Wir sind auf der Sommerrodebahn und die Zehnjährige wickelt gerade ihr Sechserticket ab. Zwei Biertische weiter sitzt ein Paar um die 30 mit zwei kleinen Kindern. Er ist etwas kleiner als ich, dafür breiter, tätowiert. Trägt ein helles, ärmelloses Shirt. Sein Schädel ist kahlrasiert, er trägt Koteletten. Die Sonnenbräune zeigt, dass er meistens eine Cap trägt.
Abgesehen von Alter und Tattoos ist kein großer Unterschied zwischen uns. In seinem Alter habe ich auch Muscle Shirts getragen.
Sie trägt Jeans und ein schwarzes Trägertop, Tattoos, Piercings an der Lippe. Eine dünne Silberkette um den Hals mit Anhängern.
Als ich uns einen Kaffee hole, steht er direkt vor mir an der Getränkeausgabe des Biergartens. Außen auf seinem Shirt steht hinten am Halsausschnitt der Markenname.
In Runen.
Thor Steinar.
Als ich wieder am Tisch bin fällt mir das offenbar selbst aufgenähte Symbol auf der Brust auf. Dort, wo wir bei den alten Bundeswehrsporthemden den Bundesadler trugen, hat er einen stilisierten Adler, wie er zwischen 1933 und 1945 auf vielen Gebäuden angebracht wurde. Klassizistisch, als ob Speer ihn für ein Landgericht oder ein Stadion in Auftrag gegeben hätte.
Während ich nach Reichsadlern google, steht die Frau auf und ich sehe auf ihrer Brust einen großen Siegerkranz und darin die Zahl 88.
Da sitzt er also, der hässliche Deutsche. Er trinkt Cola, isst Brezn und hat zwei niedliche Kinder, denen er Bockwürste füttert.
Um den Hals der Frau hängen mehrere Anhäger, der eine, den ich erkenne, ist das stilisierte dreiarmige Hakenkreuz der Triskele.
Sie hat auf dem Arm ein Tattoo, das merkwürdig unerkennbar aussieht. Es könnte mal ein Hakenkreuz oder eine Schwarze Sonne gewesen sein, über die ein anderes Bild tatöwiert wurde. Ein Blitz, den er im Nacken trägt, könnte mal eine Wolfsangel gewesen sein.
„Zschäpe war gestern“ schreibt die taz:
Während der NSU-Komplex genau untersucht wird, sind Nazis etabliert wie nie. Sie fallen wenig auf, übernehmen zunehmend öffentliche Ämter.
Sie wissen, was sie tun, und was sie sich erlauben dürfen. Weder hier in Bayern noch im Rheinland könnte die Polizei wegen des Tragens von verbotenen Symbolen gegen die Kleinfamilie zwei Tische weiter einschreiten. Trotzdem tragen sie ungeniert ihr menschenfeindliches Menschenbild vor sich her.
Zumal: Hier in Bayern. Seehofer hetzt über „massenhaften Asylmissbrauch“ und der Stammtisch thematisiert das Geld, dass man Flüchtlingen quasi in den Rachen wirft, mit dem sie uns auf der Tasche liegen. Kosten, die kaum 20€ pro Jahr und Bundesbürger betragen, was aber niemand hinterfragt. Unser Geld! Deutsches Geld!
Ebenso hinterfragt niemand, dass ausgerechnet in Bayern ein generelles Arbeitsverbot für Flüchtlinge herrscht. Während geduldete Flüchtlinge bundesweit unter bestimmten Bedingungen Arbeit annehmen dürfen, herrscht in Bayern ein striktes Verbot.
Das fühlt sich perfide an: Kein Flüchting kann hier überhaupt den Beweis antreten, dass er für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann und keineswegs „durchgefüttert“ werden will. Eine Integration kann mit dieser wirtschaftlichen Situation nur in die unterste Ebene der Unterschicht erfolgen, wo die Kriminalität per se höher ist.
Die hohe Ausländerkriminalität wird zu einer Self Fulfilling Prophecy für Menschen, die keine Statistiken lesen können oder in ihrem Leben nie über die Lektüre BILD hinaus kamen.
Am selben Tag findet in meiner Heimatstadt eine Demo statt.
Auslöser ist eine provisorische Flüchtlingsunterkunft n der Turnhalle.
Nachdem vermutlich von NPD-Mitgliedern ausländerfeindliche Aufkleber und Flugblätter verteilt worden waren, regte sich die bürgerliche Mitte um den katholischen Dorfpfarrer. Als auf Facebook die ersten Nörgeleien laut wurden, weil die Kinder nun keine Turnhalle mehr hätten, verdonnerte er von der Kanzel herab die Gemeinde zur Unterstützung.
Ehrenamtliche Deutschlehrer fanden sich, parallel und unabhängig gründete sich die Flüchtlingshilfe, die Betreuung, Kleider und Bedarfsgegenstände organisiert. Und zusammen mit dem Pfarrer die Demo.
Google hat gerade eine Karte gelöscht, mit der man die Standort existierender und geplanter Flüchtlingsheime visualisieren konnte. Eine Landkarte als Zielscheibe für Biedermänner, die zu Brandstiftern werden, weil sie sich von rechter Propaganda eine einfache Lösung für ihre komplexen Probleme erwarten: „Die“ oder wir, also raus mit Euch.
Bei Diskussionen neigen sogar intelligente Menschen dazu, lieber mit Konjunktiven über die Probleme in den Krisengebieten zu diskutieren und was an machen müsste, statt sich der Menschen anzunehhmen, die zu uns flüchten. Als ob sie vor einem brennenden Haus stehen und, statt Leben zu retten, die Türen verrammeln und mangelhafte Brandschutzgesetze anprangern.
Deutschland im Jahr 2015.
Immerhin gab es bei uns eine Demo für Toleranz und Unterstützung noch bevor ausländerfeindliche Organisationen etwas anmelden konnnten.
Davon brauchen wir mehr.
Viel mehr.
[…] zum Thema herausgefischt, alle von gestern: “Sterbende Dörfer fest in rechter Hand”, “Der hässliche Deutsche”, “Die Fremdenfeindlichkeit sitzt in der Mitte der […]
[…] (15) Volker König mit „Der hässliche Deutsche“ […]