Gewalt, sowohl gegen Menschen als auch gegen Sachen, ist abzulehnen. Versammlungen, die wir nach Artikel 8 des Grundgesetzes jederzeit ohne Antrag oder Genehmigung durchführen dürfen, müssen daher friedlich ablaufen.

Eingeschränkt wird das Versammlungsrecht lediglich bei Versammlungen „unter freiem Himmel“, was heute sinngemäß als „außerhalb von Gebäuden oder eingefriedeten Flächen“ interpretiert wird. Aber auch solche Versammlungen bedürfen keiner Genehmigung.

Wenn ich will, darf ich sie veranstalten, muss sie jedoch der Polizei vorher anmelden.

Auf diese Weise soll der Polizei als Teil der Staatsgewalt die Chance gegeben werden, für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen und Gefahren sowie übermäßige Belästigungen durch die Versammlung zu verhindern.

Eine Kundgebung auf einer vielbefahrenen Autobahn würde zwar ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen, wäre aber durch und Beeinträchtigung anderer höchstens dann zulässig, wenn ein enger und zwingender thematischer Bezug zur Autobahn bestünde.

Das alles wird in den Versammlungsgesetzen des Bundes und der Länder geregelt. Die Polizei darf auf ihrer Basis der VeranstalterIn einer Demonstration Auflagen machen.

Diese werden in einem Bescheid, der rechtlich gesehen ein Verwaltungsakt ist und strengen formellen Regeln unterliegt, festgelegt. Die Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht sieht das Versammlungsrecht sogar als so wichtig an, dass die Polizei diese Auflagen nicht einfach auf den Tisch pfeffern darf, sondern sie mit der VeranstalterIn im Vorfeld in einem Koordinationsgespräch erörtert.

Die zeitlichen Grenzen für die Polizei sind eng. Man meldet eine Demo (inclusive Beschreibung einer eventuellen Marschroute etc) an und darf 48 Stunden später zur Versammlung einladen. Der Sinn der 48 Stunden ist offenkundig: Die Polizei soll diese Zeit nutzen, um schwerwiegende Auflagen mit dem Veranstalter abzusprechen.

Beispielsweise kann der Treffpunkt, an dem die TeilnehmerInnen sich zusammenfinden sollen, ungeeignet sein, oder der Zeitpunkt, weil der örtliche Schützenverein zeitgleich seinen Schützenzug abhält.

Später wird dann von der Polizei das erwähnte Koordinationsgespräch organisiert, in dem VeranstalterIn und Einsatzleiteung der Polizei vor Ort und in der Zentrale sich kennen lernen und sich über die weiteren Auflagen, Kommunikationswege etc. abstimmen.

Am Ende steht ein Auflagenbescheid, gegen den der VeranstalterIn der Rechtsweg offen steht. Sie kann Widerspruch gegen Auflagen etc. einlegen oder vor das Verwaltungsgericht gehen.

So weit zumindest die Theorie.

In der Praxis habe ich das in vielen Jahren durchaus anders erlebt.

Konkret meldet man beispielsweise am 10.7. per Fax eine Demo an, die am Samstag, 19.8. stattfinden soll. Man schickt das Fax ab und – nichts passiert.

48 Stunden später lädt man ein, organisiert OrdnerInnen etc.

Einen Tag vor der Demo, am 18.8. also, rumpelt das Fax und man erhält den Auflagenbescheid. Wenn man Glück hat nachmittags, aber ein Eingang per Fax um 21 Uhr am Vorabend einer Demo wäre nicht ungewöhnlich.

Und die Auflagen im Bescheid können durchaus kritisch sein. Transparente werden an Stangen hochgehalten. Stangen können aber als Waffen benutzt werden, also kann die Polizei Vorgaben zu diesen Stangen machen, weil Waffen auf Kundgebungen verboten sind.

„Transparente dürfen nur an Holzstangen mit maximal 25mmx40mm Kantenlänge befestigt werden.“ las ich da einmal.

Üblich wären aber Dachlatten, die dummerweise 24mmx48mm Kantenlänge haben. Oder Aluminiumteleskope, wie sie zum Decken streichen benutzt werden, und die noch weniger als Waffe taugen als die erlaubte Holzstange. Was die TeilnehmerInnen am nächsten Tag als Transpi-Stangen mitführen, kann die VeranstalterIn aber in der Kürze der Zeit nicht mehr beeinflussen.

Oder (ernsthaft bei einer Demo im Juli) „Wir weisen auf das Vermummungsverbot hin. Das Tragen von Kapuzen und/oder Sonnenbrillen ist unzulässig.“

Ignorieren kann man diese aus tatsächlichen Gründen unerfüllbaren Auflagen zwar, aber das kann nach hinten losgehen, denn die Polizei sagt ja klar: Alles, was nicht aus Holz oder dicker als erlaubt ist, gilt als Waffe. Und das Mitführen von Waffen ist schon auf dem Weg zur Kundgebung hin verboten und strafbar.

Und wer sich auf einer Demo vermummt, der will ja ganz offensichtlich Straftaten begehen.

Zudem hatten auch auch die Einsatzleiter der Polizei vor Ort regelmäßig nur den Auflagenbescheid in die Hand gedrückt bekommen. Es gab daher immer wieder weniger lustige Gespräche bis hoch zur Einsatzleitung in der Polizeizentrale denn das, was auf der Kundgebung erlaubt ist, ergibt sich aus dem Inhalt der Anmeldung und den Auflagen. Hatten wir Megaphone in der Anmeldung angekündigt, wurden sie im Auflagenbescheid oft nicht erwähnt, vor Ort wurde aus der Nichterwähnung aber geschlossen, dass wir sie nicht benutzen dürfen.

Natürlich wäre die 48-Stunden-Frist zwischen Anmeldung und Einladung der Zeitraum gewesen, in dem die Polizei die für die Einladung erheblichen Auflagen hätte mitteilen müssen. Hat sie aber nicht und nun hat man einen Bescheid an der Hand, gegen den man über Nacht kaum noch rechtlich vorgehen kann, weil im Verwaltungsgericht nur eine Notbesetzung arbeitet.

Bei der Kampagne gegen eine Nerzfarm im Kreis Viersen habe ich daraufhin im Namen der VeranstalterInnen an jedem Freitag vor der Demo mit einer Kopie des Bescheides in der Hand den aktuellen Einsatzleiter der Polizei angerufen.

Ich teilte ihm – „gerne auch per Fax“ – die formellen und materiellen Mängel im Auflagenbescheid mit und fragte mit freundlichen Worten, ob eine verantwortliche Person das Koordinationsgespräch mit mir unbürokratisch am Telefon nachholen wolle oder wir gezwungen seien, eine Einstweilige Anordnung durch den Bereitschaftsrichter des Verwaltungsgerichts zu erreichen.

Was soll ich sagen? Nach wenigen Demos begann die Kreispolizei sogar, tatsächlich zu einem Koordinationsgespräch einzuladen und man stellte uns sogar die Beamten des Staatsschutzes vor, die auf jeder Demo bislang anonym anwesend waren, obwohl alle zivilen Polizeibeamten sich der VeranstaltungsleiterIn eigentlich unaufgefordert zu erkennen geben müssen.

Die Regel ist das aber nicht, willkürliche Änderungen der Auflagen durch die Polizei vor Ort waren zu meiner Tierrechtszeit an der Tagesordnung. Der Staat hat durch seine Säule „Polizei“ ganz massiv daran gearbeitet, die Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu erschweren, wenn nicht gar zu verhindern.

Wie war das jetzt in Hamburg?

Krawall auf linken Demos gab es da schon öfter. Der Staat muss nun souverän mit Krawall umgehen. Auch einem Gegner des Staates darf man keine Grundrechte verwehren.

Die Versammlungsfreiheit ist für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (ständige Rechtsprechung des BVerfG, zuletzt B. v. 20.12.2012 Nr. 1 BvR 2794/10, DVBl. 2013, 267)

Dem Vernehmen nach (damit meine ich Zeitungsartikel und Aussagen von Journalisten und Politikern, die mir in die Timeline gespült wurden) hatten ausgerechnet die VeranstalterInnen der Demos, bei denen mit Ausschreitungen zu rechnen war, nicht einmal einen Auflagenbescheid erhalten, vom Koordinationsgespräch ganz zu schweigen.

Nicht, dass Bescheid und Gespräch die Randale verhindert hätten, aber der Umgang mit einander muss wenigstens von Seiten des Staates souverän sein.

Das ist er in dieser Form nicht.

Jeder einzelne von uns darf eingeschnappt sein und das Gespräch verweigern, der Staat ist aber keine Person mit Gefühlen und muss es wenigstens anbieten.

Die Situation ist auf derartigen Veranstaltungen brenzlig, das berechtigt aber nicht, dass die Polizei von sich aus repressiv agiert, wie es berichtet wurde:

 

Natürlich rechtfertigt repressives Verhalten der Polizei nicht, dass Autos angezündet, Steine geworfen oder Geschäfte aufgebrochen werden. Aber die Polizei muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip berücksichtigen und darf den Randalierern nicht noch durch offenbar prophylaktische Angriffe auf zu dunkel gekleidete Menschen quasi den Startschuss geben, ihre Vorurteile erfüllen und genau damit genau das tun, was ihr von den Randalierern vorgeworfen wird.

Dass beispielsweise die offenbar 12.000 TeilnehmerInnen der WelcomeToHell-Demo ihr in der Verfassung verankertes Recht nicht ausüben durfte, weil ein paar hundert Vermummte des Schwarzen Blocks sich unter sie gemischt hatten, ist nicht souverän, nicht verhältnismäßig, sondern schlicht verfassungswidrig.

Und es ist Wasser auf die Mühlen der Randalierer, die nun wissen, wie wenig von ihnen erforderlich sind, um ein friedliche Großdemo mit Wasserwerfern beschießen zu lassen.

Ganz ähnlich übrigens auch der Umgang mit den Jourmalisten.


Dass Journalistinnen bei derart großen Anlässen eine Akkreditierung brauchen, ist soweit ok und dient der Pressefreiheit (ansonsten könnte sich ein großes Medienhaus mit so vielen Berichterstatterinnenn dort einfinden, dass die Konkurrenz statt des Kuchens nur noch ein paar Brotkrumen bekommt)

Welchen Nutzen hat eine solche Vorgehensweise?

Wenn mir die Akkreditierung gar nicht erteilt wird, kann ich im Vorfeld den Rechtsweg beschreiten. In Hamburg hantierten die Polizeibeamten aber mit anscheinend immer länger werdenden Listen von Personen, denen die Akkreditierung während des G20-Gipfels wieder entzogen wurde, dass es wie ein System erscheint – vor Ort und im herrschenden Chaos wird niemand die Chance haben, den Entzug der Akkreditierung vor Ende des Gipfels rechtlich zu klären.

Auch hier wurde ein in der Verfassung verankertes Recht entzogen: Das der Pressefreiheit.

[Update]: Die Tagesschau berichtet genauer über die „schwarze Liste“ und teilt meine Meinung der Verletzung von Grundrechten.

Hamburg hat sich am Wochenende wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert und es wird nun noch länger dauern und noch härter werden, Randalierer bei zukünftigen Demos zu bändigen. Der Graben ist seit dem Wochenende nämlich noch ein Stück tiefer.


 

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