Jetzt ist sie also da, die Bonpflicht, und die ersten Bäcker haben haufenweise Kassenzettel gesammelt und dem Finanzamt in den Briefkasten gestopft oder ihre Kunden dazu aufgefordert, dies zu tun.

Und Schuld ist mal wieder die SPD, denn die haben Anteile an einem der größten Produzenten von Kassensystemen, der natürlich an den Thermopapierrollen für die Bons jetzt ordentlich verdient. Erzählt man überall.

Was totaler Unsinn ist, wie man hier bei Mimikama nachlesen kann. Dennoch wurde es unter anderem von einem CDU-Politiker verbreitet. Rechte Postillen und Hetzseiten wie Tichys Einblick beziehen sich trotz Widerlegung nach wie vor auf dieses Gerücht:

Quelle: Tichys Einblick, Artikel vom 25.12.2019 bewusst ohne Link.

Man regt sich kollektiv auf. Schließlich ist ganz Deutschland betroffen.

Wirklich ganz Deutschland? Nein, denn tatsächlich sind nur einige Branchen betroffen, die – mal wieder – eine Gesetzesänderung ausgessen haben, weil es ja am Ende dank Lobbyisten nie so kommt, wie vorgesehen.

Erinnern wir uns an den Dosenpfand. Also den zwangsweise erhobenen Pfand auf Einmalbehälter, in denen Erfischungsgetränke vertrieben werden. Der damalige CDU-Umweltminister Töpfer hatte nicht nur den Rhein durchschwommen zum Beweis, dass man das wieder überlebt, sondern nicht zuletzt wegen der Unmengen einfach in die Landschaft geworfener Bier- und Limodosen ein Gesetz erlassen.

Wenn die Hersteller bis zu einem Stichtag eine bestimmte Quote an Pfandflaschen unterschritten, träte eine Pfandpflicht für Einwegflaschen und -dosen in Kraft.

Das Gesetz dümpelte so vor sich hin und die Pfandquote sank tatsächlich, was einzig und alleine an Industrie und Handel lag. Dass „die Kunden lieber Einwegflaschen kaufen“ konnte nicht mit belastbaren Zahlen belegt werden. Tatsächlich will Coca Cola sich inzwischen sogar komplett aus dem Mehrwegsegment zurückziehen, was daran liegt, dass Mehrweg eine gewisse Infrastruktur erfordert, ohne die man seine Lieferketten leichter managen kann.

Doch zurück zum Zwangspfand. Eines Tages lief überraschend die gesetzliche Frist ab und man hoffte, weil man ja gar keine Pfandinfrastruktur für den Einwegkram hatte, die Frist noch zu verlängern, auszusetzen oder gar zu sabotieren. Bloß: Töpfers Nachfolger hieß Trittin und freute sich, dass das Gesetz gar nicht durch ihn erlassen worden war sondern sogar von der CDU stammte und setzte es durch.

Die Industrie jammerte und schimpfte, doch sie hätte ja selber mehrere Jahre lang die Wahl gehabt, entweder mehr Mehrwegflaschen anzubieten, oder eine Pfandinfrastruktur für Einwegbehälter zu schaffen. Wenn sie nichts davon tut, dann muss sie die Konsequenzen dafür selber tragen und verdient einfach kein Mitleid.

Oder nehmen wir das Verbot der Käfighaltung von Hühnern. Es gab bis zum Verbot eine genau definierte und ziemlich lange Frist bloß, dass an ihrem Ende nach wie vor nur Käfighaltung existierte. Genau, wie die Getränkeindustrie, hatten die Eierproduzenten noch nicht einmal angefangen, ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, trotz des immensen Vorlaufs!

Und jetzt das gleiche Spiel – mal wieder – mit den Kassenzetteln.

Was in der aufgeheizten Diskussion gerne übersehen wird: Das „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“, wie das Kassengesetz offiziell heißt, ist bereits Ende 2016 im Bundestag verabschiedet worden. Das heißt, seit mehr als drei Jahren weiß der Handel, dass die Bonpflicht auf ihn zukommt. Und genauso lange hätten sich die Unternehmen darauf vorbereiten können, die Folgen dieses Gesetzes im täglichen Geschäft zu minimieren.
[…]
Die Wahrheit ist: Viele Händler hatten bis zuletzt blauäugig darauf gehofft, dass es für sie eine Ausnahmeregelung von der Bonpflicht geben wird. Und nun stimmen sie in das allgemeine Lamento über die Zumutungen der Bonpflicht ein, um über ihre eigene Untätigkeit hinwegzutäuschen.

Handelsblatt

Ist es also gerechtfertigt, Kassenbons zu sammeln und sie dem Finanzamt, Frau Merkel, der SPD oder Olaf Scholz zuzuschicken? Nein, definitiv nicht.

Denn es gibt ja Alternativen. Die sind jetzt zwar nicht umgesetzt, aber man hätte in den letzten drei Jahren wenigstens anfangen können, Kassensysteme nachzufragen, bei denen Kunden ihre Zettel per QR-Code zur Verfügung gestellt kriegen und diese dann bei Bedarf mit dem Smartphone erfassen – oder halt nicht.

Wenn ich das nicht mache, wer ist dann Schuld? Klar, Angela Merkel. Die ist ja an allem Schuld.

Und auch das Umweltargument kann selbst ich als Grüner nicht so wirklich gelten lassen. Kassenzettel sind meist aus Thermopapier, das nicht ins Altpapier gehört. Aber sind die Kassenzettel von Apotheken, Bäckern und Imbisbuden, die jetzt alle zusätzlich ausgedruckt werden, wrklich so eine Katastrophe?

Wenn man sich mal umguckt: Supermärkte wie real, REWE, ALDI, Lidl und so weiter, deren umfangreichen Kassenzettel, oft mit Reklame am Ende oder einem zweiten Zettel mit einem PayBack-Rabatt-Barcode oder ähnlichem drauf, wurden schon immer grundsätzlich ausgedruckt.

Das gleiche gilt für Kaufhäuser oder Bekleidungsketten: Der Kassenzettel landet tatsächlich in der Einkaufstüte, vom Personal dort hineingetan.

Ich erinnere mich auch an eine Bäckerei, bei der schon vor Jahren die per se ausgedruckten Kassenzettel an die Tüte getackert wurden. Belastbare Zahlen, wieviele Kassenzettel 2020 mehr ausgedruckt werden als im Vorjahr, gibt es keine, aber gemessen an der Gesamtmenge werden die Bäckereien und Apotheken keine so große Menge erzeugen.

Und selbst wenn die zusätzlichen Bons eine Katastrophe wären – wer wäre verantwortlich dafür, dass sie jetzt ausgedruckt werden und eben kein QR-Code gescannt werden kann? Das Finanzamt? Oder die Branchen, die eine bekannte Frist ausgesessen haben?

Und – schauen wir mal über den Tellerrand bundesdeutscher Grenzen – schon in den 90ern war ich in Venedig irritiert, dass jede Eisdiele für zwei Kugeln im Hörnchen einen Beleg ausgibt. Den muss man als Kunde sogar annehmen und der Finanzpolizei auf Verlangen vorzeigen. Ähnliche Regelungen gelten meines Wissens in Österreich.

Dagegen ist die deutsche Regelung lächerlich locker.

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