Manche Zahlen sind beängstigend:
2008 musste eine erneute Zunahme rechtsextremer Websites dokumentiert werden. Das Team kontrollierte im Jahresverlauf insgesamt 1.707 unterschiedliche Angebote (Vorjahr: 1.635) und registrierte mit mehr als 1.500 rechtsextremen Videos und Profilen in Sozialen Netzwerken und Videoplattformen doppelt so viele rechtsextremer Verstöße im Web 2.0 wie im Vorjahr.
(Quelle: Rechtsextremismus online, Jugendliche im Visier der Szene)
Wer mir auf Twitter folgt weiss vielleicht, dass ich regelmäßig mit dem Bistrowagen der Rheinbahn zwischen Krefeld und Düsseldorf pendle und die Gespräche anderer Fahrgäste teilweise amüsiert verfolge.
Auch dort konnte ich ein beängstigendes Gespräch zwischen zwei älteren Damen verfolgen. Nennen wir sie mal Agnes und Maria.
Agnes: „Wat machen eigentlich deine Blutwerte?“
Maria: „Wird immer schlimmer! Ich sach et dir! Von diesen… diesen… Zyten hab ich über Viereinhalb, aber Millionen! Und vor den Tabletten waren et nur Dreieinhalb! Et wird immer schlimmer!“
Agnes: „Du liebes Bisschen!“
Maria: „Und du glaubstesnicht, der Arzt versucht nur, mich zu beruhigen, und will die Tabletten jetzt absetzen und mir keine Medikamente mehr geben!“
Das Gespräch zeigt, dass es bei der Beurteilung von Zahlen auf zwei Dinge ankommt:
- Wissen, was die Zahlen bezeichnen (diese „Zyten“ können zum Beispiel Thrombozyten, Erythrozyten, Leukozyten sein) und
- Wissen, in welches Bezugssystem sie gesetzt werden.
Ich denke, dass Agnes Erythrozyten meinte, von denen Viereinhalb Millionen hat, und zwar pro Mikroliter Blut. Hätte sie zum Beispiel Viereinhalb Millionen Leukozyten pro Mikroliter, wäre das Blut Eiter, denn Frauen haben davon normalerweise nur 4000 bis 11000 pro Mikroliter Blut. Und Agnes‘ Erythrozyten sind genau so viele, wie sie sein sollen.
Sehen wir uns die Zahlen der Naziwebsites mal genauer an.
2008 musste eine erneute Zunahme rechtsextremer Websites dokumentiert werden. Das Team kontrollierte im Jahresverlauf insgesamt 1.707 unterschiedliche Angebote (Vorjahr: 1.635) […]
Wie wird „Website“ definiert? Domain? Unterdomain? Klassische Userwebsite in einem Unterverzeichnis eines Internet-Providers? Oder gar „HTML-Dokument“?
Es gibt eine bestimmte Anzahl von Domains, eine höhere Anzahl von Unterdomains und noch mehr Unterverzeichnisse oder gar HTML-Dokumente. Stand heute, 17.8.2009, 21:05, meldet denic.de 12.995.711 Domains mit „.de“ am Ende. Alleine heute wurden 3.963 neue (!) Domains registriert.
Da sind 1.707 „kontrollierte Websites“, also weniger als die Hälfte der heute neu registrierten Domains, kein Zeichen sonderlichen Fleisses.
[Das Team] registrierte mit mehr als 1.500 rechtsextremen Videos und Profilen in Sozialen Netzwerken und Videoplattformen doppelt so viele rechtsextremer Verstöße im Web 2.0 wie im Vorjahr.
Youtube schreibt im Mai 2009 in seinem Firmenblog, dass in jeder Minute Videos in einer Länge von insgesamt 20 Stunden (neu) hochgeladen weden. Youtube beschränkt Videos auf maximal 10 Minuten, daher entspricht diese pro Minute hochgeladene Menge wenigstens 120 Videos. Eher mehr. Aber nehmen wir mal die kleinere Zahl.
Die 1.500 rechtsextremen Einträge unterschiedlichster Art, die „das Team“ gefunden hat, entsprechen also der Anzahl von Videos, die alleine in Youtube alle 12 Minuten und 6 Sekunden hochgeladen werden.
Die Zahlen wirken also, wenn man sie in Relation zur Anzahl der Netzinhalte setzt, eher mickrig und beruhigend. Wenn man sich etwas umschaut und das Internet nicht nur ausdruckt bekommt man eher den Eindruck, dass der Bericht und die verwendete Methodik unzulänglich und nicht verlässlich ist. Denn – mit Verlaub – ich sehe Rechtsextremismus zwar nicht als schweres Problem im Internet, aber gemessen am Umfang des Netzes hätte ich deutlich mehr als 1.500 was-auch-immer-gezählt-wurde erwartet.
Zumal, wenn man bedenkt, dass das Internet ein Medium ist wie Zeitungen, Fernsehen und Radio. Nur, wie alle Medien, bestimmte Merkmale hat, durch die es zu anderen Nutzungen geeignet ist, als andere Medien. Und Fakt ist, dass alle Medien für die Verbreitung rechtsextremer Inhalte benutzt wurden und werden.
Insofern bringt der Kommentator „Nick Nollemeier“ bei Netzpolitik.Org es auf den Punkt:
Ja, das ist halt so. Nazis gehen auch auf’s Klo. Will man deshalb das Spülen verbieten? Oder das Nicht-Spülen?