Babyboomer – die in Deutschland in den Jahren 1955 – 1967 Geborenen – können ganz schön verlogen und selbstgerecht sein. Besonders, wenn es um ihre Verantwortung für den Zustand unserer Welt geht.

Und ich meine konkret: Das Klima.

Da sind die Fridays for Future-AktivistInnen, die uns (und damit meine ich ausdrücklich die Babyboomer, zu denen ich auch gehöre) den Marsch blasen. Weil wir seit der Schule wussten, dass all das aus fossilen Quellen in die Luft geblasene CO2 unser Klima kaputt macht.

Weil Atomkraft auch nicht besser ist, das sie Altlasten verursacht, die nicht nur nachfolgenden Generationen auf die Füße fallen werden, sondern nachfolgenden Kulturen.

Weil wir sehenden Auges in die Klimakatastrophe gerauscht sind.

Ja, sind, die Katastrophe ist gerade im Gange.

Und dann kommen nicht nur die üblichen Beleidigungen oder der Angriff auf Greta Thunberg, weil sie eine Erkrankung im Autismusspektrum hat.

Nein, jeder Depp fühlt sich berufen, zu sagen, dass entweder er (oder sie) nicht mit der Kritik gemeint sei oder die Kritik dumm ist.

Screenshot von Facebook

Einer davon ist Arno M. Er kopierte einen Text, der mir von anderen Babyboomern (und späteren Generationen) rund ein Dutzend mal mit der einen oder anderen Abwandlung auf die Pinnwand gespült wurde.

Arno, den ich nicht persönlich kenne und der auch Michael oder Tanja heißen könnte, ist hier nur ein Beispiel.

So wahr, was er schreibt.

Er hat ja so Recht.

Nicht.

Ich muss Euch enttäuschen, denn in meiner Jugend wurde nachhaltig gelebt

So fängt er seine Tirade an.

Strümpfe und Strumpfhosen wurden gestopft. An Pullover würden längere Bündchen gestrickt. Hosen wurden mit bunten Borten verlängert.

Ich finde es ehrlich gesagt auch unerträglich, dass die Bekleidungsindustrie heutzutage zu Billiglöhnen und in schlechter Qualität bei maximalen Profiten produziert. Gerade sind meine letzten MEXX-T-Shirts aus den 1990ern kaputt gegangen – Mottenfraß. Dumme Sache. Die T-Shirts, die ich seit 2010 gekauft habe, hatten keine annähernd so lange Lebensdauer.

Ihre Nähte verdrehten sich, sie wurden spröde und liefen ein.

Genauso Schuhe. In den 1990ern habe ich noch Schuhe reparieren lassen, mein ältestes Paar sind Wanderschuhe von BK, die ich 1992 gekauft habe. Alle Wanderschuhe, die ich mir nach 2000 gekauft habe, sind schon kaputt, obwohl ich meistens das Paar von BK trage.

Und wer ist Schuld daran? Die Kinder, die jetzt freitags für Nachhaltigkeit demonstrieren, weil Nachhaltigkeit den CO2-Ausstoß reduziert?

Nein. Der CEO von Nike beispielsweise, einem der größten Sportschuhhersteller, ist Mark Parker. Mark Parker ist 1955 geboren.

Mark Parker, CEO eines Sportartikelherstellers der strategisch auf schnelle Innovationszyklen setzt und für den die lange Haltbarkeit seiner Artikel gewinnschädigend ist, ist ein Babyboomer.

Ui!

Oder, Thema Textilien, ESPRIT. Während ich das hier schreibe, trage ich eine kurze Skaterhose von ESPRIT. Die um die Jahrtausendwende herum hergestellt wurde. Neuere Artikel von ESPRIT halten nach meiner Erfahrung nicht mehr annähernd so lange. CEO von ESPRIT ist Anders Kristiansen.

Anders Kristiansen ist 1967 geboren und – völlig überraschend – ein Babyboomer.

Dafür, dass man heute eben keinen Stopfpilz mehr im Nähkasten hat, sind eben genau wir Babyboomer verantwortlich. Und – Hand auf’s Herz: Wer hat heute noch einen Nähkasten und benutzt ihn, um kaputte Kleidung zu reparieren?

Arno M. schimpft weiter:

Zum Einkaufen und zur Schule musste ich mehrere Kilometer zu Fuß laufen, transportiert wurden die Einkäufe in einem Netz.

Wie heroisch.

Und etwas weiter unten, nach dem Sammeln von Altpapier und Altglas und anderem Recycling, greift er das Thema wieder auf:

Ich könnte noch mehr dieser Art der Nachhaltigkeit aufzählen, stattdessen muss man sich von Rotzlöffeln die sich mit dem SUV zur Schule kutschieren lassen, alleine wahrscheinlich einen 20 mal höheren Stromverbrauch haben als wir in unserer gesamten Jugend, sagen lassen, wir ruinieren ihr Leben.

Ja, das ist hart.

Zunächst mal: Die Kinder, die heute „im SUV zur Schule gefahren werden“, sind GrundschülerInnen. Die sind zwischen 6 und 11 Jahren, ihre Eltern meist um die 30 oder etwas älter.

Vor 30 Jahren, lieber Arno, warst Du 25.

Du stellst es so dar, als ob die Kinder sich das Gefahrenwerden aussuchen. Dabei ist es anders. Die meisten Kinder fahren auch heute noch mit dem Schulbus oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule.

Es gibt aber Eltern, die aus verschiedenen Gründen ihre Kinder fahren. Ja, oft auch, weil sie einmal damit angefangen haben, als das Kind morgens nicht in die Gänge kam, und es dann so geblieben ist. Aber die Entscheidung, wie das Kind zur Schule kommt, trifft am Ende nicht das Kind.

Die Entscheidung treffen die Eltern.

Die zu einem guten Teil geboren wurden, als Du ungefähr 25 warst.

Könnte es unter Umständen sein, dass Du Deinen Kindern nicht ausreichend vorgelebt hast, wie man so nachhaltig und resourcensparend lebt? Und die jetzt ihre Kinder in die Schule fahren?

Und das mit dem 20fachen Stromverbrauch: Mach Dich nicht lächerlich.

Das Umweltbundesamt hat da eine Statistik. In den Jahren von 1991 bis 2017 ist der Stromverbrauch der Privathaushalte um 10% gestiegen. Das ist der grüne Teil des Balkens in der Grafik.

Das Umweltbundesamt sagt zur Anzahl der Privathaushalte:

Die Zahl der Haushalte stieg zwischen den Jahren 2000 und 2017 um 9,5 Prozent (%) auf 41,3 Millionen (Mio.), wobei die mittlere Haushaltsgröße auf 2,0 Personen pro Haushalt sank. Dies lag an der überproportionalen Zunahme der Ein- und Zwei-Personenhaushalte. 

Umweltbundesamt: Bevölkerungsentwicklung und Struktur privater Haushalte

Jeder Haushalt hat einen gewissen Grundverbrauch. Kühlschrank, Licht, Fernseher, Waschmaschine. Sowas. Steigt die Anzahl der Haushalte, steigt auch der Stromverbrauch. Ein Anstieg des Stromverbrauchs privater Haushalte von 10% von 1991 bis 2017 lässt bei einem gleichzeitigen Anwachsen der Haushalte um rund 10% keinen Spielraum für einen nennenswerten Mehrverbrauch der heutigen Jugend im Vergleich zu unserer Jugendzeit.

Ganz im Gegenteil! Die damalige Hauptstromfresser waren meine Stereoanlage und später der Fernseher. Die heutige Stereoanlage im Kinderzimmer ist ein Handy mit einem Bluetoothlautsprecher, die verbrauchen weniger Strom als das weiße Rauschen Deiner Stereoanlage damals. Der Fernseher, wenn das Kind einen hat, ist ein Flatscreen ohne Strom fressende Kathodenstrahlröhre.

Dann versteigt Arno sich vollends:

Auf Euren Demos lasst Ihr EUREN Müll von Euren erwachsenen Sklaven wegräumen und am nächsten Wochenende geht es zum nächsten Open Air Konzert zum Koma-Saufen, auch Euer Koma-Saufen gab es früher nicht.

Puh, Arno, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Hast Du zu viel auf rechten Hetzseiten gelesen? Wo zum Beispiel ein Foto vom Müll nach dem Aachener Karnevalszug gezeigt und behauptet wurde, das sei neulich nach der einer Fridays for Future Demo dort liegen geblieben?

DAS waren Fake-News. Und, übrigens: Der Präsident des Aachener Karnevalsvereins, der letztlich mitverantwortlich für den Dreck nach dem Zug ist, heißt Werner Pfeil, ist 1966 geboren und damit völlig überraschend Baby-Boomer.

Und klar. Koma-Saufen gab es zu unserer Zeit noch nicht.

Völlig klar.

Entweder hattest Du keine Jugend – oder zu viele Filmrisse.

Kategorien: Allgemein