„Alleinerziehende müssen Vollzeit arbeiten“ geht es seit gestern durch die Kommentarspalten im Internet. So titelt auch der SPIEGEL. Und Schuld ist der BGH. Doch wenn man den Artikel komplett liest, stellt man fest: Der BGH hat nur das Gesetz gelesen.
Seit 2008 ist das mit dem Unterhalt nach der Scheidung so geregelt, dass beide Ex-Partner eigenverantwortlich für ihren Unterhalt sorgen müssen. Dazu steht im § 1568 BGB:
Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Ist er dazu außerstande, hat er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach den folgenden Vorschriften.
Was das im Zusammenhang mit den „folgenden Vorschriften“ heisst, kann zum Beispiel hier in einem verständlichen Diagramm nachgelesen werden.
Haben die Partner keine Kinder, sind sie einfach getrennt.
Haben sie Kinder unter drei Jahren, muss die Mutter (die in der Rechtspraxis in 99% der Fälle die Kinder betreut) nicht arbeiten. Es gibt erst Krippen für Kinder ab 3 Jahren, das ist also eine sinnvolle Regelung.
Wie das bei Kindern ab drei Jahren ist hängt vom Einzelfall ab. Der betreuende Ehepartner muss dann insoweit arbeiten, wie für die Kinder Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Haben die Kinder einen Krippenplatz, bei dem sie vormittags betreut sind, muss der betreuende Elternteil halbtags vormittags arbeiten. Ist eine Ganztagesbetreuung vorhanden, muss folgerichtig vollzeit gearbeitet werden. Das dabei verdiente Geld kompensiert die subsidiäre Unterhaltspflicht des anderen Elternteils. Das heisst: Ist kein Krippenplatz verfügbar (oder wenigstens kein geeigneter Krippenplatz), muss der betreuende Elternteil nicht arbeiten.
Was war jetzt im konkreten Fall? Ich zitiere hier am besten das, was im vermutlich nur von wenigen komplett gelesenen SPIEGEL-Artikel steht:
Die Frau arbeitete halbtags und hatte von ihrem Ex-Mann zusätzlich Unterhalt von 440 Euro monatlich für ihre Tochter erhalten, die in die dritte Klasse geht.
Also hatte die Mutter einen Arbeitsplatz, den sie mit der Schule „synchronisieren“ konnte.
Der Vater meinte, das Kind könne nachmittags in einer Krippe o.ä. betreut werden und klagte.
Sowohl das Amtsgericht Grevenbroich als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnten diese Klage ab. Es würde zu einer nicht zu verlangenden Mehrbelastung der Frau führen, wenn sie sowohl ganztags arbeiten als auch das Kind versorgen müsse, hieß es damals.
Wer das oben verlinkte Diagramm gelesen hat wird dort den Grund „nicht zu verlangenden Mehrbelastung“ durch Kinderbetreuung nicht finden. So eine Mehrbelastung kann ein Grund sein, muss aber im Einzelfall begründet werden – hier wurde sie nur behauptet, unbeantwortet war die Antwort auf die Frage: Was ist bei diesem Kind anders als bei anderen?
Das stellte auch der Bundesgerichtshof fest:
Das OLG habe „keine durchgreifenden individuellen Einzelumstände angeführt“, warum das Kind am Nachmittag von der Mutter persönlich betreut werden müsse, so die Karlsruher Richter. Es sei auch nicht begründet worden, warum eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu einer „überobligatorischen Belastung“ der Mutter führen könnte. Denn das könne „nicht pauschal, sondern nur auf der Grundlage der individuellen Verhältnisse“ begründet werden.
Und was machte der BGH? Verpflichtete er die Mutter, ganztags zu arbeiten?
Eben nicht:
Der Familiensenat des BGH hat nun die Urteile aufgehoben und verweist den Fall an das OLG Düsseldorf zurück.
Der BGH tat das, was er musste: Die Entscheidungen der Vorgerichte waren nicht hinreichend begründet, um eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung zu fällen. Daher hob er die Urteile auf und sagte den Vorinstanzen: „Hey, das geht so nicht, macht das mal richtig.“
Muss die Mutter in diesem Einzelfall also in Vollzeit arbeiten?
Das steht noch gar nicht fest. Wir werden wir vielleicht erfahren, wenn in Grevenbroich und ggf. in Düsseldorf neue und wasserdichte Urteile gefällt wurden.
Die Schlagzeile „Alleinerziehende müssen Vollzeit arbeiten“ spiegelt also nur die Grundannahme des neuen, seit 2008 gelten Scheidungsrechtes wider und ist mitnichten eine neue Erkenntnis.
Sie ist nur Polemik.
Weitere, ausführlichere Informationen zum Urteil gibt es hier.