Ursula von der Leyen steht unter Druck. Nicht wegen Mobbing, Sexismus und einem möglichen Nazinetzwerk in der Bundeswehr, sondern wegen ihrer Kritik daran. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Zu hart und pauschal sei ihre Kritik, zu planlos sie selber, zu sehr würde sich sich dadurch lediglich profilieren wollen, gar von der Flüchtlingskrise ablenken.
Ich war von 1985 bis 1988 Fernmeldeaufklärer. Zeitsoldat. Unteroffizierlaufbahn. In unserer Einheit in der Eifel waren wegen des intellektuell recht anspruchsvollen Auftrags, den wir hatten, überdurchschnittlich viele Abiturienten unter den Zeitsoldaten.
Unter den Wehrpflichtigen erst recht.
In der damals reinen Männergesellschaft – Frauen gab es nur in der Truppenküche und einzelnen Schreibstuben – von meist spätpubertären Männern ist das Vorhandensein von Sexismus schon per se anzunehmen und das völlig zu recht.
Mobbing gab es auch, wenngleich die damals aus Pioniereinheiten bekannten Vorfälle, in denen unbeliebte Kameraden beispielsweise in den Spind gepackt und die Treppe runter gestoßen wurden, nicht vorkamen. Aber Mobbing gab es, auch durch Vorgesetzte, gerade sogar durch Vorgesetzte in der Grundausbildung.
Die aktuell kritisierten Äußerungen von Ausbildern wie „Ihre Meinung interessiert mich einen Scheiss“ waren schon damals Alltag und hätten maximal für ein müdes Lächeln gesorgt.
Auch Rassismus, also tendenziell rechtsextremistische Aktionen, gab es. In unserer Einheit war ein aus Afrika stammender Wehrpflichtiger. Wenn ich mich richtig erinnere war er durch eine Auslandsadoption nach Deutschland gekommen und unterlag als Deutscher natürlich der Wehrpflicht.
Ein anderer Unteroffizier – eigentlich ein netter Kerl und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch Freund von mir – hatte sich auf ihn eingeschossen.
„Das passiert, wenn man bei einem Waldbrand zu langsam rennt!“ kommentierte er seine Hautfarbe.
Auf Kritik an seinen Sprüchen hin steigerte er sich: „Der soll sich nicht beschweren, er hätte sich ja schon längst schälen lassen können.“
Beschwerden gegen ihn brachten nichts. Korpsgeist auf der einen Seite, ein Nichternstnehmenwollen und Ausblenden rechter Tendenzen auf der anderen Seite ließen sie ins Leere laufen. Und das in einer Einheit, in der überdurchschnittlich viele Abiturienten und eher links orientierte Männer dienten.
Es hätte schon damals auffallen müssen.
Damals war die Bundeswehr eine Armee ungefähr aus der Mitte der Bevölkerung. Kaum einer der Wehrpflichtigen, die die untersten Dienstgrade (Mannschaftsdienstgrade) stellten, wäre ohne Wehrpflicht überhaupt auf die Idee gekommen, Soldat zu werden.
Grob ein Drittel der Unteroffiziere (das ist die unterste Führungsebene) wäre ebenso ohne Wehrpflicht nicht auf die Idee gekommen und nutzte die meist vier Jahre als Zeitsoldat, um Wartezeit fürs Studium anzusammeln oder nach der Schule die Berufsfindungsphase etwas auszudehnen. Man musste ja eh hin und dann konnte man auch dabei Geld über den Sold des Wehrpflichtigen hinaus vedienen.
Unser Partnerbattallion der US-Army, mit der wir gemeinsame Übungen machten, war ein Flugabwehrbattalion. Die US-Army war schon damals eine reine Berufsarmee und das dort dienende Personal bestand aus Menschen, die zum einen zur Armee hin gezogen waren, und denen zum anderen außerhalb der Halt fehlte oder überhaupt die realistische Chance, eine Arbeit zu finden.
Heute ist auch die Bundeswehr eine solche Berufsarmee. Wer sich nicht zur Armee hin gezogen fühlt oder dort bessere Karrierechancen als im Zivilleben erhofft, wird eher nicht Soldat werden. Und der Sold, den man bekommt, ist angesichts des Risikos, im Ausland wirklich vor der Mündung einer gegnerischen Waffe zu landen, lächerlich gering.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kommissköppe, die heute überhaupt noch Soldat werden, weniger Haltungsprobleme verursachen, als die wenigstens annähernd aus der Bevölkerung rekrutierte Wehrpflichtarmee der 1980er, ist nun eher gering. Ich fürchte, dass neben Franco A., der entwendeten Munition und dem zweiten rechtsextremen Soldaten in nächster Zeit noch mehr ans Licht kommt.
Wer das verkennt, der idealisiert den „Bürger in Uniform“, der so nie wirklich existiert hat und durch die Abschaffung der Wehrpflicht vollends ausgerottet wurde.
Offenlegung: Mein Vater war Berufssoldat und wurde als Oberstleutnant pensioniert. Ich war als letzter Dienstgrad Stabsunteroffizier.
[…] ist. Rückblickend bin ich mir sogar sehr sicher, dass auch ich Dreck am Stecken hab. Hey, ich war drei Jahre Zeitsoldat. Wenn Ihr mal echten Sexismus hören wollt, dann setzt Euch in den Aufenthaltsraum einer […]