Nico Lumma schreibt einen für mich sehr nachvollziehbaren Bericht über die „Gefahrenzonen“ in Hamburg aus der Sicht eines Hamburgers, der mit den Demos nichts am Hut hat. Dennoch kann ich den nicht gänzlich unkommentiert lassen. Das große Problem mit der Gewalt bei Demos ist nämlich: Wer die Situation noch nicht selber erlebt hat, kann sie nicht beurteilen.
Und mit Demos meine ich nicht die Wir-haben-uns-alle-lieb-Lichterketten nach den Nazi-Überfällen auf Migranten in den frühen 1990ern. Ich meine Demos, wo Menschen auf die Straße gehen, um ihre Meinung zu sagen, um unbequem zu sein, um dem Staat zu zeigen, was sie von ihm verlangen.
Um die Jahrtausendwende war ich gut 10 Jahre sehr aktiv in der Tierrechtsszene. Ich bin in der Zeit auf ungezählten Demos im Rheinland und Ruhrgebiet mitgelaufen und habe in einer Kampagne gegen einen Nerzzüchter im Nachbardorf einige Fäden in der Hand gehalten. Unter anderem habe ich dort einen Teil der Pressearbeit gemacht und, als die Situation etwas verfahren war, selber Demos angemeldet.
Wir alle haben das Recht, für unsere politische Meinung auf die Straße zu gehen. Wer das schonmal gemacht hat, der wird festgestellt haben, dass die Behörden faktisch immer versuchen, Demos klein zu halten und zu be-, wenn nicht gar verhindern.
„Demo“ oder „öffentiche Kundgebung“ funktioniert nach dem Grundgesetz und dem darauf aufbauenden Versammlungsgesetz so:
Ich will eine Demo machen. Ich plane, was genau geschieht: Ortsfeste Kundgebung oder Protestmarsch? Oder Kombination? Wo wird die Kundgebung stattfinden? Wo wird der Marsch entlang laufen?
Das melde ich bei der Polizei an. Ich beantrage es nicht, ich melde es an, denn es ist mein Recht, Menschen zu so einer Kundgebung einzuladen. Ich benötige keine Genehmigung der Polizei, muss ihr aber die Möglichkeit geben, meine Planungen zu evaluieren. Störe ich die öffentliche Ordnung mehr, als angemessen ist? Ein Protestmarsch auf einer Autobahn zur Rush-Hour wäre so eine Situation.
48 Stunden nach der Anmeldung darf ich dann Einladungen verschicken oder auf andere Weise für die Teilnahme werben. Die 48 Stunden sollen der Polizei eine Chance geben, mir Auflagen mitzuteilen. Beispielsweise für wieviele Teilnehmer ich je einen Ordner benennen und kennzeichnen muss, ob die Strecke geändert werden muss etc.
Von der Rechtsprechung wird dann noch ein Koordinationsgespräch erwartet, das die Polizei organisiert. Bei diesem Gespräch sollen im Idealfall der Demoveranstalter und der Einsatzleiter vor Ort sich kennen lernen und die Rahmenbedingungen besprechen.
Faktisch – so habe ich es kennen gelernt – läuft das aber anders. Ich melde die Demo an und höre dann lange nichts von der Polizei. Dennoch regelt sie das, was ich auf der Demo machen darf.
Und zwar mit Auflagenbescheiden, die den Veranstalter typischerweise erst am Abend vor der Demo erreichen, meist per Fax oder reitendem Boten. Und die immer wieder überraschende Auflagen enthalten.
Viele Demoteilnehmer reisen mit der Bahn an. Was macht man mit Transparenten? Die Stangen sind unhandlich. Also nimmt man zum Beispiel Teleskopstangen, die zum Streichen von Decken benutzt werden. Die sind aus Alu, ungeheuer leicht und gut zu transportieren.
Doch auf Demos gilt ein Waffentragungsverbot. Was alles Waffen sind – das wird weit ausgelegt. So hatte ich dann in einem Bescheid am Freitagabend vor der Demo plötzlich die Auflage, als Transparentstangen nur Holzlatten bis 1,80m Länge und mit maximal 25x40mm Stärke zu verwenden. Also waren sowohl die wegen ihrer Instabilität als Waffe kaum geeigneten Teleskopstangen, sondern auch Standard-Dachlatten mit 24x48mm Stärke auf der Demo verboten.
Wie teilt man das den Demoteilnehmerinnen und -teilnehmern mit?
Gar nicht mehr. Es geht nicht mehr. Wer am nächsten Tag mit den falschen Stangen am Transparent ankommt, wird bestenfalls nach Hause geschickt. Pingeligeren Beamten wird auffallen, dass die Tatbestände des Tragens von Waffen auf einer Demo schon erfüllt sind, wenn man diese auf dem Weg zur Demo bei sich trägt, und Strafermittlungsverfahren einleiten oder die Personen zumindest als mögliche Störer festsetzen.
Proteste gegen die Polizei schon vor der Demo sind damit ziemlich sicher.
Hat man diese Unwägbarkeiten überstanden kommt der Tag der Demo. Mehr als einmal habe ich erlebt, dass dem Einsatzleiter vor Ort entfallen war, dass die Demo nur angemeldet und nicht genehmigt werden muss. Dass also der Verlauf der „Aufmarschs“, wie das im Amtsdeutsch heißt, die Position von Zwischenstopps, die Nutzung von Megafonen oder Musikinstrumenten, das Verteilen von Flugblättern und so weiter erlaubt sind, solange sie sich aus der Anmeldung ergeben und im Auflagenbescheid nicht untersagt oder reglementiert werden.
Doch der Beamte hatte nur den Auflagenbescheid erhalten. Der Anruf beim Einsatzleiter in der Polizeizentrale zu Beginn jeder zweiten Demo war ein Running Joke.
Oder eine Kundgebung vor einem Kaufhaus. Im Koordinationsgespräch von Polizei und Veranstalter im Vorfeld – wir hatten drauf bestanden – wurde ausgemacht, dass wir 10m vor den Eingängen stehen dürfen. Wir dürfen unser Demonstrationsrecht nutzen, um auf unser Thema aufmerksam zu machen, aber natürlich nicht, um Kunden zu einem Spießrutenlauf zu zwingen.
Vor Ort messen wir die 10m mit einem Maßband aus, dem Einsatzleiter gefällt der Abstand aber nicht und er verlangt 25m. Bei einer Fußgängerzone von 35 oder maximal 40m Breite behindern wir jetzt die Eingänge der gegenüber liegenden Geschäfte. Daher müssen wir noch seitwärts ausweichen – und finden uns fast in einer Seitenstraße wieder. Ohne Laufkundschaft und Bezug zum Geschäft, gegen das wir demonstrieren wollen.
Oft hilft ein Anruf per Handy beim Pressesprecher, aber nicht immer.
Deeskaliert haben immer wir, denn wenn die Teilnehmer mitunter mehrere Stunden Anreise hinter sich haben und dann in ihrem Demonstrationsrecht so behindert werden, dann gibt schnell ein Wort das Andere. Man erhebt die Stimme nicht mehr gegen den, gegen den man demonstrieren will, sondern gegen den, der eigentlich Garant dafür sein soll, dass man öffentlich demonstrieren darf.
Wir waren noch die pflegeleichtesten „linken Chaoten“. Wenn, meist durch Missverständnisse, Beamte eine Person festhielten, ihr zum Beispiel die Kamera, das Megafon oder das Transparent aus den Händen rissen, flogen keine Steine. Die Beamten waren mehr als einmal irritiert von den unmittelbar einsetzenden Sprechchören „Keine Gewalt! Keine Gewalt!“. Das funktionierte auch bei den großen Demos im Kohlenpott mit 2000 Menschen, die für Tierrechte auf die Straße gingen.
Das sind meine persönlichen Erfahrungen mit Demos, wo keine Gewalt zu erwarten war.
In Hamburg sieht es so aus, dass die Fronten seit Jahren verhärtet sind. Gewalt auf Demos ist zu erwarten.
Gewalt ist immer schlecht, und der Staat hat die Aufgabe, Gewalt zu verhindern. Auch bei Demos. Seit Brokdorf klappt das jedes Jahr ein Bisschen schlechter. Wenn Demos nicht gerade von Gewerkschaften organisiert werden, neigt der Staatsapparat zur Repression. Repression führt auf Dauer zu Aggression. Da kaum eine Kampagne, die Demos als Mittel nutzt, in ein paar Wochen Erfolg hat, stauen sich Aggressionen auf-
Und es gibt sie tatsächlich, die Polizeieinheiten, denen die Hand (bzw. der Knüppel) etwas schneller ausrutscht. Es gibt sie in jedem Bundesland und sie werden genauso von Großdemo zu Großemo geschickt, wie die als “Berufsdemonstranten” diffamierten Aktivisten oft fast jedes Wochenende auf die Straße gehen. So stehen sich immer wieder dieselben Personsnkreise gegenüber und aus der Demo für oder gegen etwas wird ein Kampf darum, überhaupt demonstrieren zu dürfen.
An der Situation in Hamburg sind alle Beteiligten gleichermaßen Schuld. Die Demonstranten, die den Schwarzen Block bilden und den Brandbeschleuniger geben. Die Polizei, die Provokationen aus ihren Reihen nicht sehen (oder zugeben) will und immer und immer wieder den Zündfunken liefert, mit dem das Feuer entfacht wird.
Klar: Ohne Brandbeschleuniger kein Feuer. Sicher. Aber auch nicht ohne den Funken.
Ich verstehe die Ängste der Anwohner. Mehr noch: Ich teile sie.
Aber ich sehe auch, dass die Polizei, die Garant dafür sein soll, dass wir angstfrei leben können, einen großen Anteil an der Eskalation hat. Die sie eigentlich verhindern sollte, weil es ihre Aufgabe ist, all den anderen Demonstranten ihr Recht auf Teilnahme an der Kundgebung zu garantieren.
Nicht durch repressive Maßnahmen, sondern durch Deeskalation.