oder:
Wenn du geschwiegen hättest, Stadtverwaltung!

Bomben aus dem 2. Weltkrieg finden sich bis heute immer wieder. Das wird auch noch viele Jahre so weiter gehen. Die allermeisten Bergungen laufen unspektakulär. Selten passiert etwas, dann aber wie in Göttingen, oder um die Ecke in Viersen schonmal richtig laut und mit richtig viel Ärger.
Die letzte Bombe in unserem Dorf, an die ich mich erinnere, wurde 2007 gefunden. Überraschend beim Pflügen. Und war eher ungefährlich.
Jetzt wird auf Basis von Augenzeugenberichten und Luftaufnahmen bei uns im Dorf wieder eine Bombe gesucht. Die Stadt weiß das wenigstens seit Ende April und hat Pressemeldungen rausgegeben. Wann genau der Kampfmittelräumdienst kommt stand da nicht. Wo die Bombe vermutet wird wird auch nicht.
Gestern kamen die „konkreten“ Daten raus.. Die Kampfmittelbeseitiger kommen Dienstag Abend und ab Mittwoch ist für bis zu drei Tagen mit einer Evakuierung zu rechnen. 3.700 der grob 5.000 Bewohner sind betroffen.
Zugegeben: Das ist sicher besser als in Viersen. Klar. Sondieren, Graben und dann überrascht „Alarm“ brüllen, wenn die Bombe gefährlich ist, ist von allen Maßnahmen die allerschlechteste Idee.
Andererseits sind die bei den meisten Bombenfunden keine Evakuierungen nötig. Die Nachrichten über einen Bombenfund oder auch nur die Suche nach einer Bombe machen uns Bürgern auch Angst, daher verstehe ich auf eine Weise die Städte, die einfach die Klappe halten und es drauf ankommen lassen. Es sind ja auch keine Atombomben und die größte Gefahr besteht für den Kampfmittelräumdienst, siehe auch Göttingen. Alle Anwohner wurden bislang rechtzeitig evakuiert, es gab nur unvermeidliche Schäden an Gebäuden, meistens kaputte Fenster.

So.

Um keine „Bombentouristen“ anzuziehen, die aus dem Bundesgebiet anreisen würden, ist die vermutete Position „unserer“ Bombe geheim. Sie kann also am Stadtrand sein oder in meinem Garten mitten im Ort.
Die Evakuierungszone beträgt 500m, sagt die Stadtverwaltung.
Wenn mein Haus akut gefährdet wäre, wüsste ich es schon, sagt das Bürgertelefon.
Rechnen Sie am besten damit, dass die Bombe in Ihrem Garten liegt, sagen die Evakuierungstrupps, die von Haus zu Haus gehen.

Äh, wie jetzt?

Haustiere müssten wir natürlich auch evakuieren (ach was!).
Jetzt sind wir irgendwo ein Dorf. Es gibt sogar Reithöfe, die im Evakuierungsgebiet liegen könnten. Deren Inhaber dürfen nun vielleicht binnen 2 Werktagen (Samstag rechne ich mal nicht) Boxen finden, wo die Tiere am Dienstag hin verfrachtet werden.
Inwieweit die Bauern (wir haben einen Stadthof mit Kühen ein paar Häuser weiter) ihre Tiere evakuieren oder lieber das Risiko eingehen, dass sie zu Schaden kommen und dann irgendwelche Erstzleistungen kassieren, will ich nicht beurteilen. Aber ich habe neben den Katzen rund 20 Tauben im Garten. Deren Schlag und Voliere haben zwar schon einige Stürme überlebt und würden auch eine kleinere Druckwelle und eine Sanddusche überstehen – aber womit müsste ich überhaupt rechnen? Wie weit bin ich vom vermuteten Fundort weg? Siehe oben: Keine Ahnung. Zwischen 0 und 500 Metern.
Einen Dachboden oder Taubenschlag für die Tiere zu finden, sie zu fangen und dahin zu transportieren ist über Pfingsten reichlich utopisch. Schon das „finden“. Taubenzüchter sind auf uns Tierschützer, die immer nerven, wenn entflogene Tiere bei ihnen landen, oft nicht gut zu sprechen. Und haben definitiv auch kaum Kapazitäten, einen ganzen Bestand mal eben so unterzustellen, dass man die Tiere und den eigenen Bestand wieder stressarm trennen kann. Zumal die Bestände, was Parasiten und Krankheiten angeht, alle Unteschiede haben und nach so einer Aktion sowohl Gastgeber als auch Gäste komplett entwurmt werden müssen.
Hätte ich am 2. Mai, als die WZ das erste Mal darüber berichtete, vom ungefähren Datum und der Lage der Evakuierungzone gewusst, hätte ich zumindest irgendwie Vorsorge treffen können. Wenn ich wüsste, ob ich 5, 50 oder 500m von der Bombe entfernt bin, könnte ich auch sagen, ob es reicht, die Vögel einfach fliegen zu lassen.
Gerade bestätigte mir ein Züchter am Telefon, dass er, wenn er die Bombe eben nicht im eigenen Garten wüsste, die Tiere im eigenen Schlag ließe. Es gäbe – wenn was passiert – einen Knall und danach ist Ruhe. Selbst wenn die Bombe gezündet würde sei das Risiko, dass den Tieren bei ausreichendem Abstand was passiert, geringer als die Gewissheit, dass bei solchen tempörären Umsiedlungen 3-5% der Tiere durch Stress und Krankheiten auf der Strecke blieben.
Natürlich war es Anfang Mai riskant, den Ort bekannt zu geben, weil immer irgendein Idiot mit der Schippe vorbeikommen und selber buddeln könnte. Aber wenige Tage vor der Entschärfung sollte es doch möglich sein, den Ort bekannt zu geben und durch die Polizei schützen zu lassen, oder?
Wegen der Angst vor ein paar „Bombentouristen“ haben also jetzt 3.700 Menschen eine Woche lang Angst und machen sich Sorgen.
In der Evakuierungszone befindet sich zufälligerweise auch ein Altenheim, dessen Bewohner sich jetzt die ganze Woche ganz doll über die Auffrischung ihrer Kriegserinnerungen freuen werden. Vorst hat zudem noch reichlich Bewohner, die den Krieg als Kinder oder junge Erwachsene selber miterlebt haben.
Kommen ab Mittwoch irgendwann Sirenen? Kommen Durchsagen aus Lautsprecherwagen? Ab wann kann ich mit Entwarnung rechnen, wenn nichts passiert ist? Muss ich in die Notunterkunft? Was finde ich vor, wenn ich zurück komme? Antenne Niederrhein wird an diesen Tagen viele Hörer haben und Schulen können die Gelegenheit zum Anschauungsunterricht über „Das Leben in Zeiten des Krieges“ nutzen.

Wäre die konkreten Information früher gekommen, hätten die Anwohner des Altersheims in Ruhe ein paar Tage umquartiert werden können.
Tierhalter, die wie auf dem Land verbreitet jenseits von Hund und Katze Tiere halten, hätten die Evakuierung überhaupt planen können. Wertgegenstände wie teure Musikinstrumente, Gemälde etc. könnten in sicherer Entfernung deponiert werden und man müsste nicht hoffen, dass es reicht, sie vom Fenster weg zu platzieren.
Wenn man wenigstens wüsste, wo die Bombe ist, könnten vermutlich 90% der 3.700 Betroffenen ruhig schlafen, weil sie wüssten, dass höchstens die Fenster Schaden nehmen.

Liebe Stadt Tönisvorst, nicht böse sein, aber Du illustrierst gerade, was der Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ ist.

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