Nein, keine Angst, kein Fernkurs. Soviel Ahnung vom Urheberrecht hab ich auch nicht.
Aber das Thema verfolgt mich seit der Schule und ich stelle fest, dass die gesetzlichen Regelungen von der Digitalisierung geradezu überrollt wurden. Ich meine von der Digitalisierung der letzten 30 Jahre.
Da es viele Aspekte gibt, werde ich sie in mehrere Pakete gliedern.
Während des Studiums hatte ich das Glück, in direkter Näher der Zentrale unserer Stadtbibliothek zu wohnen, wo alle erforderlichen Gesetzestexte, -kommentare und Fachzeitungen ausreichend aktuell vorhanden waren. So konnte ich mir den Weg in die Bibliothek der Hochschule sparen.
Die Zentralbibliothek hatte auch eine Musikabteilung, in der man die Partituren aller erdenklichen klassischen Musik einsehen und ausleihen durfte. Allerdings befand sich in der Nähe der Musikabteilung kein Fotokopierer. Und an den anderen Kopierern hing ein deutliches Schild mit einem Sinnspruch:
Das Kopieren von Noten
ist gesetzlich verboten
„Wieso das?“ fragte ich mich. Schließlich darf ich Artikel aus Fachzeitungen und Passagen aus Fachbüchern kopieren, die Bücherei zahlt wie jeder Inhaber eines Kopierers Gebühren für Gerät und Verbrauchsmaterial an die Verwertungsgesellschaften und die schütten es an die Urheber der kopierten Seiten aus. Bei klassischer Musik kam dazu, dass das Urheberrecht an ihr in den meisten Fällen schon 70 Jahre nach dem Tod der Komponisten verfallen war.
Doch im §53 Absatz 4 des Urhebergesetzes steht:
(4) Die Vervielfältigung
a) graphischer Aufzeichnungen von Werken der Musik,
b) eines Buches oder einer Zeitschrift, wenn es sich um eine im wesentlichen vollständige Vervielfältigung handelt,
ist, soweit sie nicht durch Abschreiben vorgenommen wird, stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig […]
Es gibt ein vielzitiertes Urteil des Bundesgerichtshofs. Es hat den „Spitznamen“ Notenstichbilder und wird auf unterschiedlichste Weise interpretiert. Um es zu verstehen, muss man sich mit dem Notensatz im Druck befassen.
Um 1450 herum hatte Johannes Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern und die Druckerpresse erfunden. Er schuf dadurch eine Möglichkeit, Schriftwerke relativ preiswert und schnell zu reproduzieren. Heute ist der Buchdruck so fortgeschritten und alltäglich, dass die Arbeiten des Schriftsetzers in den Hintergrund rücken. Nicht zuletzt, weil bei Buchstaben und festgelegten Schriftarten nicht allzu viele Variationsmöglichkeiten bestehen.
Anders ist das bei Musiknoten. Diese waren auch nach der Erfindung von fotomechanischem Offsetdruck bei komplexen Werken stets von einem Notenstecher per Hand gezeichnet. Alle Verfahren zum Druck von Noten mit beweglichen Lettern waren nur für einfache Notationen geeignet. Bis zur Verfügbarkeit von Computersoftware, mit der letztlich jeder Musiker seine Noten selber druckreif setzen und auf dem Laserdrucker ausdrücken kann, waren Notenblätter immer das Wert von speziell ausgebildeten Notenstechern.
Die zitierte Vorschrift aus dem Urhebergesetz dient dem Schutz der Notenstecher, man darf ihre Notenblätter nicht einfach kopieren, sondern musste die Noten abschreiben. Das gilt auch, wenn der Komponist bereits hunderte von Jahren tot ist.
Die erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofes definiert als Ausnahme, dass durchaus kopiert werden darf, wenn es sich um ein gemeinfreies Werk (dessen Urheber z.B. länger als 70 Jahre tot ist) ohne Veränderung handelt.
Zu St. Martin 2011 stellte die GEMA überraschend fest, dass die beim Martingszug gesungenen Lieder zwar inzwischen gemeinfrei sind, aber ihre Texte und Notationen z.T. vereinfacht in Liederbüchern wiedergegeben wurden. Also, ganz klar: Kindergärten und Kirchengemeinden, die diese Lieder einfach so kopierten und den Kindern in die Hand drückten, mussten zumindest Lizenzgebühren zahlen.
Schneller, als sich die beiden Konfliktparteien „Kultusminister“ und „GEMA“ auf einen Termin für Verhandlungen einigen konnten, gründeten sich die Musikpiraten.
Sie sammelten gemeinfreie Versionen der Lieder und setzten sie per Computer, stellten sie dann unter eine Lizenz, die das Kopieren erlaubte und verteilten die Notenhefte. Das ist keine neue Idee, denn es gibt schon länger die Initiative Free Sheet Music, die diese im Zeitalter von Desktop Publishing und Computersatzprogrammen für Noten, die die gesetzten Stücke direkt danach auf MIDI-Keyboards abspielen können, vorgestrige Reglementierung des Notenkopierens durch gemeinfreie Notenblätter gemeinfreier Musik aushebeln will.
Dabei wäre es doch ganz einfach.
Ich hab die ersten Notensatzprogramme für den Hausgebrauch Anfang der 1990er Jahre benutzt. Spätestens mit dem Vordringen dieser Technik auf den PC ist der Schutz des vom Notenstecher gesetzten Blattes gegen Fotokopie hinfällig.
Also seit gut und gerne 20 Jahren.
Ein Blatt Notenpapier, vom Komponisten selber per Computer gesetzt, hat die Produktionskette vom Komponisten zum Notenstecher, der mit der Hand Druckvorlagen herstellt, ersetzt. Sie muss nicht mehr geschützt werden. Seit 20 Jahren.
Und es ist nicht hinzunehmen, dass Musikverlage z.B. durch das Umsetzen der neuen Rechtschreibung in Martinsliedern gemeinfreie Werke verändern und dadurch einen Schutz vor zitierenden Fotokopien etc. von Ausschnitten erhalten, den der Urheber eines Romans oder Lyrikbandes selbst zu Lebzeiten nicht genießt.