„Ich bin kein Rassist, aber…“ – das liest man ja immer wieder. Kein Nazi, sondern Patriot. Kein Rassist, sondern jemand, der einfach die Wahrheit sagt. Manchmal helfen Argumente.

Aber wie argumentiere ich, dass eine Aussage oder Meinung rassistisch ist? Wie belege ich es?

Und wie prüfe ich meine eigenen Aussagen auf Ausgewogenheit?

Tests wie der der Bundeszentrale für Politische Bildung testen die Grundeinstellung, einer Person und sind mit etwas gutem Willen auszutricksen. Auch gute Artikel zum Thema wie der aus der Zeit helfen im direkten Dialog nicht weiter.

Ich habe in den letzten Monaten sehr oft festgestellt, dass Antisemitismus und Rassismus nicht völlig deckungsgleich sind – oft wird ja angenommen, Antisemitismus sei nur eine Untermenge des Rassismus, aber das ist nicht so – aber dennoch sehr ähnlich.

Natan Sharansky hat den 3D-Test auf Antisemitismus entworfen. Dieser Test ist zwar nur ein Lackmustest, aber wie Lackmuspapier kann er antisemitische (und auch rassistische) Intentionen hinter Aussagen oder Meinungen signalisieren.

Wie der Lackmustest deutet er die Intensität nur mittelbar an, aber er ist für mich ein Hilfsmittel, meine eigene Einschätzung zu im Ansatz objektivieren. Er ist insofern kein wissenschaftlicher Test, kann aber analog zum Bechdel Test eine schnelle, plakative Argumentation liefern.

Der 3D-Test prüft Aussagen und Argumente auf drei Merkmale, für die es eine Eselsbrücke gibt, nach der alle Merkmale mit D beginnen (daher auch 3D-Test). Wird auch nur eines der Merkmale als positiv erkannt, kann man bei tieferer Prüfung Antisemitismus  finden.

Es handelt sich um

  • Dämonisierung
  • Delegitimation
  • Doppelte Standards

Dämonisierung: Es wird Israel vorgeworfen, die Regierung hätte sich zu Gunsten des Bösen verschworen oder Israel arbeite aus Prinzip an der Verschlechterung der Lage bestimmter Bevölkerungsgruppen.

Ähnliche Behauptungen werden derzeit von Gruppen am rechten Rand gegenüber Flüchtlingen oder Moslems an sich aufgestellt. Alleine die Existenz von PEGIDA und ähnlichen Gruppen, die sich gegen eine Islamisierung des Abendlandes „wehren“, erfüllt dieses Merkmal schon.

Tatsächlich droht keine Islamisierung, außer, es gibt klammheimlich zig Millionen islamische Schläfer in christlichen Gemeinden. Wer die Zahlen mal nachvollziehen will: Der Religions- und Politikwisenschaftler Michael Blume hat das mal vorgerechnet.

PEGIDA und andere *GIDAs wehren sich also gegen etwas, das „die Moslems“ oder böse Kräfte, die hinter ihnen stehen, vor haben, das aber weit entfernt von jeder Realität steht.

Argumente, die auf einer behaupteten Islamisierung des Abendlandes basieren, sind also höchstwahrscheinlich rassistisch, da sie ohne jede objektive Nachvollziehbarkeit Moslems als Teil einer Verschwörung ansehen und sie dadurch dämonisieren.

Das gleiche gilt – und da offensichtlich – um die Räuberpistolen, dass all die jungen, potenten Männer nur zum Zweck der Fortpflanzung zu uns kommen und für die vom Ex-FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte behaupteten UN-Pläne, alle Deutschen durch Einwanderer zu ersetzen.

Das sind Dämonisierungen und damit eindeutig rassistische Äußerungen.

Delegitimation: Im Original wird dadurch die Legitimation der Existenz von Israel verneint oder man will dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung nehmen.

In Bezug auf den aktuellen Rassismus in Deutschland sehe ich mehrere Analogien:

  • Der Islam gehört nicht zu Deutschland
  • Die Flüchtlinge haben kein Recht, hier zu sein
  • Warum sind die Männer hier?

Die Pauschale Islamfeindlichkeit ist eine Meinung, die sich auch in konservativen Parteien zeigt. So kommt die klare Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sowohl von Dr. Edmund Stoiber als auch von der NPD (die ich hier nicht verlinke, aber Ihr könnt das googlen).

Tatsächlich haben wir in Deutschland die Religionsfreiheit. Die Verfassung garantiert in Artikel 4, Absatz 1:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

Wäre Deutschland ein rein christliches Land, dann würde dieses Recht ins Leere laufen und wäre überflüssig, also kann es sich nur auf die breite Palette christlicher Konfessionen und nichtchristlicher Religionen beziehen.

Und im zweiten Absatz:

Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Genauso, wie Christen ihre Bräuche leben dürfen (sofern sie nicht Anders- oder Ungläubige damit über Gebühr belästigen) dürfen auch Moslems, Juden, Buddhisten und Pastafari dies, wenngleich das Recht auf regelmäßiges Abhalten einer Nudelmesse noch nicht allgemein anerkannt ist.

Genau genommen gehört nach Artikel 4 des Grundgesetzes entweder jede Religion zu Deutschland oder keine. Wer ernsthaft den Islam nicht zu Deutschland gehören lassen will, der ist gleichzeitig Rassist und Verfassungsfeind und ich weiß nicht, aus welchem Grund ich das schlimmer finden möchte.

Ergo: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ ist eine Delegitimation von Moslems in Deutschland und damit ein Warnzeichen für Rassismus.

Die Flüchtlinge haben kein Recht, hier zu sein – da gibt es mehrere immer wieder angeführte „Argumente“. Entweder, weil sie über „sichere“ Länder oder andere EU-Staaten eingereist sein müssen oder weil sie gar nicht vor einem Krieg fliehen („Wirtschaftsflüchtlinge“) oder gar Terroristen sind.

Bildschirmfoto vom 2015-12-06 13:38:08Schaut man sich an, aus welchen Ländern Flüchtlinge im Oktober 2015 zu uns gekommen sind, dann sieht man, dass ein pauschales Urteil über ihre Legitimation gar nicht möglich ist.

53% der derzeitigen Flüchtlinge kommt aus Syrien, also einem Kriegsgebiet. Aus Balkanstaaten („Wirtschaftsflüchtlinge“) kommt nur ein Bruchteil. Ob die Menschen über ein EU-Land entgegen des Dublin-Abkommens eingereist sind ist nebensächlich, da die EU als ganzes  die Flüchtlinge unter sich aufteilen muss. Die EU-Grenzsstaaten sind gar nicht in der Lage, alle aufzunehmen, die derzeit aus Kriegsregionen wie Syrien fliehen. Und Deutschland ist bei weitem nicht der EU-Staat mit den meisten Asylbewerbern:

AsylbewerberEuropaProMioEinwohner2013.svg
AsylbewerberEuropaProMioEinwohner2013“ von Carsten PietzschEigenes Werk, nach Daten von Eurostat. Lizenziert unter CC0 über Wikimedia Commons.

Zudem sind die Pflichten zur Aufnahme von Flüchtlingen eben nicht im EU-Recht niedergelegt, sondern stammen aus UN-weiten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.

Fazit: Wer Flüchtlingen pauschal ihr Recht auf Aufenthalt bei uns in Abrede stellt, weil einige aus vorgeblich sicheren Ländern stammen, andere über „Dublin-Staaten“ kamen oder wieder einzelne gar nicht vor Krieg, sondern vor Hunger flüchten, der argumentiert höchstwahrscheinlich rassistisch.

Warum nur Männer? Warum kämpfen sie nicht? Warum lassen sie die Frauen zurück?

Das sind wohlfeile Fragen, die an vielen Stellen im Internet beantwortet wurden. Wenn man nur mal ernsthaft danach sucht und nicht nur Bilder auf Facebook teilt.

Beispielsweise hier in der FAZ.  Im BildBLOG steht eine Analyse, warum die Bilder, die von Flüchtlingen (und der Sache mit den jungen Männern) gezeichnet werden, alle irgendwie schief hängen. Die zahlenmäßige Beschreibung zeigt mal die Dimensionen:

Zwar sind rund 70% der Flüchtlinge männlich, aber „junge Männer“ von 18-35 Jahren sind nur 38%. Zählt man alle von 16-40  kommt man auf 46%. Es wird nämlich gerne unterschlagen, dass viele Minderjährige unter den Flüchtlingen sind, was auch die Zahlen erklärt, warum so viele keinen Schulabschluss haben (weil sie beispielsweise erst 13 sind).

Fazit: Wer behauptet, dass all die jungen Männer, die zu uns kommen und angeblich 70% der Flüchtlinge darstellen, moralisch kein Recht auf Zuflucht bei uns hätten, weil sie daheim kämpfen und Frauen und Kindern die Flucht ermöglichen müssten, hat sich nicht mit der Situation in Syrien und anderen Kriegsgebieten befasst und argumentiert im besten Fall aus Unwissenheit rassistisch.

Doppelte Standards: Die liegen vor, wenn vergleichbare Sachverhalte zu Lasten einer Personengruppe unterschiedlich beurteilt werden.

Derzeit wird von bestimmten Gruppen aus dem Terror islamischer Gruppen eine pauschale Gefährdung durch den Islam an sich abgeleitet. Das ignoriert zum einen, dass schon vor über einem Jahr die weit überwiegende Mehrheit islamischer Gelehrter ein Gutachten vorgelegt hat, in dem die Berufung von Daesh auf den Koran und den Propheten verurteilt wird.

Ein doppelter Standard liegt vor, weil mit derselben Argumentation das Christentum derzeit wegen der Kriegsverbrechen von Joseph Kony auch als Terror-Religion bezeichnet werden könnte – aber natürlich ist seine schon seit 1987 kämpfende „Lord’s Resistance Army“ nichts, was mit dem globalen Christentum zu tun hat.

Doppelte Standards liegen ohne jede Frage  vor wenn Europäische Christen natürlich nichts mit christlichem Terrorismus zu tun haben, Moslems aber mit islamischem Terror.

Wer nun argumentiert, dass Kony in Uganda ein Unwesen treibt und das weit weg ist, die muslimischen Flüchtlinge aber genau aus dem Kriegsgebiet kommen und daher näher am Islamismus sind als deutsche Christen an der Lord’s Resistance Army, der sollte sich bitte die Anschläge der amerikanischen Pro-Life-Bewegung gegen Abtreibungsärzte und -kliniken seit 1983 ansehen, die in Wikipedia dokumentiert sind.

Wer wegen Terrorgefahr Moslems aus Syrien nicht einreisen lassen will, weil unter ihnen Daesh-Terroristen sein könnten, sollte bitte sicherstellen, dass Christen aus den USA auch nicht einreisen, damit wir nicht auch bei uns Anschläge gegen Gynäologen erleben müssen.


 

Fazit: Der 3D-Test auf Antisemitismus, so umstritten und ungenau er per se ist, taugt auch als erster Lackmustest auf Rassismus. Ist eines der drei Merkmale Dämonisierung, Delegitimation oder Doppelte Standards in einer Meinungsäußerung tragend, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Rassismus handelt, sehr hoch.

Er hilft auf alle Fälle auch beim Thema Rassismus, eigene und fremde Aussagen grob zu testen.

 

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