Normalerweise gehöre ich zu den Leuten, die sich auf der re:publica tummeln und netzwerken und klassentreffen, aber dieses Jahr haben sich die Mächte gegen mich verschworen und es klappte leider nicht. Daher kann ich die Drei-Tage-Wach-Party aus der Distanz beobachten und rumstänkern 😉
Wer schon einmal dabei war oder die bisherigen re:publicas verfolgt hat, der weiß es: Auf der Abschlussveranstaltung wird von allen gesungen. Und zwar Bohemian Rhapsody von Queen als Karaoke-Version. Wie es da zu kam, das würde den Rahmen dieses Blogposts sprengen, aber es ist halt der Klassiker.
Und zeigt im Kleinen, wie schwierig es ist, einen Safe Space auf einer Veranstaltung mit mehreren tausend TeilnehmerInnen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Kontexten zu schaffen. Denn der eine Spruch geht nach wie vor um: „Die Oper ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau gesungen hat.“
Yo, das ist Fatshaming und sexistisch und daher doppelt überflüssig, kommt aber trotzdem immer wieder.
Gestern Abend hatte Johnny Haeusler eine (provokante) Idee: Warum sollte man nicht zur Abwechslung mal Africa von Toto singen?
Ja, warum eigentlich nicht? Es ist ein tolles Lied, das ich seit den 80ern liebe. Musikalisch kommt es kaum an die Minioper von Queen heran, aber sein Hintergrund ist spannend:
Das Lied war der zweite Song, den die Band für das Album Toto IV aufnahm. Inspiriert wurde Toto-Keyboarder David Paich durch die Werbungvon UNICEF, in der hungernde Kinder in Afrika gezeigt wurden. Mit dem Lied wollte er Aufmerksamkeit für deren Schicksal erregen.
Quelle: Wikipedia
Auch, wenn der Text laut Wikipedia sechs Monate brauchte, bis er fertig war, ist er aus heutiger Sicht nicht so völlig toll. Es ist ein Liebeslied, er ist bereits in Afrika und sie kommt mit dem Flug um 12:30 und die vom Mondlicht beleuchteten Tragflächen des Flugzeugs reflektieren die Sterne, die ihn zur Erlösung leiten werden.
Alles sehr poetisch.
Aber auch voller Vorurteile, denn es beginnt mit:
I hear the drums echoing tonight
But she hears only whispers of some quiet conversation
Er hört die Trommeln, sie nur eine leise Unterhaltung anderer Fluggäste. Trommeln und Afrika, das passt ja. Das Echo über die Steppe (was anderes als Steppe ist da ja nicht, gelgentlich ein Flughafen halt), und man weiß ja, dass der Afrikaner an sich immer trommelt, wenn er nicht gerade isst oder auf dem Acker arbeitet.
Und mystisch wird es auch noch:
I stopped an old man along the way
Hoping to find some long forgotten words or ancient melodies
He turned to me as if to say, „Hurry boy, it’s waiting there for you“
Er scheint nicht nur auf die Frau zu warten, sondern in Afrika zu sein, um die Herkunft – der Menschheit? – zu finden und zu spüren. Alte, lange vergessene Wörter und Melodien (passend bei einem Musiker). Und der alte Mann scheint den Weg zu kennen, weil man in Afrika ja immer ein bisschen mystisch und dem Mystizismus näher ist als in Europa oder den USA.
Da stecken mitten im Text also mehrere fette Klischees über Afrika und AfrikanerInnen.
„Aber Paul Simon hat doch auch Afrika in der Musik erwähnt, das Album Graceland!“
Klar, aber Paul Simon hat auf Graceland afrikanische MusikerInnen spielen lassen und mit ihnen Songs gemacht, die zwar als Paul Simon-Songs in die Charts gingen und sein erfolgreichstes Solo-Album ergaben, und wurde auch kritisiert, aber aus anderen Gründen:
Simon nahm das Album in Südafrika auf, was ihm Kritik einbrachte, da dort noch immer Apartheid herrschte und ein Bann für kulturelle Kontakte nach Südafrika bestand. Allerdings arbeitete er hauptsächlich mit schwarzen Künstlern aus Südafrika und Lesotho zusammen.
Ohne Paul Simon als vordergründig „Künstler“ hätte sich das Album nicht annähernd so gut verkauft und hätte den afrikanischen MusikerInnen nie geholfen:
Damit machte er diese Künstler einem breiteren Publikum in Nordamerika und Europa bekannt – allen voran die Gruppe Ladysmith Black Mambazo und den Gitarristen Ray Phiri von der Gruppe Stimela. Doch auch in Nordamerika und Europa etablierte Musiker wie The Everly Brothers, Linda Ronstadt oder Los Lobos nahmen an den Sessions teil.
Quelle: Wikipedia
Beim Song von Toto war das anders, nicht einmal die Drums kamen aus Afrika:
Die Idee von Paich war, dass afrikanische Schlaginstrumente zentrales Element des Liedes werden sollten. Porcaro und Perkussionist Lenny Castro nahmen unter anderem mit Marimbas, Congas und einem Holzxylophon ein fünfminütiges Band des Grundrhythmus auf, aus dem sie dann die nach ihrer Meinung gelungensten Teile mittels Loops zu einem rund sechsminütigen Basistrack zusammenfügten.
Natürlich ist es nicht möglich, bei über 6000 TeilnehmerInnen auf der re:publica einen Safe Space für jeden zu schaffen, aber Totos Song Afrika auf der Abschlussveranstaltung fühlt sich für mich doch ein Bisschen an, als ob auf einer US-Veranstaltung am Ende ein Lied über Deutschland mit mit all den Leuten in Wikingerhelm und Krachlederner als Karaoke gesungen würde.
Dann vielleicht lieber Paul Simon?