Mansplaining ist das eine, und ich glaube kaum ein Mann kann sich davon freisprechen, dass er manchmal den Eindruck erweckt hat, etwas herablassend oder von oben herab zu erklären – und zwar einer Frau. Thomas Fischer, Bundesrichter, hat in der ZEIT eine rechtspolitische Kolumne und breitet sich da als Maskusplainer aus, also als jemand, der herablassend und von oben herab die Welt aus der Sicht eines Maskulinisten erklärt.
Es fing neulich an, als er die Strafrechtsreform der Sexualtatbestände als unnötig bezeichnete. Ein „Nein“ eines möglichen Sexualpartners zu übergehen sei schon längst im Gesetz unter Strafe gestellt. Man müsse es nur so interpretieren wollen.
Soweit die Theorie, denn in praxi gilt der Artikel 103 des Grundgesetzes (Keine Strafe ohne Gesetz) und führt regelmäßig zu sehr enger Auslegung. Eine Frau muss sich also auch im Rahmen ihrer Kräfte körperlich wehren, auch, wenn der Täter als gewaltbereit bekannt und einschlägig vorbestraft ist und sie sich an den Fingern einer Hand abzählen kann, dass sie bei körperlicher Gegenwehr nicht nur vergewaltigt wird, sondern auch noch verprügelt.
Es mag sicher einzelne RichterInnen geben, die so denken, wie Fischer, aber die Realität draußen in der freien Widlbahn der Staatsanwaltschaften und Strafkammern ist nunmal eine andere:
Tatsächlich wurde am vergangenen Montag vor dem Essener Landgericht ein Prozess gegen Roy Z., 31, geführt. Ihm wurde vorgeworfen, im Juli 2009 eine damals 15-Jährige in seiner Wohnung in Marl vergewaltigt zu haben. […]
Neben ihm und dem Mädchen waren noch zwei weitere Frauen in der Wohnung[…]
Nach Ansicht der Anklage hat Z. die beiden Frauen kurz vor dem Einschlafen plötzlich in den Keller geschickt. „Die beiden Zeuginnen kamen der Aufforderung nach, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich der Aufforderung zu widersetzen. Beide wussten, dass der Angeklagte immer dann, wenn man seinen Aufforderungen nicht nachkam, sehr aggressiv reagierte“, schrieb das Landgericht Essen in einer Bekanntmachung. Anschließend soll es zur Vergewaltigung gekommen sein. Die 15-Jährige ließ sie eigenen Angaben zufolge über sich ergehen. Nur einmal soll sie gesagt haben: „Nein, ich will nicht.“
(Quelle: SPIEGEL)
Z. wird freigesprochen, da das Opfer hätte wegrennen können – die Türen waren unverschlossen, aber der Täter eben als gewaltbereit bekannt und ihr körperlich fraglos überlegen.
„Nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung war das Urteil nachvollziehbar begründet“, sagt Tatjana Hörnle, Inhaberin eines Lehrstuhls für Strafrecht an der Berliner Humboldt-Universität, und verweist auf Paragraf 177 des Strafgesetzbuches.
Aktuell setzt Fischer zum Fall #TeamGinaLisa erneut in diesem Thema an. Und rührt aus seinem Elfenbeinturm voller Unwissenheit wieder Gülle zusammen.
Er zitiert die Brigitte Online:
Schon jetzt kommt es bei rund 160.000 Vergewaltigungen pro Jahr zu unfassbar wenigen Verurteilungen: ungefähr 1.000
Und schreibt selber dazu:
In diesen Zeilen purer Kenntnisfreiheit findet sich alles, was beim an Bürgerrechte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und journalistische Kompetenz glaubenden Menschen einen Brechreiz auslöst. Weder gibt es „160.000 Vergewaltigungen pro Jahr“ noch „unfassbar wenige Verurteilungen“: Beides ist frei erfunden.
Nun, sehen wir mal konkret die Fakten, die ich hier schon einmal statistisch beleuchtet habe:
2015 gab es laut Polizeilicher Kriminalstatistik 7.022 Strafanzeigen wegen „Vergewaltigung und sexuelle[r] Nötigung §§ 177 Abs. 2, 3 und 4, 178 StGB“.
Man geht nach einer Studie von 2004 davon aus, dass nur 5% aller strafrechtlich relevanten Sexualdelikte überhaupt zur Anzeige gebracht werden. 7.022 Strafanzeigen bei der Polizei rechtfertigen daher die Annahme, dass es 2015 rund 140.440 Delikte dieser Art gab.
Fischer unterstellt Journalisten Unwissenheit, ignoriert aber wissenschaftlich fundierte Studien zur Dunkelziffer.
Dann erzählt er in weitgreifender Onkelhaftigkeit, dass falsche Anschuldigungen natürlich strafbar sein müssen (niemand behauptet das Gegenteil) und wie „sozial“ doch Geldstrafen berechnet werden, um dann unglaublich herabwürdigend Gina-Lisa Lohfink als
Mensch mit dem Beruf „Vorzeigen-von-dicken-Silikonbrüsten“
zu bezeichnen. An dieser Stelle kann man das Lesen getrost einstellen. Fischer hat eine Meinung zu Gina-Lisa Lohfink, die es ihm unmöglich macht, an ihre Rolle als echtes Opfer in einer echten Vergewaltigung auch nur im Ansatz zu glauben.
Danach salbadert er über Christina Clemm, die sich als Opferanwältin bezeichnet. Das ist zwar kein offizieller Beruf, aber es zeigt, worauf sie sich spezialisiert hat: Auf Nebenklage bei Strafprozessen. Auch hier leugnet Fischer die Schutzlücken im aktuellen Sexualstrafrecht wieder und wieder.
Frau Clemm ist zweitens auch Mitglied der „Expertenkommission“ zur Reform des Sexualstrafrechts. Das trifft sich gut, denn so kann sie in ihrer dritten Rolle als Wiederkehrende Sachverständige des Rechtsausschusses gleich kompetente Gutachten zur Bewertung der Vorschläge dieser Kommission einbringen.
Was soll uns das sagen? Die Exertenkommission wurde aus willkürlich auf der Straße eingefangenen Menschen zusammengestellt? Nein, die Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts, wie sie offiziell heißt wurde 2015 vom Bundesjustizministerium einberufen.
In ihr haben vier JuraprofessorInnen, eine Richterin am BGH, eine Vorsitzende Richterin eines Landgerichts. eine Leitende Oberstaatsanwältin, ein Kriminaldirektor und andere Juristen (darunter Frau Clemm) den Ist-Zustand bewertet und eben die aktuell unter „nein heißt nein“ kondensierten Änderungen vorgeschlagen.
Fischer unterstellt all diesen Fachleuten, das Strafrecht nicht zu verstehen, und legt rabulistisch und rosinenpickend als einzigen Beleg dafür die Selbstbezeichnung von Frau Clemm als „Opferanwältin“ vor. Ein einziger Beleg, den er auf 210 Wörter, auf 1.500 Anschläge auswalzt, weil er sonst offenbar nichts an der Kommission auszusetzen hat.
Geht’s noch?
An dieser Stelle hab ich dann aufgehört zu lesen, der Schmerz wurde zu groß.
[…] Thomas Fischer, Maskusplainer. […]