Als Philip K. Dick seine Kurzgeschichte „Der Minderheiten-Bericht“ schrieb, thematisierte er einen Wunschtraum, den viele Sicherheitspolitiker bis heute haben: Das Aufspüren von Kriminellen bevor sie überhaupt ihre Tat begehen.
Während Dick das Aufspüren der zukünftigen Täter in die Hände von Personen legte, die mit Hilfe von Drogen hellseherische Fähigkeiten bekamen, schlagen Forscher in der realen Welt andere Wege ein.
Präkognition ist nun nicht unbedingt ein Feld, in das seriöse Wissenschaftler und Politiker viele Hoffnungen stecken. Stattdessen wird immer wieder versucht, mit technischen Mitteln Einblicke in das menschliche Gehirn und die Gedanken, die darin gerade gedacht werden, zu bekommen.
Da gibt es beispielsweise gerade einen Bericht aus Berkeley, der so klingt, als könne man in wenigen Jahren auch gegen den Willen einer Person nachvollziehen, was sie träumt oder sieht. Dass es weder neu aber doch nur ein erster Ansatz ist und auch nicht unbedingt den praktischen Nutzwert hat, den die Begeisterung über das Experiment vorgaukelt, wurde aber auch schon ausgeführt.
Eine andere Meldung fiel mir gestern in die Finger und führte in einer Facebook-Gruppe schon zu einer sehr fruchtbaren Diskussion.
„Hirnscanner erkennt pädophile Neigungen bei Männern“ titelte die WELT und selbstverständlich hat auch der Sender mit den anscheinend meisten Fachleuten für Sexualdelikte, RTL, einen Bericht gebracht und die Forscher interviewt.
Was machen die Forscher?
Mit einem bildgebenden Verfahren können schon länger die Aktivitäten innerhalb der Gehirnareale sichtbar gemacht werden. Bestimmte Areale können schon seit Jahrzehnten bestimmten Emotionen und Aktivitäten zugeordnet werden. Da drängt sich ein Experiment geradezu auf:
Den Probanden wurden wenige Sekunden lang Bilder von nackten Kindern und von nackten Erwachsenen gezeigt.
Die mittels funktionellem MRT gemessene Hirnaktivität auf die jeweiligen Bilder wurde einem automatischen Klassifikationsprogramm zugeführt, das nach Angaben der Forscher eine Zuordnungssicherheit von 95 Prozent erzielte. Bei pädophilen Männern waren beim Betrachten von nackten Kindern andere Hirnareale aktiv, als bei gesunden Männern. Die mit der neuen Methode erreichte Treffsicherheit wurde nach Angaben der Autoren bislang von keinem anderen Testverfahren auf Pädophilie erreicht.
Quelle: Die WELT
„Jetzt kann man den Tätern nachweisen, dass sie pädophil sind!“ war natürlich eine der ersten Reaktionen und völlig verständlich. Ich hab das auch im ersten Moment gedacht. Aber der Gedanke ist zu kurz gefasst.
Sexualität dient – was zunächst verwirrend klingt – nicht nur der Befriedigung rein sexueller Bedürfnisse. Wir sind nunmal keine nach einem Bauplan geschaffenen Maschinen, sondern jeder von uns ist „anders gestrickt“. Und es gibt reichlich Menschen, bei denen Sexualität weniger auf sexuellen Reizen beruht, sondern auf Machtausübung oder Unterwerfung. In vielen Fällen kommt es bei Personen, die diese Spielarten praktizieren gar nicht zwingend zu sexuellen Handlungen, der „Lustgewinn“ wird auch aus dem Einnehmen der Rollen gezogen. Solange das im Konsens der Beteiligten geschieht mag das für Außenstehende verstörend sein, aber ist eine legale und nicht zu beanstandende Spielart, auch, wenn Alice Schwarzer das in ihren Berichten über den Kachelmann-Prozess immer wieder anders sah.
Natürlich spiegelt sich diese Spielart auch bei Sexualstraftätern wider. Es sind ausreichend Fälle dokumentiert, wo sich bei Serientätern durch die erforderliche Gewaltausübung der Reiz verschoben hat, und die späteren Opfer nicht mehr missbraucht, sondern „nur“ noch bestialisch getötet wurden. Und sowas kann durchaus in Einzelfällen auch schon die erste Tat motivieren – wie im Bericht von RTL ausgeführt hatte der Mörder von Mirco, der in Krefeld aktuell verurteilt wurde, offenbar gar keine sexuellen Absichten, sondern wollte augenscheinlich nur Macht ausüben.
Auf diese Weise kann also nur ein Teil der Täter erkannt werden. Und – Moment! – es kann genau genommen gar kein Täter erkannt werden. Es kann mit 95%iger Sicherheit erkannt werden, ob eine Person durch Kinder sexuell erregt wird. Das sagt recht wenig darüber aus, ob diese Person mal zum Täter wird. Auch in einem Prozess sagt das nichts aus. Mal unterstellt, es gäbe zwei Verdächtige, einer wird per Gehirnscan als zurecht pädophil erkannt, der andere nicht – anhand der Tat ist nicht zu erkennen, ob eine Sexualstraftat als Form der Machtausübung stattfand oder aus sexueller Erregung. Würden Verdächtige derart gescannt, fielen alle rein macht- oder gewaltorientierten Täter durch das Raster und es gäbe eine trügerische Sicherheit:
Vorsichtige Schätzungen gehen von 50.000 bis 200.000 pädophilen Menschen in Deutschland aus.
Quelle: www.kidsschutz.de
Trotz der vermuteten hohen Dunkelziffer sollte man davon ausgehen, dass der Großteil der pädophil veranlagten Menschen keine Straftaten begeht. Würden derartige Gehirnscans also vor Gericht genutzt, um einen (rechtlich höchstwahrscheinlich sowieso nicht haltbaren) Schuldbeweis zu finden, liegt auf der Hand, dass durch die Ergebnisse Täter ent- und Unschuldige belastet werden, also echte Täter weiter frei herumlaufen. Weiterhin besteht die Gefahr, dass sexuelle und machtorientierte Reize als Motivation zu unterschiedlichen Strafmaßen führen – das will wirklich niemand, denn die Tat bleibt ungeachtet der durch sie befriedigten Triebe dieselbe.
Die Methode ist also – genauso wie der Polygraph – als forensische Methode vollkommen ungeeignet, da sie keine Hinweise darauf bringt, ob eine Person eine Tat begangen hat. Sie gehört in die Scheinwelt der CSI-Serien verbannt.
Und wie ist das mit einer Art „Pädophilieprophylaxe“, einem Scan, um mutmaßliche Täter zu finden? Damit potentielle Täter nicht beruflich mit Kindern in Kontakt kommen?
Da sind wir genau bei dem Problem, das Philip K. Dick in seiner Kurzgeschichte beschrieben hat: Es kann nur festgestellt werden, welche Personen von Kindern sexuell erregt werden, nicht, welche Personen zu Tätern werden. Und selbst diese Trefferquote ist trügerisch.
Angenommen, man würde alle Männer ab 16 Jahren derart scannen, um Pädophile zu erkennen. Bei den angenommenen bis zu 200.000 Pädophilen und 95% Trefferquote würden 10.000 der Betroffenen gar nicht erkannt. Auch wenn das akzeptabel erscheint – die Gegenprobe gibt zu Denken.
2009 lebten in Deutschland 81,8 Millionen Menschen, davon waren 70,8 Millionen älter als 15. 49,03% der Bevölkerung sind männlich, das entspricht 34,7 Millionen Männern über 15 Jahren.
Eine Trefferquote von 95% klingt zunächst hervorragend, aber sie entspräche 1,7 Millionen fälschlicherweise als pädophil eingestuften Männern.
Es würde also eine Zahl von Menschen, die der Bevölkerung von Hamburg entspricht, in ihren Grundrechten z.B. auf freie Berufswahl eingeschränkt, um zu verhindern, dass 200.000 Personen (ungefähr die Einwohnerzahl von Mainz) also 12% von ihnen, weniger Chancen bekommen, Täter zu werden? Hier führen die 95% Trefferquote zu einer realen Fehlerquote von 88%!
Nochmal die Zahlen zusammengefasst:
- Sexuellen Straftaten an Kindern beruhen nicht zwangsläufig auf sexuellen Reizen.
- Die vorgestellte Methode kann lediglich erkennen, ob eine Person von Kindern sexuell erregt wird, Personen, bei denen die Machtausübung den Reiz auslöst, werden nicht erkannt
- Es kann nicht erkannt werden, ob eine Person eine bestimmte oder irgendeine Tat begangen hat.
- Derzeit geht man von bis zu 200.000 pädophilen Menschen in Deutschland aus, die auf diese Weise erkannt werden könnten
- Bei 95% Trefferquote und 34,7 Millionen männlichen Personen über 15 würden hingegen bis zu 1,7 Millionen Personen falsch positiv erkannt
Die Autoren der Studie sind davon überzeugt, dass das von ihnen entwickelte neue Verfahren in Zukunft zur objektiven Diagnose einer Pädophilie genutzt werden kann.
Quelle: Die WELT
Nennen wir dieses Forschungsergebnis nun eher „seriös“ oder eher „mediengeil“?