Gestern war es auf Twitter mal wieder soweit. „Hitler war auch Vegetarier.“ Beiläufig getwittert und zweimal retweetet.
Den Kontext, in dem der Satz gesagt wurde, lass ich außen vor, denn es geht mir um das generelle Argument, dass Hitler auch dies oder das oder jenes war, getan oder unterlassen hat.
Derartige „scheinwahre“ Hitlervergleiche sind immer Zündfunken für heisse Diskussionen. Klar, Vegetarier nerven mitunter. Man muss für sie separat kochen, wenn sie zu Besuch kommen. In Restaurant erkennt man sie an peinlichen Diskussionen über die genauen Zutaten eines Gerichts, die sie mit den Bedienungen führen.
Und wenn man mit ihnen darüber spricht, warum sie kein Fleisch essen, hat man immer das Gefühl, dass sie einem ein schlechtes Gewissen machen wollen, weil man selber tote Tiere isst.
Da kommt das „Volkswissen“, dass der GröFaZ daselbst auch GröVegaZ war, gerade recht. Mit einem gepflegten Hitlervergleich hebt man jede sachliche Diskussion auf ein angenehm persönliches Niveau. Da zeigen sich wahre Freundschaften und dem Kreislauf tut es auch gut.
Dabei ist es eher umstritten, ob Hitler wirklich über einen nennenswerten Zeitraum Vegetarier war oder doch nur zwischen den Mahlzeiten auf Fleisch verzichtete.
In der englischsprachigen Wikipedia wird Hitler als „Vegetarier“ bezeichnet und das Ganze im selben Satz widerlegt:
After the early 1930s, Hitler generally followed a vegetarian diet, although he ate meat on occasion. There are reports of him disgusting his guests by giving them graphic accounts of the slaughter of animals in an effort to make them shun meat
(Wikipedia)
Egal, ob er nun den Vegetarismus aus Liebe zu den Tieren oder aus Angst vor Krebserkrankungen für eine gute Wahl hielt: Er war kein Vegetarier, weil er eben doch belegt, nachgewiesen und unstrittig Fleisch aß. Die deutschsprachige Wikipedia ist da präziser:
Hitler verstand sich selbst als Vegetarier, und die meisten Biografen stimmen darin überein, dass er sich seit 1930 zumindest überwiegend vegetarisch ernährte.
(Wikipedia)
Die – ebenfalls im deutschsprachigen Artikel erwähnte – mögliche Deutung dieses Verhaltens war der Nimbus des Asketen:
Zusammen mit weiteren asketischen Zügen, wie die angebliche sexuelle Enthaltsamkeit und Alkohol-Abstinenz, sollte Hitler zu einem entrückten, höheren Menschen stilisiert werden, der sich vollständig in den Dienst seines Volkes stelle.
(Wikipedia)
Das Hitler-Argument ist also nicht nur ziemlich niveaulos, sondern auch noch ziemlich falsch. Das gleiche gilt beim teilweise behaupteten Antialkoholismus – es war Propaganda:
Nur, weil ein Diktator, Kriegsverbrecher, Massenmörder oder Bundesbankpräsident Raucher oder Nichtraucher war, Hosen oder Schuhe trug oder gar Haare auf dem Kopf hatte ist das nicht verwerflich.
Verwerflich weil unsachlich sind hingegen Hitlervergleiche.