Jetzt ist er freigesprochen, der Jörg Kachelmann.
Die breit diskutierte Frage lautet: Zu Recht? Ich denke, es gibt da nur eine Antwort: Ja. Zu Recht freigesprochen, weil es schon erhebliche Zweifel am Vorliegen einer Tat und damit seiner Täterschaft gibt.
Oft, wenn es um Vergewaltigungsdelike geht, stehen Aussage gegen Aussage und es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, professionell und mit Bedacht Beweise zu finden um die Aussage der einen oder anderen Seite als wahr darstellen zu können.
Im Fall Kachelmann haben die Staatsanwälte gewaltigen Bockmist gebaut. Und das völlig unabhängig davon, ob es eine Vergewaltigung gab oder nicht.
Die juristische Sicht hat Udo Vetter im Lawblog erläutert.
Die Staatsanwälte haben Bockmist gebaut, der dazu führte, dass sowohl das vermeintliche Opfer als auch der – so es eine Tat gab – mutmaßliche Täter geschädigt sind. Sie haben unkritisch die Geschichte des vermeintlichen Opfers geglaubt und nicht hinreichend auf Plausibilität geprüft. Der Tathergang war (grob gesagt) so, dass die beiden Streit hatten, der mutmaßliche Täter zu einem Küchenmesser griff, dieses dem vermeintlichen Opfer an den Hals hielt und sie vergewaltigte. Dabei entfernte er noch vorher den Tampon, den sie Trug, und warf diesen in den Mülleimer.
Hier wäre für die Staatsanwälte der richtige Zeitpunkt gewesen, die Erinnerungen des vermeintlichen Opfers zu hinterfragen, ist doch die Geschichte in ihrer Gänze nicht mehr so richtig plausibel. Auch, dass sich am Faden des Tampons, nicht aber am Messer DNA-Spuren von Kachelmann nachweisen ließen und der Gutachter ausschloss, dass Kachelmann sie vom Messer abgewischt hat, sollte nachdenklich machen.
Natürlich bringt man bei einem traumatischen Ereignis dieser Kategorie als Opfer viel durcheinander. Das hätten die Staatsanwälte berücksichtigen müssen. War der Ablauf wirklich so? Wurde das richtige Messer untersucht?
Oder die Frage, wieso eine erwachsene und intelligente Frau zehn Jahre eine Beziehung mit einem Prominenten hat, die sich immer nur in ihrer Wohnung und in ihrem Umfeld abspielte. Keine gemeinsamen Auftritte in der Öffentlichkeit, keine Besuche in seiner Wohnung, wenn ich mich recht erinnere, hatte er nichtmal eine Zahnbürste bei ihr.
Das ist in Deutschland die Aufgabe der Staatsanwaltschaft: Kritisch hinterfragen, was an den Fakten ungewöhnlich oder fragwürdig ist und versuchen, es zu klären.
Sicherlich ist hinterher alles erklärbar, aber Aufgabe des Staatsanwaltes ist, solche Fragen vorher zu stellen und die Umstände zu erklären, bevor die Verteidigung das fordert. Gerade, wenn Aussage gegen Aussage steht, ist es offensichtlich wichtig, dass die Aussagenden glaubwürdig sind und ihre Version nicht dem gerade wehenden Wind anpassen!
Udo Vetter schreibt:
Die traurigste Figur im Fall Kachelmann machten die emsigen Mannheimer Staatsanwälte. Sie sahen in Kachelmann von Anfang an den großen Fisch, der in der Provinz nur alle Jubeljahre anbeißt.
Ich muss ihm da widersprechen, es ging möglicherweise nicht um das Rampenllicht. Gisela Friedrichsen machten neulich im SPIEGEL schon auf eine andere Tatsache aufmerksam:
Es ist noch nicht lange her, dass Mannheimer Staatsanwälte gegen Harry Wörz, den die Justiz zwölf Jahre lang wegen einer Tat verfolgte, die er nicht begangen hatte, am Ende eines unsäglichen Wiederaufnahme-Marathons eine Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren forderten – obwohl jedermann im Saal wusste, dass dieser Angeklagte nicht der Täter war.
Auch im benannten Fall fragte man sich, welche Drogen die Staatsanwälte eigentlich nehmen, um die schreiend offensichtliche Wahrheit komplett ausblenden zu können. Es scheint dort in Mannheim System zu sein, nicht die Taten aufklären zu wollen (womit unser deutsches Rechtssystem die Staatsanwaltschaft, die „objektivste Behörde der Welt“, beauftragt), sondern es scheint drum zu gehen, die Prozesse nicht zu verlieren, und wenn doch, dann mit wehenden Fahnen und im lauten Proklamieren, dass ein Fehlurteil ergangen sei.
Zurück zu Kachelmann. Und von dort ins Jahr 1996. Ich habe diesen Fall schon an anderer Stelle hier im Blog angesprochen, es handelt sich um einen tragischen Fall aus der jüngeren Rechtsgeschichte, den Montessori-Prozess.
Ein Kinderpfleger (also “Kindergärtner”) eines Motessori-Kindergartens geriet in Verdacht, sich an den ihm anvertrauten Kindern vergriffen zu haben. Seine Kolleginnen und einschlägige Vereine “ermittelten” und am Ende gab es rund 50 Opfer und Aussagen, die vor Gericht schon durch den gesunden Menschenverstand widerlegt werden konnten.
Der Beschuldigte wurde freigesprochen, die Eltern der (vermeintlichen?) Opfer waren erschüttert. Auch dieser Fall wurde letztlich durch die Ermittler in den Sand gesetzt – durch suggestive Befragungen der Kinder.
Ob der anfängliche Verdacht gegen den Beschuldigten berechtigt war oder nicht wird sich nicht mehr klären lassen. Wenn also ein Pädophiler seit 1996 frei herumläuft ist das der Verdienst der Ermittler. Wenn er unschuldig war, dann ist es ebenfalls Verdienst der Staatsanwaltschaft, dass sein Leben ruiniert wurde. Immerhin war er nicht prominent und er hat heute einen anderen Beruf und einen anderen Wohnort.
Im Fall Kachelmann gab es zu Beginn ein vermeintliches Opfer und einen mutmaßlichen Täter.
Jetzt gibt es zwei echte Opfer: Einen Wettermoderator, dessen Sex- und Liebesleben öffentlich ausgewalzt wurde, und eine Journalistin, deren Berufs- und Privatleben durch den Prozess mit Gewissheit Schlagseite bekommt.
Und die Täter? Die sitzen in der Redaktion der BILD und der Staatsanwaltschaft Mannheim.
UPDATE: Das Urteil findet sich überraschend schnell im Internet. Das Gericht schreibt in der Urteilsbegründung:
Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin aber auch mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht geworden zu sein.
Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau X. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.Versuchen Sie, sich künftig weniger von Emotionen leiten zu lassen. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und Frau X. und führen Sie sich dann vor Augen, was beide möglicherweise durchlitten haben.
Nur dann haben Sie den Grundsatz „in dubio pro reo“ verstanden. Nur dann kennt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner.“
UPDATE 2: Twister hat in Telepolis sehr zutreffend reflektiert, warum die Äußerungen einiger „Schutz“organisationen zum Freispruch inakzeptabel und würdelos sind. Terre des Femmes und Der Weisse Ring befürchten, dass Frauen sich wegen des Freispruchs nicht mehr trauen würden, Vergewaltigungen zur Anzeige zu bringen:
Dies ist eine bestürzende Ansicht, denn sie bedeutet, dass nur um mögliche Anzeigen von Straftaten nicht zu verhindern, ruhig ein laut Gerichtsmeinung Unschuldiger verurteilt werden müsse. Damit wird die Frage, ob jemand unschuldig ist oder nicht, zur Frage, die bei Vergewaltigung nicht mehr gestellt werden müsste, lediglich die Auswirkungen eines Freispruchs auf das Anzeigeverhalten von Frauen seien zu prüfen und dementsprechend sei zu agieren.
Vielmehr meine ich, dass die Verantwortung für eventuell nicht erstattete Anzeigen gerade nicht beim Gericht liegt.
Sie liegt vielmehr bei den Medien, die Kachelmann von Anfang an „schuldig“ gesprochen haben und nicht nur die Widersprüche in den Opferaussagen und Gutachten ausblendeten, sondern sich auch sonst an jeden Strohhalm klammerten, um Kachelmann zu demontieren. Allen voran die BILD mit ihrer Gerichtsreporterin Alice Schwarzer.