Wiedermal das BKA, wiedermal das Sommerlochfüllthema.
Nach dem Fahndungserfolg von neulich fanden die BKAler erneut kinderpornographisches Videomaterial, das offensichtlich aus Deutschland stammte, und veröffentlichten Bilder des Täters.
Im Gegensatz zum letzen Mal fand sich das Videomaterial aber nicht in einer Internettauschbörse für einschlägiges Material, sondern ruhte offenbar seit letztem Jahr in der Asservatenkammer. Und stammte aus dem Jahr 1993. Also 16 Jahre alt.
Und keine 24 Stunden später ist der Täter identifiziert, aufgespürt, und ein Epic Fail aktenkundig: Ja, die Taten sind vor 1994 begangen worden, ja, der Täter ist identifiziert und dingfest gemacht worden. Und er stand für diese Taten bereits 1994 vor Gericht, wurde verurteilt, kam in eine psychiatrische Klinik und lebt heute im Betreuten Wohnen.
Das wirft natürlich juristische und andere Fragen auf.
Hätte diese Fahndung überhaupt auf diese Weise durchgeführt werden dürfen? Die Bilder eines potenziellen Straftäters so darzubieten ist ein mehrfacher Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, der Pranger wurde zu Recht abgeschafft. Udo Vetter schreibt dazu anhand des geschätzten Alters der Opfer:
Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern, dazu gehört auch das “Anstiften” zu sexuellen Handlungen an Dritten, verjährt in zehn Jahren. Dank einer Sonderregel beginnt die Verjährung frühstens mit Vollendung des 18. Lebensjahres.
Wie das BKA selbst schreibt, dürften die Opfer heute 27 bis 31 Jahre alt sein. Sie müssten also im Video eher älter wirken als sie tatsächlich waren, damit die Straftat heute überhaupt noch verfolgt werden kann. Möglich ist das. Aber auch so naheliegend, um noch einen derartigen Aufruf zu rechtfertigen?
Die nächste Frage ist: Hat das BKA keine Akten über solche Verfahren? Angenommen, heute fallen ihnen Beweise für einen Mord in die Finger, sie fahnden nach einem Tatverdächtigen anhand von Fotos – und finden ihn inhaftiert in Stammheim?
Oder gar, 15 Jahre nach seinem Freispruch in derselben Sache, an seinem Arbeitsplatz? Wo sie ihn nicht freundlich ansprechen, sondern wegen der vorliegenden Flucht- und Verdunklungsgefahr, so er denn der Täter ist, gewaltsam festnehmen? Um dann, nach zwei Wochen Untersuchungshaft, ihren Fehler zu erkennen?
Woraufhin er seinem Arbeitgeber, der Frau, mit der er seit 12 Jahren verheiratet ist und seiner 8jährigen Tochter, den Nachbarn, den Kollegen, erklären muss, dass er freigesprochen wurde, dem tatsächlichen Täter nur ähnlich sah, ein Alibi hatte etc? Sein Freispruch gar „wegen erwiesener Unschuld“ und nicht „aus Mangel an Beweisen“ erfolgte? Und das alles wegen schlampiger Arbeit des BKA?!?
Die nächste – und für mich wichtigste – Frage ist die des Opferschutzes.
Sexueller Missbrauch ist ein schweres Delikt, es hinterlässt auch schwerwiegende Schäden in der Seele der Opfer. Im vorliegenden Fall haben die Opfer 16 Jahre lang aufarbeiten können, was ihnen passiert ist, um jetzt wieder mit dem Täter und damit der Erinnerung an ihre Erlebnisse konfrontiert zu werden. Und der Angst, die in der Fahndung geschürt wird: „Was, er wurde verurteilt und hat danach weitergemacht?“
Und noch einen drauf: Nach der letzten Fahndung hatte das BKA ja schon sehen können, wie Täterfotos, die einmal in den Medien sind, dort bleiben, und auch diesmal, berichtet BILDBlog, bleiben die Bilder natürlich verfügbar. Obwohl es bei einem Täter, der verurteilt wurde und seine Strafe abgesessen hat, natürlich gegen den Pressekodex verstößt.
Und wieder können die Opfer sich dem Anblick des Täters eine Weile nicht entziehen.
Aber mit dem Opferschutz hat das BKA es offenbar nicht so. Wie sehr schön zum Jahreswechsel 2006/2007 erkennbar. Der Polizei waren Bilder eines sehr jungen Mädchens in die Hände gefallen, die „ins Internet gestellt“ wurden, und wo sie sich selber nackt aufgenommen hat. Aktenzeichen XY ungelöst berichtete darüber zur Freitagabendprimetime. Und was passierte?
Das Mädchen wurde identifiziert. War inzwischen 13, hatte die Bilder vermutlich mit 11 Jahren selber per Fernauslöser gemacht.
Da frag ich mich: Wie kommt das BKA auf die Schiene, dass hier ein Opfer zu retten ist? Offensichtlich kann auf den Bildern kein Täter zu sehen gewesen sein, kein Hinweis auf wiederholte Taten, kein eindeutiger Hinweis auf eine Tat an sich, denn „Sexting„, also das gegenseitige Zusenden von Nacktbildern per Handy, ist heute nichts ungewöhnliches mehr – weder in den USA noch bei uns, und per Computerchat und Internet noch viel billiger als via MMS:
Laut einer US-amerikanischen Studie der National Campaign to Prevent Teen and Unplanned Pregnancy haben 20 Prozent der 13- bis 19-Jährigen […] bereits Sextings versendet. (Wikipedia)
Bei einer Hand voll Bilder, auf denen das Mädchen alleine zu sehen ist und kein Täter erkennbar, ist da eine öffentliche Fahndung zu ihrer „Rettung“ gerechtfertigt? Hätten die Ermittler angesichts der Rahmenbedingungen nicht erkennen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen inländischen Dutroux zu fassen, eher gegen Null tendiert?
Zwar wurde sie von einem Mann, den sie im Chat kennen gelernt hatte, dazu angestiftet und das ist und bleibt eine Straftat und der Täter kriminell, aber auf der anderen Seite ist der Schaden, der ihr durch dieses Erlebnis an sich entstanden ist, sicherlich geringer, als der Schaden, der ihr durch diese polternde Fahndung entstand. Denn wie SPIEGEL ONLINE – leider sehr unreflektiert – berichtet:
Nach Angaben der Gießener Behörde identifizierte die eigene Mutter das Mädchen, nachdem sie die Bilder des Kindes in der Zeitung gesehen hatte. Inzwischen hätten auch Schulkameraden des Mädchens sie identifiziert.
Toll. Den ihren Schultag nach diesem Fernsehbericht will ich mir gar nicht vorstellen. Ohne die Fahndung wäre die Sache mit etwas Glück in der Schublade geblieben, in der auch die eingeschlagene Scheibe, die zerkratzte Autotür und das geklaute Kosmetikset für die Barbie ruhen und vergessen wurden.