Wir scheinen keine großen politischen Probleme zu haben, wenn der Landwirtschaftsminister sich Sorgen um die Alphabetisierung der VerbraucherInnen macht.
Für mehr Schweineschnitzel setzt sich der Bundeslandwirtschaftsminister ein. Und, ganz wichtig, dass vegetarische Fleischersatzprodukte nicht mehr nach Fleichprodukten benannt werden.
Die vegetarische Currywurst darf keine Wurst mehr sein, das Sojaschnitzel kein Schnitzel.
Das Vertrauen in den mündigen Konsumenten lässt schlagartig nach, wenn es ums Fleisch geht. Begriffe wie „vegetarisches Schnitzel“ oder „vegane Currywurst“ sind Schmidt zufolge „komplett irreführend und überfordern den Verbraucher“. Dieser kann also offenbar ausgiebig Nährwerttabellen analysieren, zum Verständnis der Begriffe vegan und vegetarisch aber reicht es leider nicht. (SPIEGEL)
Irreführend für den Verbraucher? Diese Produkte haben doch eine ganz klare Zielgruppe: Vegetarier. Die eben nicht versehentlich das Schweineschnitzel essen wollen, weil sie das gar nicht (mehr) verdauen können und mit Glück nur Durchfall davon bekommen. Daher steht ja auch „vegetarisch“ oder gar „vegan“ deutlich lesbar drauf.
Viele Menschen regen sich aktuell wieder auf, warum es diese „Erstzprodukte“ überhaupt gibt. Wenn Du als Veggie mit Fleischessern zusammenlebst, gibt es in unserer Fleisch-mit-zwei-Beilagen-Kultur aber halt nur drei Möglichkeiten:
- Du isst nur die Beilagen
- Du isst was völlig anderes
- Du ersetzt das Fleisch durch etwas, das auch passt
Möglichkeit 1 führt zu Mangelerscheinungen, Möglichkeit 2 sorgt dafür, dass Du bei deutlich erhöhtem Kochaufwand immer am Katzentisch landest. Also: Man verzehrt vegetarische Würstchen, Schnitzel, Frikadellen und Aufschnitte.
In den letzten Monaten hat die Rügenwalder Mühle ein so gutes vegetarisches Sortiment aufgebaut, dass der Focus dem Firmenchef sogar in den Mund legte, dass man in Zukunft auf Fleischprodukte verzichten wolle. Herta stellt heute vegetarischen Bierschinken her, die klassischen Hersteller wie Viana & Co produzieren weiterhin.
Es scheint offensichtlich einen Markt zugeben, der zwangsläufig anderen Märkten die Umsätze streitig macht. Es wird halt nicht mehr gegessen, nur, weil es mehr Auswahl gibt.
Und wenn man sich mal in die Situation eines Vegetariers oder Lebensmittelallergikers vesetzt: Es gibt wesentlich Wichtigeres, das geregelt werden sollte.
Nämlich die „Gemüsesuppe“, die sich erst nach Lektüre des Kleingedruckten auf der Rückseite unter dem Falz als Rinderbrühe mit Gemüse drin entpuppt. Oder dann doch Dinge enthält, die bekannte Probleme auslösen (ohne Not zugesetzter Milchzucker, Geschmacksverstärker, Gluten…).
Oder Produkte, die plötzlich ohne Hinweis solche Stoffe enthalten – ich hab mal eine Weile Dosen mit „Gemüse-Ravioli“ im Büro auf Vorrat gehabt, die anfangs mit Gemüsebrühe gemacht waren, später dann aber mit Hühnerbrühe. Hab ich auch nur zufällig bemerkt.
Wer zum Beispiel Soja (also Tofu) nicht verträgt oder Zöliakie hat und kein Gluten (also Seitan) essen darf, der weiss das und achtet bewusst darauf, es nicht zu kaufen. Diese Menschen werden die groß und werbewirksam angebrachten Hinweise „vegetarisch“ oder „vegan“ definitiv nicht übersehen, weil sie auf das Kleingedruckte angewiesen sind.
Und dass Fleischessern, die mal versehentlich die vegetarischen „Schinkenspicker“ oder den vegetarischen Curry King erwischen, spontan Äste wachsen oder Körperteile verfaulen ist nicht anzunehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass vielen der geschmackliche Unterschied gar nicht auffällt.
Und überhaupt: Was ist mit dem Hot Dog, in dem kein Hund ist? Dem Jägerschnitzel, das keinen Jäger enthält?
Oder gar dem Palatschinken, der Blutorange oder der Fleischtomate? Das ist doch alles Betrug!!!111
Immerhin hat sich die Anzahl derjenigen, die wissen, dass der Agrarminister existiert und Christian Schmidt heißt, vermutlich verzehnfacht.
— Anna-Mareike Krause (@mlle_krawall) 28. Dezember 2016
Ok, eine gute Sache hat das, ich hätte das nämlich auch nicht gewusst.
Das ist wirklich interessant! Danke sehr für den Beitrag.