Bildung ist ein Dauerthema. Digitale Bildung, also Digitalisierung in den Schulen, ein peinliches Dauerthema. Denn: Nichts passiert
Auch in meiner Heimatstadt Tönisvorst.
Wir haben zwei weiterführende Schulen. Das Michael-Ende-Gymnasium und die Rupert-Neudeck-Gesamtschule. Beide Gebäude sind um die 50 Jahre alt und in den letzten Jahrzehnten wurde dort immer wieder investiert – wenn es Fördermittel gab.
Das waren überwiegend viele Schein-Investitionen, denn sie dienten meist nur dem Gebäudeerhalt – und Gebäude müssen erhalten werden, um den Wertverlust zu mindern. Gebäudeerhaltung ist also keine neue Investition, sondern lediglich ein Schutz der früheren Investition, mit der man das Gebäude errichtet oder angeschafft hat.
Wir konnten vor einigen Monaten die Schulen besichtigen und der Zustand war erschreckend.
Da waren Heizungsrohre in Schaumgummi-Isolierungen, die in den Gängen unter der Decke entlang laufen. Die Isolierung reizte offenbar viele Jahrezehnte lang Schüler:innen dazu, sie zu beschädigen. Das sah weniger wie eine aktuell geöffnete Schule aus, eher wie ein Keller in einem heruntergekommenen Sozialwohnungsbau.
Ein Werkraum, durch dessen abgehängte Decke Abwasserrohre geführt sind. Zweimal kam es zu Wasserschäden, beim ersten Mal wurde der vom Wasser ruinierte Parkettboden durch Kautschuk ersetzt. Kautschuk nicht etwa, weil das der optimale Boden für einen Werkraum wäre, sondern weil gerade ein Restposten in entsprechender Menge verfügbar war – die Mittel sind halt begrenzt. Nach dem zweiten Wasserschaden war die Deckenverkleidung nicht mehr zu retten. Nun klafft ein mehrere Quadratmeter großes Loch in der Decke, durch das die fast 50 Jahren alten, unansehnlichen Rohre zu sehen sind.
Eine Reihe Klassenräume wird an der Seite zum Gang hin von Stahlwannen unter der Decke durchzogen. Stahlwannen, in denen man in technischen Betriebsräumen, Lagern und an anderen Stellen Kabel leitet. Die Wannen sind aber nicht einmal mit dem vorgesehenen Deckel verschlossen, weil es zu viele Leitungen dafür sind. Die quellen oben aus den Wannen heraus.
In einem Lehrerzimmer sind zwei Oberlichter die Hauptquelle für Tageslicht. Allerdings ist das Dach seit langem undicht. Immer wieder kam dort Wasser durch die Decke.
„Die Dachdecker finden die undichte Stelle am Dach nicht. Bei Starkregen, wenn die Gullis hochgedrückt werden, ist es trocken, nach zwei Tagen Nieselregen kommt Wasser rein.“ sagte uns der Leiter des Gebäudemanagements.
Weil über Jahre keine Mittel für eine komplette Dachsanierung da waren, wurden an der Decke des Lehrerzimmers Regenrinnen angebracht, um das eindringende Wasser in eine Wanne in der Ecke des Raumes zu leiten.
Für die nächsten Jahre sind daher Sanierungen geplant. Die muss man planen, denn Maßnahmen wie die komplette Erneuerung eines großen Flachdachs oder die energetische Ertüchtigung durch zeitgemäße Fenster und eine Dämmschicht kann schnell mal locker 9 Millionen Euro oder mehr kosten. Neue Heizungsanlagen kommen noch dazu.
„Danach sind die Schulen aber fit“, denkt man.
Und das ist falsch. In den letzten rund 50 Jahren haben sich pädagogische Konzepte grundlegend geändert. Schon ich hab in den 1980ern in der Schule immer wieder Gruppenarbeit gemacht, bei der Schüler:innen in Gruppen im Klassenraum verschiedene Themen erarbeitet haben.
Das war damals schon suboptimal, was man als Schüler:in aber nicht hinterfragt, weil, is halt so. Wer schonmal mit rund 30 Schüler:innen, die in ihren Gruppen diskutieren und arbeiten, gemeinsam in einem beengten Raum war, kann das bestätigen: Die Konzentration ist alleine durch den Lärmpegel im Eimer.
Daher war es schon damals so, dass wir in den Aufenthaltsraum der Oberstufe ausweichen sollten (blöde, wenn Schüler:innen sich dort gerade in einer Freistunde aufhalten, was ja der Sinn des Raumes ist) oder im Neubau der Schule in Abzweigungen des Ganges, in die Tische gestellt wurden.
Man hat also improvisiert, und das ist noch heute so. 40 Jahre später. Die Klassenräume in den beiden Schulen sind noch immer schlichte Klassenräume. Verbunden durch große Hallen, in denen hier und dort mal gespendete Sofas stehen, die ansonsten aber außer in Regenpausen ungenutzter Raum sind.
Dedizierte, geschützte Bereiche für Gruppenarbeit, die vom Lehrpersonal gut eingesehen werden können (Thema Aufsichtspflicht!) gibt es in keiner der beiden Schulen.
Und erst die Digitalisierung. Die geht nur mit Kabelkanälen auf dem Putz, was momentan noch reicht, weil wirklich digital nur die Beamer und die PCs der Lehrer:innen sind. Irgendwann wird es so sein, dass Schüler:innen ganz selbstverständlich Tablets oder Notebooks statt Heften und Arbeitsblättern haben. Wobei dieses „Irgendwann“ in anderen Ländern schon Alltag ist und unsere Schulen dank Corona diesbezüglich einen massiven Sprung nach vorne machen mussten. Das „Irgenwann“ wird bei uns, meiner Meinung nach, in spätestens 5, höchstens 10 Jahren sein.
Nicht nur, dass es ziemlich knifflig ist, die Endgeräte von rund 1000 Schüler:innen per WLAN so online zu bekommen, dass es keine Problemen gibt. Nein. Es wird auch Alltag sein, dass Notebook oder Tablet (oder wie die Endgeräte dann heißen mögen) einen leeren Akku haben. Man muss also am Platz in der Schule eine Stromversorgung vorhalten. Egal, ob dort eine Steckdose mit 230V oder irgendeine dann aktuelle USB-Norm oder gar induktives Laden implementiert sein werden – irgendwie muss der Strom zum Tisch kommen, und mit den gefühlt 4 Steckdosen pro Klassenraum kann man 30 Schuler:innen halt nicht versorgen.
Das geht nur durch den Boden. Da sich technische Spezifikationen in der digitalen Welt alle paar Jahre ändern, muss das flexibel sein. Es muss also möglich sein, die Leitungen ohne Aufstemmen des Bodens zu ersetzen. Kabeltrassen auf dem Fußboden scheiden aus, die werden schnell das Schicksal der eingangs beschriebenen Heizungsrohre teilen und durch Übermut oder Unvorsicht kaputt gehen.
Da bleibt nur ein Doppelboden, der aber schnell mal 30cm „aufträgt“. Rüstet man ihn nach, müssen alle Türen ersetzt werden (die hätten statt ca. 2m nur noch ca. 1,70m Durchgangshöhe) und auch die durch Arbeitsschutzrichtlinien lichte Höhe der Räume von ca. 3m wäre dann vermutlich nicht mehr gegeben. Reden wir also bitte nicht davon, dass man einen Doppelboden auch mit 10cm hinbekommt – selbst das wäre zu hoch.
Jetzt möchte die Ratsmehrheit daher neue Gebäude bauen. Ein wirklich großer Wurf: Ein neues Verwaltungsgebäude, eine Veranstaltungshalle, eine Dreifachturnhalle und zwei Schulen direkt nebeneinander. Mit Synergieeffekten, da die Schulen die Halle als Aula nutzen können, die Verwaltung dort Veranstaltungen durchführen kann und so weiter.
Die Verwaltung hat das durchgerechnet und eine Skizze vorgelegt, mit der sie zeigt, dass es räumlich passen kann und unter bestimmten Rahmenbedingungen finanzierbar ist.
Die CDU – zwar stärkste Fraktion aber nicht Teil der Mehrheit – ist dagegen. Es kostet zu viel. Nun, was Sparsamkeit angeht sehen wir ja, wohin das führt. Die Stadt würde sich unendlich verschulden – die Kämmerin rechnet allerdings vor, dass die Pro-Kopf-Verschuldung noch immer deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegen würde.
Der Stellvetretende Leiter des Gymnasiums hängt anscheinend an seinen Gebäuden und wettert gegen das Münchener Lernhausmodell, das die Verwaltung in der Skizze als Platzhalter für die Gebäude genutzt hat. Dort sind pro Schule drei Häuer mit je drei Etagen vorgesehen, je ein Gebäude für Unter-, Mittel- und Oberstufe. Allerdings – das sagen der Bürgermeister und der Leiter der Bauämter unisono – sei das nur ein Platzhalter, das pädagogische Konzept bestimmen alleine die Schulen.
Nein, sagt der stellvertretende Schulleiter trotzdem zum Neubau, das Münchener Modell sei völlig unmöglich und inkompatibel zur Aufteilung der Stufen im Gymnasium.
Was offenkundig irrelevant ist.
Er stellt eine Alternativplanung auf, bei er das Gymnasium an Ort und Stelle bleibt und saniert wird (aber halt auch eine 50 Jahre alte Schule bleibt), die Gesamtschule zieht in den geplanten Neubau.
Andere Bürger:innen schlagen etwas anders vor. Am Ort der alten Schulen soll auf dem Parkplatz der Neubau der Gesamtschule errichtet werden, das Gymnasium bleibt, wo es ist. Der Verantwortliche im Impressum der Webseite dieser Initiative wohnt – rein zufällig – nur einen Steinwurf vom Ort des geplanten Neubaus entfernt.
Die CDU wollte beiden Initiativen in einer Ratssitzung die Chance geben, ihre Ideen zu vorzustellen. Was die Mehrheit der Stadtverordneten nicht wollte. Längst war nämlich eine breite Bürger:innenbeteiligung geplant. Seit dieser Woche laufen Workshops mit bestimmten Zielgruppen (Schulen, Eltern, Sportvereinen, Kulturgruppen etc), um aus der Skizze der Verwaltung etwas zu machen, das für eine konkrete Planung genommen werden kann. Auch für die Diskussion der alternativen Vorschläge gibt es einen Workshop. Am Ende findet eine Büger:innenversammlung statt und die Entscheidung sollen auch die Bürger:innen in einem eigenen Verfahren treffen.
Die Kämmerin deutet zudem an, dass sie den Initiatoren der alternativen Vorschläge, wenn diese jetzt im Rat präsentiert würden, öffentlich und vor Publikum die Fehler in ihren Berechnungen zur Finanzierung erläutern müsse, was sie gerne vermeiden würde.
Die ersten Workshop sind gelaufen, auch die Workshops mit den Schulen, und die Rückmeldung der Moderatoren lesen sich in der Zeitung interessant:
Bei den Gymnasiasten sei erkennbar gewesen, dass sie eher am Gebäudebestand hängen und Mängel nicht so wahrnähmen. Bei den Gesamtschülern standen eher die Defizite des eigenen Gebäudes im Vordergrund und weniger die emotionale Bindung. „Das war schon erstaunlich“, konstatierte Sterl.
(Quelle: Westdeutsche Zeitung)
Montag hatte der stellvertetende Schulleiter auch die Chance, in der öffenltichen Fraktionssitzung der CDU seine Pläne vorzustellen. „Der stellvertretende Schulleiter des Michael-Ende-Gymnasiums […]
machte klar, dass er seit vierzehn Jahren einen Schulmangel verwalte […]“ wird er in der Westdeutschen Zeitung zitiert.
Dass er dem Mangel am effizientesten begegnen kann, wenn er mal einen Schritt zurück tritt und die Schule auf der Grünen Wiese (bzw auf dem ehemaligen Acker) neu denkt, scheint er nicht zu bemerken.
Inzwischen haben die Initiative und der stellvertretende Schulleiter eigene Webseiten für ihre Vorschläge aufgesetzt.
Ein stellvertretender Schulleiter als Akteur in einem politischen Entscheidungsprozess mit eigener Website? War da nicht irgendwas mit Neutralitätspflicht? Ich fragte das Schulministerium:
Es gehört zu den zentralen Aufgaben von Schulleitungen, die Schulgemeinde – also Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern und Familien – in die Schulentwicklung vor Ort miteinzubeziehen. Dies gilt sowohl für die innere Schulentwicklung als auch für die sogenannten äußeren Schulangelegenheiten, die etwa das Schulgebäude und den damit verbundenen Standort der Schule betreffen. Es ist zu begrüßen, wenn Schulleitungen die Schulentwicklungsprozesse vor Ort aktiv begleiten und die Schulgemeinde darüber unter Wahrung politischer Neutralität regelmäßig informieren. Eine Webseite, wie die von Ihnen benannte, kann hierzu ein geeignetes Mittel sein, insbesondere auch um Rückmeldungen in Form von Kommentaren aus der Schulgemeinde einzuholen.
Warum hapert es mit der Digitalisierung der Schulen bei uns eigentlich so?
Ich hab da eine Vermutung.