Windernergie finde ich toll. Ich freue mich jeden Tag, auf Höhe das Kaarster Kreuzes die dort auf einem Acker aufgebaute Windfarm zu sehen. Ökologische Stromerzeugung ohne CO2-Ausstoß oder das Erzeugen anderer Altlasten, die folgenden Generationen und Zivilisationen zur Last fallen, ist zwingend erforderlich.
Allerdings ist es mit der Windenergie so: Diese Windräder sind letztlich industrielle Anlagen. Sie erzeugen Strom, haben aber Auswirkungen auf ihre Umgebung.
Auswirkungen, die zu einem Akzeptanzproblem führen. Helmut Schmidt sagte in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts mal sinngemäß: Keiner kann ohne Atomkraft leben, aber jeder wünscht das Kraftwerk in den Garten des Nachbarn.
So ähnlich ist das heute: Keiner kann ohne Windenergie in 20 Jahren noch so leben wie heute, aber jeder wünscht die Windräder in den Nachbarort.
Die viel zu geringe Akzeptanz der Bevölkerung kann man an einigen Pressemeldungen sehen. Ein Windrad havariert im Sturm, einer der Rotoren landet auf dem Feld. Es wird direkt die Apokalypse ausgerufen, die Dinger seien gefährlich und würden Menschenleben gefährden.
Dass die Auswirkungen eines havarierten Kernkraftwerks gravierender sind, dass bei Windstärken, bei denen Windräder zu Bruch gehen, tendenziell eher keine Menschen sich darunter aufhalten, dass Kohlekraftwerke auch Menschen gefährden (durch das, was aus dem Schornstein kommt) ignoriert man gerne. Dass eigentlich jede Infrastruktur Todesopfer zur Folge hat, das wird gerne übersehen.
Voriges Jahr gab es einen schrecklichen Unfall an der Laderampe des fleischverarbeitenden Betriebes bei uns im Ort. Ein Mitarbeiter wurde zwischen der Laderampe und einem Lkw eingeklemmt und kam zu Tode. Niemand würde deshalb Laderampen, Fleischverarbeitung oder Speditionen ablehnen. Aber bei Windrädern reicht dazu die abstrakte Gefährdung von Menschen aus.
Es ist fraglos so, dass Windkraftanlagen – wie eben alle industriellen Anlagen – Auswirkungen haben. Sie – also ihre Rotorblätter – machen Geräusche, sie werfen einen Schatten, der durch die Bewegung der Rotorblätter bei ungünstigem Sonnenstand zu einem Flackern führt.
Für Menschen schädliche Infraschallschwingungen sollen auch schon in Studien nachgewiesen worden sein.
Grundstücke verlieren an Wert, Häuslebauer trifft das genau so, wie es Sportplätze beeinträchtigt, wenn zu bestimmten Uhrzeiten durch den flackernden Schattenwurf kein Fußballspiel mehr möglich ist.
Hier gilt also immer eine Abwägung: Wie weit von Siedlungen oder einzelnen Wohnhäusern entfernt müssen die Anlagen stehen, um bei der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden positiv abzuschneiden?
Dazu kommt die Einwirkung auf die Natur. Die Rotoren sind in einiger Höhe und gefährden nachweislich alle Lebewesen, die in fliegen können.
Besonders gefährdet sind da Fledermäuse. Die fliegen nachts und orientieren sich an kurzen Schnappschüssen der Umgebung, die sie per Ultraschall „sehen“. Dass die Rotoren des Windrades, das sie wahrnehmen, sich an den Spitzen je nach Länge und Windstärke mit dreistelligen Stundenkilometern bewegen – woher sollen sie das wissen?
Auch Vögel sind gefährdet. Bei Greifvögeln insbesondere die Jungtiere. Ein Greifvogelhorst in der Nähe von Windrädern ist daher eine Katastrophe.
Daher sind Wälder für Windkraftanlagen erstmal keine guten Standorte. Wegen der Vögel, die, wie die Fledermäuse, von Fluginsekten angezogen werden und ihrerseits Raubvögel anziehen.
Es gibt natürlich auch Fälle, wo die Abwägung anders ausgeht. Beispielsweise in Gebirgen. Da muss man die Windräder auf die Hänge und Gipfel stellen, da im bewohnten Tal halt kein Wind ist.
Und damit landen sie dort oft im Wald. Aber immerhin gibt es da objektive Gründe, aus denen sie nur dort stehen können.
Anders hier am Niederrhein. Hier ist es flach, die höchste Erhebung weit und breit ist unser Kirchturm. Wind ist immer mehr oder weniger gleich verteilt. Und da wir kaum noch Wald haben (obwohl unser Dorfname „Vorst“ andeutet, dass es mal viel mehr war) gibt es viele Gründe gegen Windräder am oder im Wald.
Mitte 2018 eröffnete nun unser Bürgermeister den Ratsmitgliedern in nichtöffentlichen Sitzungen der Ausschüsse, dass am Waldrand und nur ein paar hundert Meter vom Ortsrand entfernt Windräder geplant seien. Von einer Firma, die solche Windparks baut. Genehmigungsbehörde sei zwar der Landkreis, aber er, der Bürgermeister, würde alle Mittel ausschöpfen, die Pläne zu verhindern.
Kurz nach dem Jahreswechsel kam dann die Mitteilung in der Presse, dass der Kreis die Anlagen genehmigt hätte, nachdem der Bürgermeister sein „Planerisches Einvernehmen“ geäußert habe.
Die Anwohnerinnen und Anwohner, die Betreiber des Bolzplatzes, die Leute aus dem Nachbarort, die genauso nah an den Windrädern leben, die Parteien, die Umweltverbände – alle haben erst aus der Presse davon erfahren.
Das ist natürlich – Dieter Bohlen würde sagen – suboptimal.
Der Kreis hätte nun die Öffentlichkeit gar nicht darüber informieren dürfen. Die Stadt auch nicht und die Ausschussmitglieder, die vom Bürgermeister in nichtöffentlicher Sitzung informiert wurden auch nicht.
Öffentlichkeitsarbeit kann an dieser Stelle nur der machen, der die Windräder erbauen und betreiben will.
Da kam aber: Nichts.
Dabei ist der Zeitpunkt der Genehmigung sehr, sehr schlecht gewählt. In NRW gilt derzeit noch ein Mindestabstand von 600m zur geschlossenen Bebauung, den die Windräder einhalten müssen. In wenigen Wochen wird das anders sein. Der Abstand wird in der entsprechenden Verordnung auf 1.500m erhöht.
Das würde Windräder an dieser Stelle unmöglich machen. Und angesichts der Höhe von 200m erst Recht. Zum Vergleich: Der Kölner Dom ist 157m hoch, die Vorster Kirche St. Godehard nur 75.
Was ist natürlich passiert? Eine Bürgerinitiative gründete sich. AnwohnerInnen legen einen Drittwiderspruch gegen die Baugenehmigung ein, weil sie durch den Bau beeinträchtigt werden.
So leid es mir als Freund der Windenergie auch fällt: Ich verstehe sie.
Nochmal: Windkraftanlagen sind industrielle Objekte. Man kauft ein Haus oder Grundstück am Stadtrand, wo erst Äcker kommen und dann ein Landschaftsschutzgebiet. Man kennt die örtliche Politik und weiß: Da wird nicht gebaut, das gibt der vom Stadtrat beschlossene Flächennutzungsplan nicht her und in dieser Generation wird sich das auch nicht ändern.
Und dann kommt der Kreis und setzt sich über den Flächennutzungsplan hinweg, und es ist dabei völlig egal, ob es sich um eine Windkraftanlage, einen „hübschen“ Turm aus Stahlrohren mit Mobilfunksendemasten, ein Futtersilo oder etwas anderes handelt.
Die AnwohnerInnen haben sich dort ein Grundstück gekauft, und, weil die örtlichen Gegebenheiten das rechtfertigen, einen bestimmten Preis dafür bezahlt, den sie nach dem Errichten der 200m hohen Windräder in wenigen hundert Meter Entfernung vermutlich nicht mehr erzielen werden.
Und dass dort im Laufe der Zeit einige wegziehen ist absehbar. Bei manchen sind es berufliche Gründe, das Ende einer Beziehung kann den Verkauf eines Hauses nach sich ziehen, oder das Erreichen eines bestimmten Altes, in dem man lieber eine kleine Wohnung hat als ein Haus, das man alleine bewohnt.
Wer will es ihnen verübeln, sich zur Wehr zu setzen?
Und sogar wir, die Grünen, sind dagegen.
Weil nämlich unser Ort eh schon zu wenig Waldflächen bietet und ein Fledermausort ist. Auch in diesem Waldstück.
Zudem hat der örtliche Jäger dort Schwarzstörche dokumentiert – und ein Rotmilanpaar lebt dort auch. Sofern deren Horst im Gefahrenbereich der Anlagen liegt: Adieu, Baugenehmigung.
Jetzt jammert die Firma, die die Windräder errichten will, natürlich. Verhinderungsversuche werden unterstellt, dabei sei doch alles rechtmäßig und die Genehmigung erteilt, alle Umweltgutachten sind eingeholt, der Drops ist gelutscht, deal with it.
Und unser Bürgermeister will sein inkonsequentes Verhalten rechtfertigen, indem er von Schadenersatzforderungen spricht, die die Stadt hätte zahlen müssen, wenn die Genehmigung nicht erteilt worden wäre.
Dabei sieht das ganze für einen Außenstehenden eher so aus:
Die Windradfirma weiß natürlich, dass die Mindestabstände sich 2019 gravierend erhöhen werden und gerade die letzte Chance besteht, so nah an geschlossener Bebauung noch eine Genehmigung zu bekommen.
Vielleicht war es ja so: Die für Windräder geeigneten Flächen mit weniger als 1.500m Abstand werden gesucht, die Grundeigentümer ermittelt und Pachtverträge ausgehandelt. Dann werden die Bauanträge gestellt. Alles still und heimlich, damit die Genehmigungen noch schnell durchrutschen.
Hätte die Windradfirma das gemacht, was im 21. Jahrhundert, im Zeitalter des Internet und der Sozialen Medien, angezeigt ist – nämlich die Karten auf den Tisch legen und informieren – hätte sich das Genehmigungsverfahren durch die Anfragen der Bürgerinnen und Bürger, durch politischen Druck verzögert.
Die heutigen Diskussionen hätte schon im Herbst 2018 gegeben und das Genehmigungsverfahren wäre so lange herausgezögert worden, dass die neuen Mindestabstände rechtskräftig sind und eine Baugenehmigung nicht mehr möglich ist.
Dabei hätte man so eine tolle Kampagne aufziehen können.
Vorst als Klimaort. Zwei Windräder, die den gesamten Strombedarf aller EinwohnerInnen vor Ort selber erzeugen.
Einbeziehung der örtlichen Umweltverbände und Parteien – dann hätte man schon letztes Jahr den Horst des Rotmilans suchen und die Standorte der Windräder damit abstimmen können.
Günstige Windstromlieferverträge für die betroffenen AnliegerInnen als Ausgleich für das Geflacker.
Förderung für den Bau eines neuen Vereinsheims am Sportplatz.
Tatsächlich hat die Firma eine Stiftung, die in anderen Orten die Stadtbücherei oder Schulen unterstützt hat. Hier aber nicht, obwohl man damit im Vorfeld viele Leute hätte überzeugen können, dass es schlechteres gibt als von der Terrasse aus auf Windräder zu schauen.
Aber das hat sie vergeigt.
So rettet man das Klima definitiv nicht.