Das Thema ist komplex und Politiker versuchen, es zu vereinfachen, einfach Lösungen sind aber meist falsch. Auch beim Nazi-Terroristen in Halle.
Man müsse „die Gamer“ stärker im Auge behalten, sagte unser Bundesinnenheimatminister.
„Die Gamer“. Also mich, einen Pokémon-Trainer im Level 34. Gibt es FarmVille eigentlich noch?
Was Seehofer meint liegt auf der Hand: Spiele, in denen man virtuelle Menschen tötet, bereiten auf Amokläufe vor. Dazu passen Studien, nach denen junge Menschen, die sowas spielen, tendenziell eher zu Gewalt neigen, als junge Menschen, die sowas nicht spielen.
Methodische Fehler winken bei diesen Studien geradezu mit Zaunpfählen: Niemand hat geguckt, ob junge Menschen, die tendenziell eher zu Gewalt neigen, vielleicht auch tendenziell eher Spiele spielen, die Gewalt darstellen. Könnte ja sein.
Auch Studien, nach denen SpielerInnen, die gerade einen Egoshooter gespielt haben, anders auf Gewaltdarstellungen reagieren, als vor dem Spiel, zeigen lediglich eine Korrelation zwischen Gewaltbereitschaft und Gewaltspielen. Eine Kausalität zwischen dem Spielen von Egoshootern und der Ausübung physischer Gewalt in der Realität haben die mir bekannten Studien entweder nie nachweisen wollen – oder sie versagten dabei.
Natürlich ist der Täter aus Halle nicht rechtsextrem geworden, weil er irgendwelche Spiele gespielt hat. Seine Mutter wird zitiert:
Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne, er hat was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?
SPIEGEL
Das ist natürlich ein typisches antisemitisches Narrativ, das auch die Querfront-Montagsdemos beherrscht (oder beherrscht hat – gibt es die Demos überhaupt noch?)
„Das Großkapital wird gehasst, weil es das Großkapital ist, und wir können ja nichts dafür, dass es sich dabei zufällig um Juden handelt. Wären es Inder oder Südamerikaner – wir hassten sie nicht weniger.“
Antisemitismus ist nun kein rechtes Phänomen. Dieselben gefährlichen Argumentationsketten sind auch links zu hören, wobei die Programmatik der NSDAP von „raffendem und schaffendem Kapital“ spricht, was inhaltlich auch in linken und pseudolinken Diskursen auftaucht.
Der Antisemitismus, der den Täter zuerst eine Synagoge anreifen ließ, ist also ursächlich auf eine Form des Kryptoantisemitismus, dem auch seine Mutter augenscheinlich anhängt, zurückzuführen.
Doch das hat ihn nicht radikalisiert und den Anschlag verüben lassen. Dazu brauchte es mehr, und da sind wir bei Onlinecommunities.
Durch die schon antisemitische Grundposition, die er einnahm, fand er Zugang zu entsprechenden Communites. Videos und Texten. Gleichgesinnten. Er fand die dortigen Meinungen plausibel und schien auch Kontakte zu haben – man redet derzeit von einer Person, die ihm finanzielle Zuwendungen gegeben haben soll.
Ein Teil dieser Communites sind: Gamer. Nicht „die Gamer“, die gibt es nicht. Es gibt aber Subkulturen innerhalb der Gamer, die misogyne, antisemitische, fremdenfeindliche, schlicht: rechte Narrative bis hin zu den wirrsten Verschwörungstheorien anhängen.
Ein Teil der Personen war bei Gamergate tatkräftig dabei (oder ist, ich habe das Gefühl, es läuft weiter).
Antisemitismus unter Gamern ist nicht neu. Erinnert Ihr Euch an die Sache mit PewDiePie? Das war die Spitze des Eisbergs, der, was breite Popularität angeht, Leuchtturm.
Taucht man etwas in die Verschwörungstheoretiker-Ecken ab, findet man nahtlose Übergänge und Überschneidungen mit Gamer-Subkulturen, die den Verschwörungstheorien anhängen, mit Preppern, Reichsbürgern, Sifftwitter und beispielsweise Nazis der Identitären Bewegung.
Insofern hat Bundesinnenminister Seehofer Recht. Versehentlich.
Wir müssen ein Auge auf die Subkulturen im Netz haben.
Genau dort werden die „Einzeltäter“ mit nationalsozialistischem Gedankengut und Verschwörungstheorien infiltriert und rekrutiert.