Unser politisches System und das Wahlsystem hat einen großen Pferdefuß: Ich kann die Parteien nur als Ganzes wählen. Eine thematische Differenzierung findet bei der Stimmabgabe nicht statt.
Und das führt dazu, dass alle Parteien zwangsläufig alle Themen besetzen müssen, wodurch in der Presse immer nur Schlaglichter der Parteiprogramme thematisiert werden. Und das ist für viele Wählerinnen und Wähler ein Problem.
Niemand ist im heutigen Information Overkill noch in der Lage, die Wahlprogramme selber zu vergleichen, also sind wir auf die Presse oder Interessenverbände angewiesen.
Ich fänd es schön, wenn ich meine Stimme nur für bestimmte Themen vergeben, also stückeln, könnte. Ich bin Tierfreund und Vegetarier und würde gerne der Tierschutzpartei für die Themen Tierzucht, Ernährung und Jagd meine Stimmen geben. Da ich auch (freiberuflich) arbeiten muss, um Geld zu verdienen, damit ich essen kann und die nächste Wahl noch erlebe, würde ich gerne für diesen Teil der Themen der F.D.P. meine Stimme geben, weil sie sich in dieser Hinsicht am meisten mit meinen Wünschen deckt.
Genauso würde ich meine Stimme nach Themen auf die anderen Parteien verteilen, und vielleicht würde sogar die CDU ein Fünkchen davon bekommen, wenn ich im Moment aber auch nicht wüsste, für welches Thema.
Aber so ist es nicht. Ich mache ein Kreuz bei einer Partei und wähle sie für alle Themenbereiche.
Daher könnte mir ein bestimmter Themenbereich einer Partei noch so gut gefallen – wenn sie als Parole „Minarettverbot!“ auf Plakate schreibt und damit um Wählerstimmen bettelt, ist sie unwählbar.
Und in diesen aufgewühlten Ozean haben sich die Piraten aufgemacht, mit einer von der Presse oft missverstandenen politischen Richtung.
„Piraten? Die wollen doch das geistige Eigentum abschaffen!“ hörte ich von einer empörten guten Freundin, als ich mal äußerte, dass ich die vielleicht wähle. Und sie wäre zu Recht empört, wenn die Abschaffung geistigen Eigentums tatsächlich auf der Agenda stünde. Denn als Musikerin und Songwriterin braucht sie zuweilen das Recht auf freie Meinungsäußerung, um arbeiten zu können, aber auch das Recht, an ihrem geschützten geistigen Eigentum verdienen und davon leben zu können.
Dass die Piraten auf ihrem Parteitag einen Herrn Thiesen dann doch noch vor die Tür setzen konnten, war erforderlich. Wie ich an anderer Stelle schon geäußert hab ist das Ermittlungsverfahren gegen Jörg Tauss schon Stigma und politische Hypothek genug – da spielt es keine Rolle, ob ich sicher bin, dass er freigesprochen wird, oder nicht. Cem Özdemir hat wegen ein paar Bonusmeilen, die moralisch nicht völlig sauber, juristisch jedoch unfehlbar abgerechnet waren, seine Ämter niedergelegt und eine kleine Büßer-Auszeit genommen. Und ist nicht nach dem Niederlegen der Ämter in der einen Partei direkt in die nächste durchgestartet.
Dann das Interview mit der Jungen Freiheit und der Umgang damit. Andreas Popp gab es und wusste nicht, dass es sich um eine Zeitung mit extremrechter Zielgruppe handelt. Ich hab nun selber genügend Menschen interviewt um zu sagen: Leichtsinnig. Es gibt sogar Menschen, die mir für einen Artikel in der „taz“ kein Interview gegeben haben.
Die diesbezügliche Argumentation der „Gesamtpartei“ in Foren, Blogkommentaren und Tweeds zeigt eine Rabulistik, wie Zensursula sie nicht besser beherrscht: Es werden Listen rumgegeben, wer denn alles der JF schon Interviews gegeben hätte – nun, ich unterstelle mal, dass diese Personen wenigstens wussten, auf welches Glatteis sie sich begeben, und nicht erst von einer entrüsteten Menge darauf gestoßen zu werden.
Persönlich sehe ich es, um es mit einem Tweed von Udo Vetter zu sagen, so:
Wenn mir die „junge freiheit“ vernünftige Fragen stellt, würde ich die auch beantworten. Ich brauche keine Gedankenpolizei.
Allerdings weiss ich auch, worauf und mit wem ich mich einlasse.
Da hilft es auch nicht, dass die Piraten weder links noch rechts sein wollen – da ist sogar Horst Schlämmer weiter. Seine Partei ist links, konservativ und liberal. Wie, zum Kuckuck, kann ich mich mit einer Partei identifizieren und dort geborgen fühlen, die meine persönliche politische Geschmachsrichtung per se verneint, wie sie jede andere Geschmacksrichtung auch verneint?
Und weiss auch, dass in der öffentlichen Meinung lange Sachverhalte meist unzutreffend gekürzt werden. Die Grünen zum Beispiel argumentierten mal im Wahlkampf mit „Benzin soll 5 DM pro Liter kosten“ – weiss noch jemand, wie der Satz weiterging? Na? Keine Hand? Da hinten? Ah, ja, genau, „…und von den Steuermehreinnahmen wird der öPNV ausgebaut, damit wir weitgehend und ohne Komfortverlust auf Autos verzichten können.“
Was ist damals im Wahlkampf hängen geblieben? Genau: Die Grünen wollen das Benzin teuer machen.
Was bleibt in diesem Wahlkampf von den Piratenargumenten hängen *)?
- Die Piraten wollen das geistige Eigentum abschaffen – freier Download für alle?
- Die Piraten haben diese Kindeprornoabgeordneten zum Parteivorsitzenden gewählt
- Die Piraten wollen Killerspiele für alle!
- Die Piraten schließen keine politische Ansicht aus, also wählste die heute und morgen koalieren sie mit weiss Gott wem!
Den Piraten fehlt noch ne Menge Skill in Sachen Propaganda. Denn Wahlkampf ist nichts anderes. Und sie sind zu ehrlich. Denn, wie schon Liebknecht sagte:
Aufrichtigkeit ist die edelste Form der Dummheit…
Wahlen gewinnt man mit ihr aber nicht.
*) Überzeichnungen verdeutlichen Argumente, hab ich mal gehört.