Vielleicht schaffen wir es, nach den Ereignissen in Köln die Deutung von Sexualdelikten nicht den Zuwanderungsskeptikern Rassisten zu überlassen, sondern befassen uns mit dem Thema mal mit Zahlen.

Solche Zahlen liefert beispielsweise die Polizeiliche Kriminalstatistik des BKA, die man hier runterladen kann. Sie ist etwas erklärungsbedürftig.

Delikte werden nach Schlüsselnummern dort eingeordnet. Unter „PKS – Standardtabellen“ findet sich bei „PKS-Straftatenkatalog 2014“ ein Link auf „Fälle“. Folgt man ihm, kann man die Gesamtstatistik für das Jahr 2014 einsehen.

Was man wissen muss: Die Zahlen hier repräsentieren diejenigen Fälle, die bei der Polizei zu einer Strafanzeige führten. Strafanzeigen, die bispielsweise über einen Anwalt direkt bei der Staatsanwaltschaft eingehen, sind nicht enthalten. Das gleiche gilt für Fälle, in denen trotz Vorsprache bei der Polizei keine Anzeige erstattet wurde, weil Beamte von ihr abgeraten der sie als aussichtslos bezeichnet haben.

Die Schlüsselnummern sind hierarchisch organisiert, die Nummer 100000 fasst alle Untergruppen, die mit 1 anfangen, zusammen.

Für Sexualdelikte nehmen wir genau diese Schlüsselgruppe 100000 – „Straftaten gegen die Sexuelle Selbstbestimmung“. Im Jahr 2014 gingen dort bundesweit 46.982 Strafanzeigen ein.

Vergleichen wir diese Zahl mit den Tageswohnungseinbrüchen. Warum ich dieses Delikt als Vergleich nehme, ist relativ einfach: Es gab im Jahr 2014 bundesweit 63.282 Fälle dieser Art mit Schlüsselnummer 436*00, also deutlich mehr als Sexualdelikte, dafür sind die Fallzahlen aber in einer vergleichbaren Dimension

Und es gibt noch einen weiteren Grund. Schauen wir mal auf presseportal.de/blaulicht nach den Pressemeldungen der Polizei in Krefeld: „Tageswohnungseinbruch Krefeld“ ist der Suchbegriff. Heute, am 20.1.2016, finden sich auf der ersten Seite ausschließlich neun Meldungen über Tageswohnungseinbrüche in Krefeld.  Die jüngste von heute, die älteste vom 5.1.2016.

Sucht man nach „Vergewaltigung Krefeld“ erhält man aus dem Jahr 2015 einen Eintrag, bei dem in Borken ein mutiger Helfer geehrt wurde. Der Suchbegriff „Krefeld“ kommt eher zufällig in der Meldung vor. Die erste Vergewaltigung in der Trefferliste ist von 2014 und bezieht sich auf den Tatort Düsseldorf, der nächste Eintrag ist ebenfalls von 2014 und der Tatort liegt in Eschwege.

Ähnlich findet man mit „Krefeld Missbrauch“ oder „Krefeld Kinderpornographie“ oder „Krefeld Belästigung“ exakt: Nichts, was auf die Suche passt.

Dabei sollte das Verhältnis etwa 3:4 sein: im selben Zeitraum, im dem 4 Tageswohnungseinbrüche stattfinden, kommt es statistisch gesehen zu drei Sexualdelikten. Bundesweit.

Dass die angezeigten Sexualdelikte nicht in den Pressemeldungen auftauchen hat zumindest einen guten Grund: Den Opferschutz. Je nach Detailgrad der Pressemeldung sind die Opfer für ihren Bekanntenkreis identifizierbar, was die meisten eher nicht wollen.

Und Pressemeldungen sind zur Aufklärung der Verbrechen kaum erforderlich, weil die Täter bei Sexualdelikten zum größten Teil aus dem Bekanntenkreis stammen. Nur die wenigsten Sexualdelikte werden von den unbekannten Tätern verübt, vor denen man so viel Angst hat, und nur in diesen Fällen wird eine Fahndung erforderlich, für die es eine Pressemeldung gibt.

Allerdings ist es so, dass die Zahlen in der Kriminalstatistik gar nicht die wirklichen Zahlen widerspiegeln. Gerade beim Tageswohnungseinbruch, den ich als Vergleich genommen habe, ist die Dunkelziffer eher gering, da der entstandene Schaden in der Regel von der Versicherung erstattet wird, was eine Strafanzeige voraussetzt. Die Zahl der Tageswohnungseinbrüche wird also bundesweit bei 63.282 Anzeigen sicher unter 100.000 liegen.

Bei Sexualdelikten ist das anders.

Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe zitiert hier aus einer 2004 angefertigten Studie:

Nur 5% der Frauen, die seit ihrem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante Formen von sexueller Gewalt erlebt haben – Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung – gaben an, dass mindestens eine der Taten angezeigt worden sei.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die in diese Studie eingeflossenen Zahlen tatsächlich strafrechtlich relevante Taten umfassen oder nicht: Es reicht in diesem Fall, dass die Frauen diese Taten für strafrechtlich relevant halten und aus den verschiedensten Gründen nur 5% der Taten in Form von Anzeigen die Kriminalstatistik einflossen.

Der Zahl von 46.982 angezeigten Sexualdelikten im Jahr 2014 steht also eine (hochgerechnete) Gesamtzahl von mindestens 939.640 Delikten gegenüber. Mindestens, weil die in der Studie befragten Frauen zum Teil mehrfach Opfer wurden.

Wir lesen im Lokalteil der Zeitungen mehrmals pro Woche von Tageswohnungseinbrüchen, von denen bundesweit inclusive Dunkelziffer höchstens 100.000 pro Jahr vorkommen, aber so gut wie nie von Sexualdelikten, die fast zehnmal so häufig sind.

Das verzerrt die Wahrnehmung.

Es ist verständlich, dass nach den Geschehnissen von Köln viele Menschen den Eindruck haben, dass Sexualdelikte offenbar durch Flüchtlinge (oder Migranten oder Moslems, je nach persönlicher Meinung) zu uns gekommen sind.

Das ist aber angesichts der Zahlen nicht der Fall.

Es ist nur so, dass

  • vermutlich nur 5% der Taten überhaupt zur Anzeige kommen
  • die Täter in den meisten Fällen bekannt sind und daher
  • zum Schutz der Opfer nur über die Fälle berichtet wird, bei denen man nach dem Täter fahnden muss

Leider spricht sich das nicht so toll rum. Der Vergleich mit der Dunkelziffer von ca. 200 Vergewaltigungen auf jedem Oktoberfest wurde schon unter Missachtung grundlegender Logik als sachlich falsch bezeichnet, indem man sich stur auf die 20 Strafanzeigen berief, die die Münchener Polizei 2015 meldete:

Jener weiße Ritter zog aus, um zu beweisen, dass es für Frauen auf dem Oktoberfest gar nicht so schlimm sei. Der Beweis: Die Polizei wollte eine vielzitierte Dunkelziffer eines Präventionsprojektes zu Vergewaltigungen auf dem Oktoberfest nicht bestätigen, weil es definitionsgemäß keine offizielle Dunkelziffer geben kann – es ist eine Dunkelziffer.

Wenn man etwas an der falschen Stelle sucht und dann nichts findet, haben natürlich die anderen gelogen. Gelogen haben dann zum Beispiel jene Frauen, die berichten, welche Maßnahmen sie beim Oktoberfest ergreifen müssen, um sich selbst zu schützen.

Wenn wir also über die erschreckende Zahl an sexuellen Übergriffen in Köln und an anderen Orten durch kriminelle Einwanderer (denn aus Marokko kommend sich als Syrier auszugeben, um hier bis zur Abschiebung Kohle abzuziehen ist nichts anderes als kriminell) geredet und eine rechtsstaatliche Lösung gefunden haben, müssen wir als nächstes über die mehr als 900.000 Sexualdelikte in Deutschland reden, die auch ohne die „Maghreb-Banden“ jedes Jahr stattfinden.

 

 

 

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8 Jahre zuvor

Danke für diesen wichtigen Beitrag, Volker.
Ich finde es wichtig, im Fall von Köln, wo es nicht um ein Delikt eines Einzeltäter gegen eine Frau ging, sondern um eine „Gruppen-Veranstaltung“, alle Hintergründe kritisch zu beleuchten.
Dazu gehört auch der (religiöse) Kulturkreis, dem die Täter angehören. Aber: ebenso wichtig erscheinen mir auslösende Elemente wie Alkoholkonsum (es ist nicht die neueste Erkenntnis, dass Männer unter Alkoholeinfluss eher Ärger machen als nüchtern) und ganz besonders die Gruppendynamik, die sich in solchen Momenten unaufhaltsam in Gang setzt. Gruppendynamik ist einer der unheimlichsten Faktoren in Menschenmengen, finde ich, weil sie Menschen in dumme Tiere verwandelt. Massenhysterie, Massenpanik, Gewaltexzesse, Gruppenvergewaltigungen – das sind Phänomene, in denen die Gruppe verstärkend auf das Individuum einwirkt, so dass die ganze Gruppe kaum zu stoppen ist. Das Internet verstärkt solche Dynamiken, weil man sich im Netz verabreden und einander schon vorher die gegenseitige Unterstützung versichern kann. Das nur als Ergänzung.

Nebenbei: dass so wenig über Vergewaltigungen berichtet wird, ist in meinen Augen eben auch Ausdruck der rape culture. Es entsteht der öffentliche Eindruck, dass Sexualdelikete etwas sehr Seltenes sind, „Sowas gibt’s doch gar nicht!“, und das wiederum erhöht für betroffene Frauen, sich Hilfe zu suchen, weil sie erstmal die gesellschaftliche Ungläubigkeit überwinden müssen.

8 Jahre zuvor
Reply to  fraumeike

„… erhöht für betroffene Frauen die Hemmschwelle“ wollte ich natürlich schreiben.

[…] Denn genau das spiegelt die PKS wider: Die unmittelbar bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Straftaten. Und die sind insbesondere bei Sexualdelikten keine saubere Repräsentation der Gefährdungslage. Wie ich schon letztes Jahr schrieb: Die Dunkelziffer ist mit 95% enorm hoch, […]