Viele – wenn nicht die meisten – Publikationen der letzten Jahre, die sich mit Flüchtlingen, Flucht, dem Islam und anderen verwandten Themen befassten, stammten von Menschen, die den Islam oder die Aufnahme von Geflüchteten nicht gutheißen wollten. Sie erschufen dabei neue Begriffe und verschoben die Bedeutung von alten Begriffen und veränderten damit die Wahrnehmung der Realität.
Vor rund einem Jahr habe ich hier schon eine Liste von Begriffen gesammelt, anhand derer man erkennen kann, dass einE GesprächspartnerIn entweder eine weit rechts angesiedelte Ideologie hat oder sich zumindest ihre Informationen von dort holt.
In letzter Zeit fällt mir auf, dass einzelne der rechten „Kampfbegriffe“ immer öfter auch außerhalb der rechten Szene benutzt werden und sich langsam aber sicher in den allgemeinen Sprachgebrauch einschleichen.
Das sind nicht nur Begriffe wie „nordafrikanisches Aussehen“ (oder auch „Nafri“), was ungefähr nichts konkret beschreibt, außer, dass man vermutet, dass eine Person ein Flüchtling ist.
Genauso liest und hört man oft von „Migranten„, wenn Flüchtlinge gemeint sind. Genau genommen beschreibt Migration (siehe auch Wikipedia)
eine auf Dauer angelegte räumliche Veränderung des Lebensmittelpunktes einer oder mehrerer Personen
Damit schlißt der Begriff Migration ausdrücklich auch die Flucht ein. Wenn ich für Geflüchtete aber kontinuierlich den Begriff „Migranten“ benutze, verschwimmt das Bild. Migranten sind auch die Leute, die zur Umsetzung ihrer Träume nach Mallorca auswandern. Auch Lutz Bachmann ist ein solcher „Migrant aus Komfortgründen“, der aktuell wohl auf Lanzarote lebt.
Die Flucht – also die Rettung des eigenen Lebens bei gleichzeitiger Aufgabe der wirtschaftlichen und sozialen Existenz in der Heimat – wird so aus dem Bewusstsein der GesprächspartnerInnen verdrängt.
Gleichzeitig steckt der Begriff „Migranten“ durch diese Verschiebung aber tendenziell alle Menschen mit Migrationshintergrund in die Schublade der terrorverdächtigen Menschen, die als angebliche Invasoren eine Islamisierung unseres Abendlandes betreiben.
Sprache formt das Denken, auch auf der Begriffsebene.
Als Beispiel zur Flucht habe ich in Diskussionen meist die Analogie zum brennenden Wohnhaus gezogen. Wer etwa 800.000 Flüchtlinge nicht nach Deutschland lassen will, weil sich darunter auch ein kleiner Prozentsatz Krimineller, gar möglicher Terroristen befinden wird, der handelt so, als ob er Menschen nicht aus einem brennenden Haus flüchten lässt, weil ja ein Autodieb oder gar der Brandstifter unter ihnen sein könnte.
Analog zur Bezeichnung von Geflüchteten als „Migranten“ wäre es beim brennenden Haus so, als ob man seine (ehemaligen) Bewohner einfach als „Obdachlose“ bezeichnen würde. Denn schließlich haben sie ja keine Wohnung, also kein Obdach, mehr, und leben in Notunterkünften oder kommen vorübergehend bei Freunden oder Verwandten unter.
„Obdachlos“ trifft sachlich und im eigentlichen Wortsinn betrachtet auf sie zu. Das mit dem Begriff verbundene Bild eines meist alkoholisiert in Lumpen bettelnden Menschen ist in Bezug auf sie jedoch widerlich verunglimpfend und verfälscht die Wahrnehmung.
Also, liebe FreundInnen, Medien, PolitikerInnen: Sprecht bei Menschen, die hier als Flüchtlinge ankommen, bitte von Flüchtlingen oder Geflüchteten, nicht von Migranten. Sie sind keine Spaß-Auswanderer, wir sind nicht bei „Good-Bye Deutschland“.
Der nächste Begriff ist das Begriffspaar der „Passdeutschen“ und der“Herkunftsdeutschen„.
Die Deusche Staatsangehörigkeit leitet sich vom Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) vom 22. Juli 1913 her. Dieses Gesetz wurde zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Das Grundgesetz verbietet zugleich in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit.
Es gibt zwar einzelne Fälle, in denen die Staatsangehörigkeit entzogen werden kann, aber darunter fallen eher exotische Situationen wie der freiwillige Dienst in der Armee eines anderen Landes (§32 StGB).
Anders, als in Frankreich, darf der Entzug der Staatsbürgerschaft nicht auf Grund von Straftaten erfolgen. Wer also als Deutscher eingebürgert (naturalisiert) wurde, der ist Deutscher. End of Story.
Die Bezeichnung als „Herkunftsdeutscher“, wenn die Eltern (Großeltern, Urgroßeltern – wie viele Generationen müssen es bitte sein?) auch Deutsche waren, erinnert an den Ariernachweis im Dritten Reich. Da wurde zwischen Halb- und Vierteljuden unterschieden. Letztere durften nach den Nürnberger Gesetzen Nichtjuden heiraten, weil das „minderwertige jüdische Blut“ quasi genetisch ausgemerzt würde.
Die Unterscheidung zwischen „Passdeutschen“ und „Herkunftsdeutschen“ erinnert auch an dias Reichsbürgergesetz, das Teil der Nürnberger Gesetze war:
Das Reichsbürgergesetz schuf eine besondere Art des Bürgers: den „Reichsbürger“.
Die vollen politischen Rechte sollte nach diesem Gesetz allein der „Reichsbürger“ haben (§ 2 Abs. 3 Reichsbürgergesetz – RBG). Dieser müsse – zunächst – deshalb Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein und durch sein Verhalten beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Das Reichsbürgerrecht wird durch einen Reichsbürgerbrief verliehen (§ 2 Abs. 2 RBG).
Auf diese Weise wurde rechtlich eine Dreiteilung vorbereitet:
- „Reichsbürger“ (§ 2 RBG), die dies allerdings nur unter der „Maßgabe der Gesetze“ sind (§ 2 Abs. 3 RBG)
- „Staatsangehörige“ (zwar mit Verweis auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, der jedoch dem Staat „dafür besonders verpflichtet ist“ (§ 1 Abs. 1, Halbsatz 2 RBG)) und
- letztlich die, die keines der beiden Kriterien erfüllen konnten.
(Quelle: Wikipedia)
Wer die Begriffe „Herkunftsdeutsch“ oder „Passdeutsch“ verwendet, der riskiert dabei eine erneute Differenzierung unterschiedlicher Wertigkeiten der Staatsangehörigkeit. Das ist, wie man es auch sieht, rassistisch und sachfremd.
Denn auch das Saarland war von 1946 bis zum 1.1.1957 französisch. seine EinwohnerInnen mithin Franzosen. Sie erwarben die Deutsche Staatsangehörigkeit erst (wieder) 1957. SaarländerInnen, die zwischen 1956 und 1957 geboren wurden, sind so gesehen auch nur „Passdeutsche“, ebenso, wie ihre Kinder und Enkel.
Das Deutschsein von irgendwelchen Vorfahren abhängig zu machen ist heikel. Wie weit wollen wir zurückgehen? 1228 – Neapel bleibt unser? Die Definition, wer „Herkunftsdeutsch“ ist und wer nicht, ist etwa so ergiebig und willkürlich wie die Frage nach einer Leitkultur.
Weitere derartige Begriffe werden von Rechten ausdrücklich erdacht und benutzt, um menschenverachtenden Rassismus und Antisemitismus mit samtweichen Namen zu versehen.
Die „Identitäre Bewegung“ zum Beispiel:
Als Identitäre Bewegung (auch Identitäre Generation, kurz Identitäre) bezeichnen sich mehrere aktionistische, völkisch orientierte Gruppierungen, die ethnopluralistisch-kulturrassistische Konzepte vertreten. Sie gehen von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, deren „Identität“ vor allem von einer „Islamisierung“ bedroht sei. Politikwissenschaftler ordnen die Gruppe durchgängig als eine Spielart des Rechtsextremismus ein. (Quelle: Wikipedia)
Noch offensichtlicher ist es bei der Alt-Right-Bewegung. Bei der durch den rechtsterroristischen Anschlag auf GegendemonstrantInnen in Charlottsville bekannt gewordenen Versammlung dieser alternativen Rechten war mehr als eindeutig zu sehen, dass diese Bewegung ausdrücklich aus Nationalsozialisten besteht. Hitlergruß und Hakenkreuze machen es sehr schwer, ein anderes Wort als „Nazis“ zu benutzen, dennoch tun die Medien das.
Dieses Weichspülen der Wahrheit, indem die selbstgewählte und verschleiernde Selbsstbezeichnung der Gruppen genutzt werden, ist genau das, was beabsichtigt wird. Diese Euphemismen sind auf Neusprech.Org zwar noch nicht aufgenommen worden, dienen aber zur Verschleierung von Rassismus und Nazipropaganda, wie der Begriff „Alternative Fakten“ lediglich blumig verschleiern soll, das man gerade lügt.
Kennt Ihr weitere derartige Begriffe? Bitte, die Kommentarfunktion steht Euch offen.
Also Leute, bitte meidet diese sprachlichen Tarnkappen für üble Realitäten. Es reicht, dass die Wirtschaft uns mit Begriffen wie „Thermische Verwertung“ für die Verbrennung von recyclebaren Verpackungsabfällen in die Irre führen will. Müllverbrennung bleibt Müllverbrennung und Nazipropaganda bleibt Nazipropaganda.
Auch, wenn wir sie versehentlich oder unbedacht selber machen.