Ein Gymnasium am Niederrhein schickt einen Brief an die Eltern, der exemplarisch zeigt, wie Schulen heutzutage Kindern Medienkompetenz beibringen: Nicht so wirklich.

Ein Vater postete den Brief in der örtlichen Facebook-Gruppe. Und trat eine interessante Diskussion los. Ich lasse das alles anonymisiert, da es beispielhaft für viele Schulen ist.

Ein paar Meinungen der Gruppenmitglieder:

„Ich finde, im Schulgebäude oder auf dem Schulhof kann man anders – und zwar miteinander – kommunizieren als dauernd zu Whatsappen. Ich finde ein Verbot dahingehend nicht verkehrt.“

Brief an die Eltern - Handyverbot auf dem Schulgelände!

Brief an die Eltern – Handyverbot auf dem Schulgelände!

„Das hat in der Tat in diesem Ausmaß nichts mit Schutz der Schüler zu tun. Das ist  Bevormundung! und nicht im Sinne der Jugendlichen. Dieses Verbot zeigt einmal mehr, wie weltfremd unser Schulsystem ist. Die Schule macht es sich viel zu einfach.“

„Genau! So etwas ist vielleicht in der Grundschule angebracht, aber nicht auf einem Gymnasium. Dann auch noch mit Ausnahmen! Lächerlich.“

„Ich finde es sehr gut! Wir hatten früher überhaupt keine Handys. In den Pausen starren nun alle nur dumm auf ihr Handy anstatt sich zu unterhalten oder spazieren zu gehen.“

„Meine Söhne gehen auf die Schule. Allen beiden habe ich untersagt, das Handy in der Schule zu benutzen, da es so in der Hausordnung steht. Nur hat sich da bisher keiner dran gehalten und es werden auf dem Schulhof Pornobildchen auf den Smartphones gezeigt. Von daher finde ich die Regelung völlig O.K., wenn sie denn dann durchgesetzt wird. Ich wüsste auch nicht, was es jetzt so Wichtiges zu kommunizieren gibt…wenn z.b. Stunden ausfallen, dann dürfen und sollen die Kinder sogar zu Hause Bescheid geben.“

„Welchen Sinn haben Handies auf dem Schulhof überhaupt?“

Neben dem Tauschen von Pornobildern gab es wohl auch Fälle von Mobbing und Cyberbullying, wo in Umkleidekabinen und auf Toiletten heimlich gefilmt und das Material dann „hochgeladen“ wurde – wohin auch immer.

Cyberbullying ist eine Art des Mobbens, die für Außenstehende schwer zu erkennen ist. Anders, als beim Mobben in vordigitaler Zeit, können die „Täter“ ihre Kommunikation sehr feingranular regulieren. Während man zum Bloßstellen von MitschülerInnen früher z.B. etwas an die Tafel oder Wände geschmiert oder heimlich Zettel ans Schwarze Brett geklebt hat, kann man heute z.B. WhatsApp-Gruppen zum Lästern einrichten.

Diese Gruppen können nur durch ihre Mitglieder gesehen werden, Außenstehende erfahren nur durch Verräter von ihnen oder durch gezieltes Durchstechen von Informationen – die reine Existenz einer Gruppe „Bastian ist ein Arschloch“ wird für Bastian sehr unerfreulich sein.

Durch ein Verbot, Handies auf dem Schulgelände zu benutzen, wird Mobbing aber nicht unterbunden.

Es wird lediglich ins Kinderzimmer verlegt. Kinder, die durch die Schule Kontakt mit einander haben, werden mit Bezug zu Schulthemen gemobbt. Die benutzten Mittel sind egal, es ist ein Thema, das die Schule angehen muss, und nicht nur durch Beseitigen der Symptome.

Insbesondere das unbemerkte Fotografieren oder Filmen von anderen, um das Material zu veröffentlichen, kann die Schule gar nicht verbieten.

Wer denkt jetzt „Hä? Wieso kann sie es nicht verbieten?“ übersieht: Es ist schon verboten. Es ist sogar strafbar. SchülerInnen ab 14 Jahren, die heimlich in der Umkleide filmen und das Ergebnis dann veröffentlichen, machen sich strafbar.

Und zwar unabhängig davon, ob man es mit dem Handy macht oder die – nicht verbotene – Digitalkamera ausgräbt.

Dass es verboten ist, das ist nach meiner Beobachtung den meisten SchülerInnen vollkommen klar. Wer sich über dieses Verbot hinwegsetzt, wird sich erfahrungsgemäß aber auch über ein Handyverbot hinwegsetzen.

Erforderlich ist also nicht das Verbot des Werkzeugs, sondern eine sichtbare Ahndung der Delikte, in Extremfällen auch strafrechtlich. Wenn bekannt wird, dass für derartige Taten am Ende Erziehungsmaßregeln wie Sozialstunden oder gar Jugendarrest verhängt werden können, werden Delikte zurück gehen.

Das Handy ist halt immer schnell als „Schuldiger“ identifiziert. Da war zum Beispiel letztes Jahr eine Klassenfahrt, von der mir erzählt wurde. Die 10. Klasse einer Gesamtschule besichtigte unter anderem ein Konzentrationslager.

SchülerInnen machten „lustige“ Selfies von sich vor dem Tor und auf dem Gelände. Das ist natürlich nicht in Ordnung. Der Grund für das respektlose und unpassende Verhalten waren aber nicht die Handies. Der Grund war, dass die SchülerInnen ohne Vorbereitung und ohne Programm auf das Gelände geschckt wurden: Geht mal rein, Nazis hattet Ihr ja in Geschichte, Ihr wisst ja Bescheid.

Diskutiert wurde danach aber nicht, wie man derartige Besichtigungen besser vorbereitet und durchführt, sondern, ob ein Handyverbot auf Klassenfahrten erforderlich ist. Als ob die Selfies nicht auch mit normalen Fotoapparaten gemacht worden wären.

Auch die Frage, welchen Sinn es habe, in der Pause das Handy zu benutzen, geht an der Realität vorbei. Welchen Sinn hatte es zu meiner Zeit, mit einem Tennisball Fußball zu spielen, wenn man das blöde Ding alle paar Minuten aus der Ginsterhecke raus holen muss? Welchen Sinn hat Seilspringen?

„Handy“ ist keine Tätigkeit, sondern ein Hilfsmittel für viele Tätigkeiten. Insbesondere Kommunikation.

Wenn SchülerInnen das Handy auf dem Schulhof nutzen, ist es für sie sinnvoll, denn sonst täten sie es nicht. Früher hatten wir schonmal Zeitungen dabei (Je nach Alter und Interesse YPS, Automagazine, Disney & Co), heute sind die nunmal digital. Alleine, dass man das immer wieder erkären muss!

Dann das mit den Pornos. Natürlich ist eine Mutter verstört, wenn sie mitbekommt, dass ihr Sohn in der Schule Pornos tauscht. Natürlich kann auch der Sohn verstört sein, wenn er unvorbereitet damit in Kontakt kommt. Aber das ist unabhängig davon, ob Handies auf dem Schulhof erlaubt sind.

Ungefähr 1982 oder 1983 rum gab es auf unserem stocksteifen Gymnasium einen kleinen Skandal, weil in unserer Stufe „getunte“ Zeitungen rumgingen. Von außen STERN, Automagazin oder Fotozeitung, wenn man sie aufschlägt Playboy, Hustler und Sachen, die man damals am Bahnhofskiosk nur unter der Hand bekam. Und das Lied von Claudia hatten 1984 auch alle auf Cassette.

Pornos gucken Halbstarke nicht, weil sie gerade ein Handy dabei haben, sondern weil sie Pornos gucken wollen.

Die Inhalte sind heute freizügiger als früher, geändert hat sich auch der Vertriebsweg. Realistisch betrachten muss man davon ausgehen, dass die Filme durch das Handyverbot dann halt nicht mehr per Bluetooth auf dem Schulhof getauscht werden, sondern abends unter der Bettdecke per WhatsApp und aus dem heimischen WLAN.

Unterm Strich: Hier fehlt den Schulen offenbar Medienkompetenz. Etwas, das sie Kindern eigentlich vermitteln sollten.

Der Wandel der Mediennutzung gerade bei Menschen, die in Social Media aktiv sind, ist immens. FrüherTM hatte man die Wahl zwischen einer überschaubaren Zahl von Zeitschriften, Fernseh- und Radiosendern und wusste schon ungefähr, aus welcher politischen Ecke sie kommen.

Damals haben wir im Unterricht Zeitungen wie BILD, Express, RP & Co analysiert und bewertet.

Heute? Ein Blog einzurichten, das professionell und seriös aussieht und schlimmere Lügen verbreitet, als die BILD es je tat, ist eine Sache von wenigen Minuten. Die Neuen Rechten zeigen gerade, wie man in Social Media die politische Stimmung manipulieren kann. Die Quellenanalyse ist heute also noch wichtiger als in meiner Kindheit.

Social Media sind nicht nur im Alltag der Kinder und Jugendlichen angekommen, dank mobiler Devices findet ihr Alltag auch in den Social Media statt. Da wirkt ein Handyverbot auf dem Schulhof so, als ob im Zeitalter von Glühbirnenverbot und LED-Spots in der Grundschule das Thema Elektrizität mit Experimentierkästen voller Glühbirnchen unterrichtet würde.

Ups, würde?

Es wird.

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