Immer mehr Straftaten werden begangen, so sieht es jedenfalls in den Medien aus. Dennoch sinkt die Kriminalität und Deutschland ist heute sicherer als vor 25 Jahren. Lügt die Statistik? Oder unsere Wahrnehmung? Wieso haben immer mehr Leute Angst, obwohl es immer weniger Grund dazu gibt?

Der Linguistik-Professor Arnold Zwicky aus Stanford befasste sich ungefähr 2006 mit dem Phänomen, dass man nach der Wahrnehmung eines bestimmten Sachverhalts eine gewisse Zeit sehr empfänglich dafür ist, diesen Sachverhalt oder Parallelen zu ihm überhaupt zu bemerken.

Wir alle kennen wohl dieses Phänomen, dass man Dinge, mit denen man sich einmal befasst hat, plötzlich öfter sieht als zuvor. Als ich ca. 2001 einen gebrauchten Ford Mondeo kaufte, war ich froh, einen in der seltenen Farbe Rot gefunden zu haben, denn in dieser Farbe war mir das Fahrzeug bislang noch nie aufgefallen.

Bis zu genau diesem Tag. Tatsächlich stand ich auf dem Supermarktparkplatz mehr als einmal am falschen roten Mondeo Kombi, denn diese Farbe war verdammt verbreitet. Den gleichen Effekt hat man, wenn man sich beispielsweise mit der Musik einer bestimmten Band befasst – plötzlich hört man dauernd Songs dieser Band.

Schon 1994 wurde dem Effekt ihm in einem Diskussionsforum der Name „Baader-Meinhof Phänomen“ gegeben. Einer der Teilnehmer hatte zufällig erstmals von der deutschen Terrororganisation der 1970er erfahren und in den nächsten 24 Stunden zwei Verweise auf Baader-Meinhof und die RAF wahrgenommen. Verweise, die ihm ohne die Kenntnis, um was es sich handelt, eben nicht aufgefallen wären.

Zurück zu Zwicky. Er gab dem Phänomen den wissenschaftlichen Namen der Frequenzillusion.

Diese Illusion basiert auf der Selektiven Aufmerksamkeit: Haben wir einen Begriff, einen Sachverhalt oder einen Komplex erstmals wahrgenommen, suchen wir zwar nicht unbedingt danach, ihn wieder zu entdecken, aber wir können ihn, wenn wir ihn entdecken, einordnen.

Dadurch nehmen wir ihn bewusst wahr, ansonsten wäre er ins Grundrauschen der täglichen Informationsflut gerutscht und von unserem Gehirn ausgefiltert worden.

Weiterhin unterliegen wir dem sogenannten Bestätigungsfehler: Wir mutmaßen, dass der Begriff oder Sachverhalt überall präsent ist, und focussieren dann unbewusst darauf, wodurch wir ihn an vielen Orten bestätigt sehen – was uns eben vorgaukelt, dass es überall so ist.

Der Baader-Meinhof-Effekt bzw. die Frequenzillusion ist eine Kognitive Verzerrung der Realität.

„Und was hat das jetzt mit German Angst zu tun?“

Erstmal wenig. „German Angst“ ist zudem ein schwammiger Begriff, den ich nur als griffigen Eyecatchers in den Titel aufgenommen habe. Es geht um das, was die BILD-Zeitung gerade dokumentiert und verstärkt: Das Gefühl, in Deutschland sei es noch unsicherer als noch vor 10 Jahren.

Auch hier haben wir eine endeutige Frequenzillusion vor uns.

Die Kriminalstatistik weist aus, dass die Kriminalität inclusive der Gewaltdelikte in Deutschland auf dem gernigsten Wert seit 1992, dem Jahr der Wiedervereinigung, liegt. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Deliktes zu werden, war in jedem der vergangenen 25 Jahre höher als sie 2017 war.

Dennoch fühlt man sich in Deutschland statistisch gesehen unsicherer als noch 2007.

Schauen wir uns mal die möglichen Angstverstärker an. Soziale Medien spielen da in mehreren Dimensionen eine wichtige Rolle.

Zum einen ist die Zahl der TeilnehmerInnen seit 2007 gewachsen. 2007 öffnete Facebook beispielsweise die Tore für NutzerInnen aus Deutschland. 2011 waren knapp 14 Millionen Deutsche auf Facebook registriert, was einer Verdoppelung der Nutzer seit 2010 entsprach. 2012 waren es 25 Millionen BenutzerInnen aus Deutschland.

Im vergangenen Jahr, 2017, waren es dann 31 Millionen Menschen. Das ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung.

Facebook hat einen immensen Anteil an der Verbreitung von Informationen. So werden natürlich auch Zeitungsartikel auf Facebook geteilt, und jeder Artikel über einen Raubüberfall, Mord oder ein Sexualdelikt erfährt eine Verstärkung der Aufmerksamkeit für diese Themen durch das Teilen.

Wenn es mehrere lokale Zeitungen gibt – hier in der Gegend sind es die Rheinische Post (RP) die Westdeutsche Zeitung (WZ), ein in den verschiedenen Orten erscheinendes lokales Anzeigenblatt mit redaktionellem Teil und Internetangebote wie LokalKlick, die aggregierte Pressemeldungen der Polizei und Feuerwehr veröffentlichen – ist die Chance, dass einer Person so ein Fall in den Sozialen Medien über den Weg läuft, noch wahrscheinlicher.

Jeder geteilte Artikel über solche Delikte kann bei eineR LeserIn zum Bader-Meinhof-Phänomen führen. Die subjektive Wahrnehmung überstimmt in unseren Köpfen die statistisch belegbaren Fakten. Und das wird durch einen weiteren Effekt noch verstärkt.

Die Headlines und Aufmacher der Artikel zum selben Geschehnis weichen meist von einander ab. Wenn nun am Montagabend jemand den brandaktuell online erschienenen Artikel der WZ in einer örtlichen Gruppe postet, ist es recht wahrscheinlich, dass am nächsten auch der entsprechende Artikel aus der RP gepostet wird.

In der örtlichen Krefelder Gruppe stelle ich fest, dass an den Diskussionen über die geposteten Artikel von einer fünfstelligen Teilnehmerzahl immer dieselben 10-15 Leute teilnehmen, eine etwas größere Anzahl liked den Beitrag. Der Rest liest offensichtlich nur quer, die Postings schwimmen auf der Pinnwand an den Augen vorbei bis zum nächsten Katzenvideo oder Fußballergebnis.

Wenn die verschiedenen Zeitungen dann mit unterschiedlichem Fokus über die Vorfälle berichten, erkennt man kaum, dass die Headlines „Bande überfällt Krefelder“, „Handyraub im Stadtpark“ und die zwei Tage später erscheinende amtliche Polizeimeldung „Öffentlichkeitsfahndung wegen Überfall auf Senioren“ exakt denselben Sachverhalt zum Inhalt haben.

Und – zack! – kann man sich in Krefeld nicht mehr auf die Straße trauen, obwohl statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer solchen Tat zu werden, geringer ist als in den letzten 25 Jahren.

Ganz offensichtlich ist die Bevölkerung noch nicht reif genug für soziale Medien. Wenn wir einen Teppich kaufen, dann reicht uns eine gefühlte Fläche von 16m² nicht aus, wir messen sie nach. Wenn wir Obst  und Gemüse kaufen, verlassen wir uns nicht auf das gefühlte Kilo, wir erwarten, dass die Ware abgewogen wird.

Wenn es hingegen um unser Sicherheitsgefühl geht, ignorieren wir die vorhandenen Messwerte der Polizeilichen Krimialstatistik, verlassen uns auf unser reines Gefühl und treffen auf seiner Grundlage Entscheidungen, die viel gravierender sind als das Gewicht von Obst oder die Fläche des Wohnzimmers: Wir entscheiden in Wahlen über die Zukunft des Landes.

Wir können nur eins: Einen Kampf gegen die Windmühlenflügel aufnehmen und recherchieren, aufklären, einordnen, bei der Beurteilung helfen.

 

Kategorien: Allgemein