Wie schwierig es ist, mit psychisch kranken Tätern umzugehen, zeigt sich aktuell im Fall Anders Breivik. Während Gutachter bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostizierten, hält das Personal der psychiatrischen Klinik ihn für zurechnungsfähig.
Gerade, wenn es um die strafrechtliche Beurteilung von Taten geht, die irgendwo politisch sind, begeben sich alle Beteiligten schnell auf dünnes Eis.
Terroristen neigen zu Beschaffungskriminalität. Sowohl Baader-Meinhof als auch die „Zwickauer Zelle“ haben Banken überfallen, um sich zu finanzieren. Auch Terroristen, die nur wegen der Banküberfälle verurteilt wurden, werden von Amnesty International als politische Gefangene einsortiert.
Denn: In Unrechtsregimen ist es Gang und Gäbe, die politischen Gegner wegen anderer, gerne auch konstruierter Delikte als politischen Taten „für immer wegzusperren“ oder gar zu töten. Da wären Verurteilungen wegen Banküberfällen, am besten noch in Tateinheit mit Mord an ein paar Polizeibeamten oder Geiseln, natürlich eine Steilvorlage.
Noch beliebter ist das Wegsperren wegen psychischer Störungen. Täter (was auch immer sie getan haben), die unter einer psychischen Störung leiden, können für ihre Tat nicht verantwortlich gemacht werden. Ein Gerichtsverfahren kann sich daher auf die Feststellung beschränken, dass die Tat grausam war, aber der Täter verückt. Außerdem muss man sich nicht mit der Intention seiner Tat auseinandersetzen, die politische Diskussion wird durch die Diagnose hinfällig.
Aber auch nach einer langen, langen Haftstrafe ohne Behandlung wäre der Täter eben nicht weniger gefährlich. Also wird er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, damit er nicht noch weitere Menschen gefährdet und behandelt werden kann.
Dass Menschen durch Behandlungen, die im Allgemeinen als Gehirnwäsche bezeichnet werden, gefügig gemacht werden können, ist bekannt.
Jetzt wurde Anders Breivik, dessen Tat zweifelsohne politisch motiviert war, von gerichtsbestellten Gutachtern untersucht. Sie stellten fest, dass er unter einer paranoiden Schizophrenie leidet:

Der zuständige Staatsanwalt Svein Holden gab an, dass Breivik nach Meinung der Psychiater komplett von „bizarren und größenwahnsinnigen („grandiosen“) Zwangsvorstellungen“ beherrscht sei. „Danach kann er nach eigener Auffassung entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss“, berichtete Holden weiter aus dem 243 Seiten umfassenden Gutachten.
Holden sagte, die Rechtspsychiater hätten ihn als jemanden geschildert, „der sich für den perfektesten Ritter seit dem Zweiten Weltkrieg hält“. Breivik habe in den 13 Gesprächen von insgesamt 36 Stunden Dauer auch vermittelt, dass er sich für einen „zukünftigen Regenten“ halte. Er habe außerdem menschliche „Zuchtprojekte mit Norwegern in Reservaten“ angekündigt.

Nicht „während der Tat litt“, sondern chronisch, jetzt auch noch.
Die Symptome der paranoiden Schizophrenie sind im ICD-10 definiert:

F20.0 Paranoide Schizophrenie
Die paranoide Schizophrenie ist durch beständige, häufig paranoide Wahnvorstellungen gekennzeichnet, meist begleitet von akustischen Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen. Störungen der Stimmung, des Antriebs und der Sprache, katatone Symptome fehlen entweder oder sind wenig auffallend.

Zu den spezifischen Symptomen kommen die allgemeinen Symptome der Schizophrenie hinzu:

F20.- Schizophrenie
Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affekte gekennzeichnet. Die Bewusstseinsklarheit und intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich im Laufe der Zeit gewisse kognitive Defizite entwickeln können. Die wichtigsten psychopathologischen Phänomene sind Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome.

Generell haben schizophrene Menschen also ein verändertes Gefühlsleben, das sind die inadäquaten oder verflachten Affekte. Freude, Trauer und insbesodnere die Empathie mit anderen Lebewesen sind abgeschwächt oder unpassend. Ich will das nicht als Erklärung für Breiviks Kaltblütigkeit während der Tat heranziehen, obwohl es sich aufdrängt.
Weitere „Standardsymptome“ sowohl der allgemeinen als auch der paranoiden Schizophrenie sind verschiedene Ausprägungen von Wahnvorstellungen sowie die deutlich davon abzugrenzenden Haluzinationen.
Haluzinationen sind Wahrnehmungen von Dingen, die nicht der Realität entsprechen, also das Hören von objektiv nicht vorhandenen Stimmen, visuelle Erscheinungen und so weiter. Im weitesten Sinne verwandt sind die erwähnten Gedankeneingebungen, also das Gefühl, dass man von außen gesteuert wird, oder der entgegengesetzte Gedankenentzug.
Wahnvorstellungen sind Überzeugungen von Sachverhalten, die objektiv nicht stimmen. Die Überzeugung, dass Michael Jackson eine Außerirdischer war ist ebenso eine Wahnvorstellung wie die Überzeugung, dass ein Geheimbund von Illuminaten, Pastamonstern oder kleinen, behaarten Lebewesen mit spitzen Ohren, Reisszähnen und langen Schwänzen die Welt beherrscht und uns alle unterjocht. Genauso ist es eine Wahnvorstellung, wenn man glaubt, Superman zu sein und fliegen zu können – und Breiviks Selbstbild erfüllt die Voraussetzungen für die Diagnose einer Wahnvorstellung.
Erforderlich als Ausschlusskriterium für die Diagnos eder paranoiden Schizophrenie ist weder die Haluzination noch die Wahnvorstellung.
Nun widersprechen die Ärzte der psychiatrischen Klinik, in der Breivik untergebracht ist, dem Gutachten.

Die aufsehenerregenden Bewertungen von Breiviks Zustand stammen von drei Psychologen und einem Psychiater, die in Ila die Häftlinge betreuen. Seitdem Breivik am 26. Juli dort eintraf, haben sie ihn mehr als 80 Mal untersucht, die ersten sieben Wochen lang sogar täglich, berichtet die Zeitung Aftenposten. Der Untersuchungshäftling sei bei guter Gesundheit, er wirke nicht depressiv, nichts deute auf eine Psychose hin, notierten die Fachleute ein ums andere Mal ins Journal. Es bestehe weder Selbstmordgefahr noch Bedarf für irgendeine Art von Behandlung.
Quelle: Schizophrener Streit

Auch an anderer Stelle wird vergleichbares berichtet:

Er höre keine Stimmen, habe keine anderen Halluzinationen, halte Blickkontakt und seine Zelle in Ordnung, er sei psychisch stabil, meist normaler, manchmal guter Stimmung und aufmerksam, die Suizidgefahr sei niedrig

Was ist davon zu halten?
Suizidgefahr hat sehr wenig mit Schizophrenie zu tun. Suizid im Rahmen der Wahnvorstellungen hängt davon ab, was für Wahnvorstellungen vorliegen. Wäre er der Überzeugung, ein Märtyrer zu sein, würde das fehlen suizidaler Tendenzen bemerkenswert sein, aber als zukünftiger Regent gibt der Wahn das nicht her. Schizophrenie und die erwähnte Depression sind diagnostisch eben zwei Paar Schuhe.
Auch sind die intellektuellen Fähigkeiten eines schizophrenen Menschen ausdrücklich nicht beeinträchtigt und verwahrlosen muss er auch nicht, nur, weil er schizophren ist.
Breiviks Manifest zeigt eher einen sehr gründlich und präzise planenden Menschen.
Persönlich sehe ich in den Zweifeln am Gutachten weniger wissenschaftlich fundierte Zweifel als vielmehr „Wünsche“ einzelner Menschen. Die verständlich sind:

Familienangehörige von Breiviks Opfern wollten aber nicht einfach dessen Abschiebung in die Psychiatrie akzeptieren. Sie haben ein zweites Gutachten verlangt, der Staatsanwalt Holden lehnt dies aber ab, da auch die Kommission keine Einsprüche erhaben habe. Auch Breivik selbst und sein Verteidiger wollen kein weiteres Gutachten, auch wenn sie das vorliegende kritisieren. Breivik selbst sieht sich nicht als psychisch krank.
Telepolis

Das Großartige daran für Breivik: Durch die Enweisung in die Psychiatrie und die Zweifel ander Diagnose kann er seine Legende aufrecht erhalten. Zumindest für seine eigenen Augen.
Bleibt zu hoffen, dass er dadurch keine Anhänger findet.

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