Grund befähigen, gleichsam wie Roboter oder als Untote des damaligen Aufstands.

Der Publizist und Religionswissenschaftler Dr. Andreas Meier ist der Ansicht, dass sogar der Kalte Krieg ein Religionskrieg war:

Der „Kalte Krieg“ hat das 20. Jahrhundert politisch und ideologisch fundamental geprägt. In der jüngeren US-Forschung dazu wird immer stärker die These vertreten, dass die Politiker der USA den Kalten Krieg als religiöse Auseinandersetzung verstanden. „Wir stimmen keinem Kompromiss mit dem Teufel zu“, betonte Präsident Truman. Sein Nachfolger Eisenhower ließ sich nach seiner Amtseinführung taufen. Der Konflikt wurde in apokalyptische Szenarien mit biblischen Bildern beschrieben. Die Propaganda operierte mit Höllenbildern und einer Rhetorik, die aus dem Fundus der Religionskriege schöpfte.

Aber Enthauptungsvideos! Entführte Kinder! Autobomben! Diese Brutalität! Das gibt es doch nur noch im Islam!

Daniel Gerlach vergleicht den IS und sein Kalifat – gar nicht abwegig – mit dem Medellín-Kartell. Es handelt sich in beiden Fällen um kriminelle Machtstrukturen, die an sich erstmal den Bankrott der Staatsgewalt signalisieren.

Natürlich ist die Gewalt, u.a. in Form der IS-Enthauptungsvideos, verstörend und beängstigend. Aber ist nicht die Ursache, dass die Angst sich so konzentriert , dass wir die Gewalt auf den Islam an sich projizieren, die Religion, der auch Menschen in unserem Land angehören? Die auch in einer fremden Sprache in Moscheen in unseren Städten gepredigt wird?

Denn in Lateinamerika ist es nicht weniger gewalttätig – und das Enthauptungsvideo als Machtdemonstration wurde dort quasi erfunden:

Mit der Gewalt in Mexiko, Honduras oder Kolumbien scheint das anders: Zunächst ist sie weit entfernt und zumindest scheinbar nicht unser Problem. Doch seit 2006 starben allein in Mexiko weit über 100.000 Menschen im Drogenkrieg, davon allein rund 24.000 im Jahr 2011. Hunderte wurden enthauptet – allein 49 an jenem 13. Mai 2012 beim sogenannten Cadereyta-Massaker im Bundesstaat Nuevo León. Das Kartell „Los Zetas“ führte das Enthauptungsvideo als Markenzeichen ein – es ist heute beinahe gang und gäbe unter den Banden und wird auch an völlig unschuldigen Zivilisten exerziert. […]

Der Narco-Terrorismus baut seinen „Staat“ im Vergleich zu „IS“ unsichtbar. Ohne schwarze Fahnen, ohne Scharia-Gerichte und religiös verbrämte Ideologie. Wobei auch das nicht ganz richtig ist: In Lateinamerika gab und gibt es ganze Provinzen, in denen Narcos herrschen. Mit eigenen Panzern, Schiedsgerichten, Geheimdiensten und ungeschriebenen, aber ehern geltenden Gesetzen.

Es ist also ursächlich gar nicht der Islam, vor dem wir Angst haben müssen, sondern die Machtinteressen und die Skrupellosigkeit bestimmter Gruppen. Heute ist der IS in den Medien. Unter anderem, weil auch bei uns Flüchtlinge aus Syrien leben, die vor dem IS geflohen sind. Dass das Drogenkartell seit den 1980ern das Drogenkartell genauso agiert, ist nur in wenigen Filmen (Traffic – die Macht des Kartells) überhaupt mal  zu sehen und in Serien wie Breaking Bad ansatzweise zu spüren.

Wir sehen, dass die Brutalität des IS uns anscheinend nur deshalb so ängstigt, weil sie sich direkt gegen den gesamten Nicht-Islam wendet.

Aber in den Moscheen wird doch genau der Dschihad gepredigt!

Nein.

Nicht in „den“ Moscheen. Die Moschee, in der die Hamburger Terrorzelle herangezogen wurde, existiert nicht mehr.  Die Mevlana Moschee in Berlin ebenso. Auch dort wird keine Predigt mehr für Millî Görüş abgehalten.

Spricht man mit Moslems, dann sind die radikalen, islamistischen Gruppen etwa so nah am gelebten „Mainstream“ des Islam, wie die Zeugen Jehovas oder Fiat Lux am christliche-abendländischen Weltbild. Natürlich gibt es mit Pierre Vogel sogar einige gefährlich Stimmung machenden Konvertiten, aber angesichts seines Wikipedia-Artikels scheint er ja unter engmaschiger Überwachung der Behörden zu stehen. Wie auch der islamistische Konvertit Sven Lau, von dem morgen die Rede sein wird.

Fazit:

Ich will die Greueltaten des IS und anderer islamistischer Gruppen nicht herunterspielen. Sie sind unsäglich und müssen beendet werden.

Aber wir müssen uns auch einer Tatsache bewusst sein: sie sind keineswegs die Singularität, als die sie derzeit von bestimmten Interessengruppen dargestellt werden. Unsägliche Brutalität und Blutvergießen gibt es eben nicht nur dort. Brutale, blutige Religionskriege unter christlichen Gruppen sind uns zeitlich und räumlich näher, als wir zugeben wollen.

Der Islamische Staat und sein Kalifat müssen gestoppt werden, keine Frage. Aber seine Existenz ist nicht etwas, das zwangsläufig passiert, weil der Islam existiert. Es gibt ähnlich brutale und verurteilenswerte Organisationen und Auseinandersetzungen auch im Christentum oder aus rein wirtschaftlichen Gründen.

„Die Moslems“ sind nicht an der Existenz des IS Schuld.

Morgen geht es an dieser Stelle weiter.

 

 

Kategorien: Allgemein

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[…] ersten Teil habe ich das Thema Religionskriege angeschnitten und demonstriert, dass nicht nur […]

[…] übrigens mal ein lesenswerter Faktencheck zum Antiislamismus in zwei Teilen von Volker König. (via […]

9 Jahre zuvor

Ergänzend ein Schaubild zur gut getroffenen Analyse, was die IS eigentlich ist: http://i.imgur.com/P6pBTls.jpg

[…] ersten und zweiten Teil habe ich versucht, einige der verbreitetsten Ängste und Vorurteile zu […]

[…] Denkfehler (I) | Alles ist wahr. […]