Wenn die Polizei nichts macht ist das falsch, wenn sie etwas macht ist es aber auch wieder nicht richtig. Scheint es.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Schönes Sprichwort. Blöde, wenn die Späne dann Feuer fangen.

Wenn die Polizei Personen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden könnten, nach Erfahrungswerten aus einer Menschenmenge heraus sortiert, ist das zunächst normale Vorgehensweise und üblich.

Bei Demonstrationen werden Menschen herausgefiltert, die gegen das Vermummungsverbot verstoßen oder waffenähnliche Gegenstände dabei haben oder schon aggressiv eingestellt sind.

Bei Fußballspielen werden Menschen mit waffenähnlichen Gegenständen, bestimmten Erkennungsmerkmalen in ihrer Kleidung oder Aufmachung und Menschen, die schon aggressiv eingestellt oder angetrunken sind, herausgefiltert.

Bei Festen wie Karneval werden über die Maßen angetrunkene Menschen, Menschen mit aggressivem Habitus und Menschen mit Gegenständen, die als Waffen dienen können, herausgefiltert.

Im Polizeijargon werden Abkürzungen benutzt, um solche Personengruppen zu bezeichnen. Abkürzungen sind wichtig, um gerade per Funk schnell und gegenüber zufällig Mithörenden zumindest verschleiert zu kommunizieren. Daher gibt es viele offizielle Abkürzungen.

Eine halboffizielle ist „Nafri“. Nafri, so liest man, bezeichnet Menschen aus Nordafrika, die man an ihrem Aussehen als solche erkennen soll. Und weitgehend bekannt wurde sie, weil ein Tweet der Kölner Polizei den Begriff an Silvester publik machte.

Als interne Abkürzung NfD (Nur für Dienstgebrauch) könnte man damit eventuell leben. Aber so, öffentlich und in Social Media benutzt, die von der Verkürzung leben, ist die Bezeichnung ein kommunikativer Super-GAU.

Der Großteil der Täter vom letzten Silvester, die Frauen belästigt, begrapscht und bestohlen haben, kam aus Nordafrika. Es waren augenscheinlich Menschen, die zu uns gekommen sind, um durch die Behauptung, geflüchtet zu sein, Aufenthalt zu bekommen. Aus verschiedenen Gründen entwickelte sich aus der Kleinkriminellenszene mit Taschendieben, die ihre Opfer zuerst antanzten, um sie abzulenken, ein sexualisierter Mob von Halbstarken.

Dass Polizei und Justiz dies hätten verhindern können, wenn sie personell nicht seit den 90ern zusammengespart worden wären, ändert nichts daran, dass das Verhalten dieser Menschen und damit die Verantwortung für die Taten nur ihnen zuzuschreiben ist.

Derzeit scheint es nach den Presseberichten wohl bundesweit 1000-2000 derartige Personen zu geben. Diese nutzen die zwei Jahre, die man ein Asylverfahren strecken kann, um hier kriminell zu sein und Geld zu machen, bis sie abgeschoben werden. Warum sie sich letztes Jahr schwerpunktmäßig in Köln trafen und das wohl auch dieses Jahr versuchten? Keine Ahnung.

Bedenkt man, dass jedes Jahr wohl nur ein paar hundert Menschen aus diesem Grund nach Deutschland kommen, 2015 aber fast 900.000 Flüchtlinge, wird klar, dass sie zur zwangsläufigen Grauzone der Menschen gehören, die mit den „echten“ Flüchtlingen und Asylberechtigten halt mitschwimmen.

Mit ihnen muss der Rechtsstaat klar kommen. Wenn er das – wie letztes Silvester gezeigt – nicht schafft, darf man die Verantwortung für Kriminalität einzelner und das Versagen der staatlichen Strukturen nicht pauschal allen Geflüchteten in die Schuhe schieben.

Genauso muss der Rechtsstaat aber auch damit klar kommen, dass das Verhalten der Polizei als Teil des Staats stets hinterfragt wird. Eine rassistische Intention hinter dem Begriff Nafri und dem Einsatz an Silvester zu befürchten muss erlaubt sein. Wäre es nicht erlaubt, hätten wir einen totalitären Staat.

Diese meist polizeilich bekannten Intensivtäter als „Nafri“ zu bezeichen mag, wie gesagt, polizeiintern halbwegs ok sein, was aber voraussichtlich geklärt wird. Dringt die Bezeichnung nach draußen, kommt es fragwürdig an.

Wird da Racial Profiling gemacht – werden also Menschen auf Grund ihres ehtnischen Phänotyps aus einer Menschenmenge herausgepickt? Kurz gesagt: Werden Menschen alleine wegen ihrer Hautfarbe einer bösen Absicht verdächtigt? Amnesty International beurteilt es als eindeutigen Fall, ich bin mir da nicht so sicher, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt ein Urteil fällen kann, aber, nochmal deutlich gesagt: Die Frage muss man in einem Rechtsstaat stellen und eine Untersuchung und Aufklärung fordern dürfen, sonst wäre es kein Rechtsstaat.

Genau genommen ist es bei sachlicher Betrachtung gar nicht möglich, Nordafrikaner als eine Ethnie zu beschreiben. Vor rund 20 Jahren habe ich in Tunesien unter den Einheimischen von einer dunkelblonden Frau mit blauen Augen bis zu Schwarzen alle erdenklichen Phänotypen getroffen.

Unter „Nafri“ müsste jemand, der Nordafrika auch nur im Ansatz kennt, also alle Menschen verstehen, die nicht skandinavisch oder asiatisch anmuten. Ich wäre alleine vom Aussehen her bei Italienern oder Menschen vom Balkan schon unsicher.

Das bestätigt auch der in Marokko geborene Komiker Benaissa Lamroubal, der in der FAZ sagt:

Ich verstehe auch die Definition nicht: Woher will man denn auf den ersten Blick wissen, ob jemand aus Nordafrika, Brasilien oder dem Irak kommt? Ich selbst kann das optisch nicht immer unterscheiden.

Der EXPRESS hat nun interne Unterlagen erhalten, aus denen hervorgeht, wie der Begriff „Nafri“ polizeiintern definiert wird (wiedergegeben auch bei telepolis):

Phänomen Nordafrikaner (NAFRI)

  • Tatverdächtige sind Angehörige eines NAFRI-Staates (Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien)
  • Tatverdächtige sind meistens zwischen 15 und 25 Jahre alt (nach eigenen Angaben häufig minderjährig)
  • begangen werden insbesondere Raub-, Körperverletzungs-, BtM-, und Taschendiebstahlsdelikte (sogenanntes „Antanzen“)
  • Tatort meist belebte Innenstadtbereiche

Unter dem Stichwort „Besonderheiten/Eigensicherung“ werden Polizisten gewarnt:

„Die Klientel verhält sich äußerst aggressiv auch gegenüber einschreitenden Polizeibeamten und Mitarbeitern der Stadt (Jugendamt, Ausländeramt). Bewaffnungen (Klappmesser) werden regelmäßig festgestellt; häufig Widerstandshandlungen.“

Das sieht gleich wieder etwas anders aus: Es geht bei der Beschreibung nicht um den Phänotyp, sondern um den Herkunftsstaat. Syrien wird dazu gezählt, obwohl es geographisch zu Asien gehört. Die Staatsangehörigkeit als Kriterium ist nun ähnlich diskriminierend wie das Aussehen, steht aber nicht auf die Stirn geschrieben. Pro Forma ist das kein Racial Profiling (wenngleich natürlich am Ende Vorurteile der Beamten über das Aussehen von Menschen der beschriebenen Nationalitäten ausschlaggebend sein wird).

Zugleich ist die Gruppe der Verdächtigen aber auf junge Männer eingeschränkt und ein weiteres  Merkmal ist das aggressive Verhalten – siehe auch oben. Hier ist also, wenn man guten Willen bei der Interpretation hat, eine Gruppe potenzieller Störer recht präzise beschrieben.

Genau das liest sich auch aus Aussagen des Kölner Polizeipräsidenten heraus. Der bestätigte Volker Beck beispielsweise:

Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies bedauerte inzwischen, dass die Polizei in einem Tweet Nordafrikaner als „Nafris“ bezeichnet hat. Das ist gut so, denn dieser Begriff ist nicht akzeptabel. Er sagte mir auch, dass die Kontrollen grundsätzlich anlass- und verhaltensbezogen waren und nicht einfach an Äußerlichkeiten anknüpften.

In der WELT liest es sich so:

Entscheidend für Kontrollen und Platzverbote sei das individuelle Verhalten. Wer aggressiv gewesen sei, kam nicht auf den Platz zwischen Hauptbahnhof und Dom. Und „aggressives Verhalten“, sagt ein Sprecher der Kölner Polizei, „war für uns nicht bereits gegeben, wenn jemand grimmig schaute.“ Man habe sich auf Gruppen von jungen Männern konzentriert, aus denen heraus gepöbelt oder Beamte beschimpft worden seien. Viele der Männer seien betrunken gewesen.

Also waren die Menschen, die zur Personenkontrolle eingekesselt wurden, möglicherweise auffällige Gruppen mit aggressivem Grundverhalten, die der Bundespolizei aufgefallen waren? In dubio pro reo sollte hier bis zum Abschluss der Untersuchungen auch für die Polizei gelten, finde ich, wenngleich ich den „Kessel“ schon wegen des unvermeidlichen „Beifangs“, also Unbeteiligte, die festgehalten werden, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren, für ein verbreitetes, aber fehlerhaftes Verhalten der Einsatzkräfte halte.

So hielten sie etwa 1000 meist männliche Personen fest, von denen die Beamten annahmen, sie seien nordafrikanischer Herkunft. Menschen von erkennbar mitteleuropäischer Abstammung, darunter auch eine junge, blonde Frau, wurden von Beamten ausdrücklich gebeten, den Kessel zu verlassen. Die Festgehaltenen mussten sich bei einem Polizeiwagen anstellen und ausweisen, einige wurden auf die Wache gebracht.

Ja nu, eine blonde Frau fällt eben nicht in die Gruppe „sieht aus wie ein Nordafrikaner“, was Racial Profiling wäre, aber eben auch nicht in die Gruppe „Mann, 15-25, aggressives Verhalten“. Inwieweit die anderen Menschen von „erkennbar mitteleuropäischer Abstammung“ eben auch weiblich oder zu alt für die Zielgruppe waren, wird sich bei der Aufarbeitung des Einsatzes herausstellen.

Aber wenn sich bis auf mögliche Einzelfälle gar kein eindeutiges Racial Profiling hinter dem Begriff Nafri im Zusammenhang mit Silvester 2016/17 verbirgt – warum ist er dann so schlimm?

Hören wir nochmal Benaissa Lamroubal in der FAZ:

Es zeigt doch, wie sie uns sehen und behandeln. Wie gesagt, ich hätte kein Problem damit gehabt, wenn ich in Köln kontrolliert worden wäre. Wenn der Polizist am Funkgerät dann diesen „Arbeitsbegriff“ genutzt und gesagt hätte, „wir haben hier einen ,Nafri’“, dann hätte ich mich beleidigt gefühlt. […]

Der Begriff ist behaftet mit Straftaten. Keiner würde einen Diplomaten oder einen guten Fußballer „Nafri“ nennen.

[Update]

Sprachwissenschaftlich analysiert Anatol Stefanowitsch, warum das Wort – nicht nur außerhalb des polizeilichen Dienstgebrauchs – überaus subjektiv, pauschalisierend und rassistisch ist.

Das zweite allgemeine Problem an Kategorienbezeichnungen – vor allem solchen für Menschen – ist, dass sie sich leicht mit zusätzlichen Bedeutungskomponenten aufladen, die eigentlich kein Teil der Definition sind. Nehmen wir das Wort Blondine — es bedeutet eigentlich nur „Frau mit hellen Haaren“, aber anders als die beschreibende Phrase Frau mit hellen Haaren ist das Wort Blondine mit zusätzlichen Bedeutungen wie „dumm“, „attraktiv“, „gut im Bett“ usw. Und diese Bedeutungen sind, wie dieses Beispiel zeigt, häufig stereotypisierende und abwertende Zuschreibungen.

Kategorienbezeichnungen changieren damit ständig zwischen der Kernbedeutung und der durch zusätzliche Bedeutungen erweiterten Bedeutung. Bei der Bezeichnung Nafri war das in der Silvesternacht augenfällig. Obwohl der Begriff von der Polizei selbst geschaffen wurde und neben der Herkunft eine ganze Reihe weiterer Bedeutungskomponenten umfasst – etwa, dass es sich eben um Straftäter handeln muss – wird es von der Polizei ganz eindeutig auch als allgemeine Bezeichnung für Menschen aus den genannten Ländern (oder auch solche, die nur so aussehen, wie Menschen aus den genannten Ländern) verwendet.

Und weil es wenigstens außerhalb des internen Polizeigebrauchs genauso ist, prophezeihe ich dem Begriff im Jahr 2017 eine steile Karriere in Memen und anderer Propaganda der AfD und noch rechterer Gruppen. Mit scheinbarem Beleg, dass sogar die Polizei von Gutmenschen und ihrer Political Correctness arbeitsunfähig gemacht wird, weil man ihr nach Silvester untersagen will, Nafris zu kontrollieren.

Und weil „Nordafrikanische Intensivtäter“ zu einer begrifflichen Verknüpfung von „Nordafrikaner“ und „Intensivtäter“ führt, was unnötiges Wasser auf den Mühlen rassistischer Propaganda ist.

Der Tweet der Kölner Polizei war für Höcke und Petry ein Pass direkt vors gegnerische Tor.

Wetten?