Tempolimit ist Gängelung, Raserei dagegen Poesie. Frauenparkplätze sind eine Diskriminierung. Nazis raus auch. Der Hinweis auf Ärzte, die sich im 20. Jahrhundert als Werbeträger der Tabakindustrie missbrauchen bezahlen ließen lässt „106 Lungenärzte (die neulich die Grenzwerte für Schadstoffe anzweifelten) über die Klinge springen„. Jungs, geht’s noch?
Zugegeben: Die Welt hat sich geändert. Während vor 10 Jahren romantische Kommödien noch davon handeln durften, dass der verknallte Typ übergriffig Grenzen überschreitet, verursacht das heute bei vielen Zuschauern ein komisches Gefühl.
In den 90ern durften ältere Herren noch über das Dekolletée ihnen unbekannter Frauen, die ihre Enkelin sein konnten, Bemerkungen machen, und es gab keinen #aufschrei. Man durfte schnell fahren, Bier trinken, Fleisch essen, grillen. rülpsen.
Natürlich muss man beim Flirten aufpassen. Da schlummern viele, viele Fettnäpfchen. Aber dummes Angraben oder gar das Überrumpeln eines anderen Menschen aus einer Machtposition heraus war schon immer scheisse. Der Unterschied zu 1987 ist lediglich, dass wir es heute artikulieren. Nicht nur die Frauen.
Aber das scheint Eure fragile Männlichkeit zu verletzen.
Wie die von Joachim Steinhöfel. Die älteren unter Euch werden sich erinnern: Der Typ, der mal datenschutzrechtlich heikle Telefonbuch-CDs per Torpedo-Klage zeitlich beschränkt vermarkten konnte, der im Namen von D-Info alle Inhaber von Domains mit „d-“ vorne verklagte, der in den 90ern immer wieder als kerniger Kerl in Fernsehshows wie „Die Redaktion“ auftauchte.
Es irritiert ihn, dass hier ein junges Mädchen aufrüttelnde Reden hält und etwas ganz nachdrücklich fordert, was er in der Schule schon gehört hatte aber erfolgreich verdrängt. Wie kommt das?
Sind am Ende DIE GRÜNEN wieder Schuld?
Natürlich kann ein echter Mann, der in Call-In-Shows im Fernsehen bewusst das volle Ekelpaket gespielt hat, nicht an die Grünen denken, ohne sofort seinen Penis zu verlieren.
Die Grünen! Die wollen doch einen Veggie-Day! Zwangsvegetarisierung! Oder, wie Akif Pirinçci, den er als Anwalt medienrechtlich vertritt, sagen würde: VERSCHWUCHTELUNG!
Ich fühle mit Euch. Nicht, weil ich selber Angst um meinen Penis hätte. Nein, weil ich – obwohl ein Mann – doch empathisch bin.
Ich fühle mit Euch, wie es Euch vom Thron stürzt, nicht mehr rasen zu dürfen – in den 1980ern hielt man Geschwindigkeitslimits auf der Autobahn noch für widernatürlich! Natürlich ist es poetisch, mit 250 über die Autobahn zu heizen. Bei einem Anhalteweg von 390m.
Übrigens, lieber Ulf Poschardt, Sie dürfen nur so schnell fahren, dass Sie das Fahrzeug innerhalb der überschaubaren Strecke zum Stehen bringen können. 390m sind ein ganz schon langes Stück, spontan wüsste ich außer auf der A3 kaum Strecken, die so weit ohne Kurve einsehbar sind, und auch da kommt ein Hügel nach dem anderen, der die Sichtweite einschränkt.
Wie Sie sehen haben wir also bereits eine de-facto-Geschwindigkeitsbegrenzung, das ignorieren PS-Bratzen nur und gefährden damit andere.
Und seit die Karrikaturen von Frauen, die von ihren Männern auf allen Vieren auf dem Frauenparkplatz deponiert wurden (Knallerwitz! Schenkelklopfer! Die 80er haben angerufen und wollen ihren Humor wieder haben!), nicht mehr politisch korrekt sind, können diese Sonderparkregelungen auch weg. Ein großer Triumpf! Ha! Die Schilder, die da im Öffentlichen Raum benutzt werden, sind illegal! Die sind in der Anlage 2 der Straßenverkehrsordnung nicht aufgeführt, also LÜGENSCHILDER!
Ich hab da zwei schlechte Nachrichten.
Die erste: Die Anlage 2 der StVO ist nicht in Stein gemeißelt, da ändert sich dauernd was, und ich tippe drauf, dass noch vor der Bundestagswahl entsprechende Schilder für Frauenparkplätze darin aufgeführt werden.
Die zweite: Die meisten Frauenparkplätze sind eben nicht in Öffentlichem Raum ausgewiesen, sondern in Parkhäusern und auf zwar öffentlich zugänglichen, aber privaten Parkplätzen vor Supermärkten. Überall dort gilt die StVO nicht, sondern die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Eigentümer. Und einige haben darin schon Vertragsstrafen für das Blockieren solcher Parkplätze definiert.
Zudem: Auf dem Parkplatz in Eichstätt wurden die Schilder angebracht, nachdem dort eine Frau vergewaltigt wurde. Aber klar, dass Ihr keinen mehr hoch bekommt, wenn Frauen wegen ihres um ein vielfach höheren Risikos, überfallen, beraubt und vergewaltigt zu werden, einen Schutzraum bekommen.
Da muss man dann natürlich was gegen machen.
Und wisst Ihr, was Ihr dagegen machen könnt?
Lernt, damit klar zu kommen. Punkt.
Es gibt die Ehe für Alle, und die führt nicht zu Inzest und Polygamie. Niemand denkt sich „Ich bin ein Mann, jetzt dürfte ich einen anderen Mann heiraten, geil, ich werde schwul und mach das!“. Die Ehepaare, die nicht aus einem Mann und einer Frau bestehen, sind nach wie vor in Zweierbeziehungen und wären auch ohne die Möglichkeit, zu heiraten, ein Paar.
Und jetzt kommt nicht mit Gott, Natur und anderem Schmonzes.
Genau so, wie es schwule Geier gibt, gibt es auch schwule Menschen.
Und ja, es gibt zwei Geschlechtschromosomen. X und Y. Wer die Kombination XX hat ist eine Frau, wer die Kombination XY hat ein Mann. Alles dazwischen ist mal wieder „widernatürlich“.
Denkt Ihr.
Die Evolution lebt aber von Zufällen und auch formellen Defekten. Trisomien, also das Vorkommen von drei Chromosomen statt zweier, gibt es auch beim Geschlechtschromosom. Welchem Geschlecht entsprechen da die Kombinationen XXX, XXY und XYY? Sind die Menschen, die so zur Welt kommen, auch widernatürlich?
XXY-Menschen haben meist das Klinefelter-Syndrom, sind also zwar männlich, aber mit „weichen“ Körpermerkmalen. Es gibt unter ihnen aber auch Geschlechtervarianten, die physisch als Frau erscheinen oder sich selber als Frau empfinden.
Und auch „XX = Frau, XY = Mann“ ist so nicht richtig. Es gibt auch XY-Frauen.
Und das sind nur die Abweichungen der Geschlechteridentität von dem, was die Gesellschaft noch vor 30 Jahren für „normal“ hielt, was schon genetisch erklärbar ist. Dazu kommen noch haufenweise andere Formen.
Die Geschlechtsidentität ist bei jedem anders. Niemand ist 100% Mann oder 100% Frau. Manche fühlen sich auch keinem Geschlecht zugehörig. Die Griechen waren schon lange vor der Geburt Christus‘ weiter als Ihr. Die kannten die Zwischengeschlechtlichkeit von zum Beispiel bei Hermaphroditos oder anderen „Zwitterwesen“.
Es ist also nicht skandalös, sondern einfach fair und anständig, diesen Menschen nicht bei jeder erdenklichen Gelegenheit aufs Butterbrot zu schmieren, dass jenseits von „Mann“ und „Frau“ nichts existiert und man sich dem unterzuordnen hat, indem man sich für eines von beiden gefälligst entscheidet.
Was ihr da macht, dieses Rumgeheule, das hilflose Dissen anderer aus reiner Beisswut, ist furchtbar, unmännlich, unappetitlich.
Also kommt damit klar, wenn Ihr Männer sein wollt.
Oder leidet gefälligst leiser.
Der Text hier ist e x a k t das Gleiche, wie das, was Steinhoefel so treibt, nur von der anderen Seite her. Lesen sie doch mal „Die Gesellschaft der Singularitäten“, da wir dieses Phänomen sehr anschaulich beschrieben. Aber ganz ehrlich: Sowohl bei Steinhoefel als auch bei ihnen habe ich wenig Hoffnung auf Besserung.
Wenn Steinhöfel als Medienmensch auf Entzug sein Standardfeindbild (und das seiner Mandanten) nimmt und damit eine 16jährige disst, ist das also exakt das gleiche, als wenn ein 53jähriger ihn disst?
Genau diese Auffassung ist der Grund, aus dem er im Artikel erwähnt wurde.
Hast du gerade sämtliche News aus Umweltschutz, Menschenrechte, Gesundheit, Verkehr und Biologie der letzten 30 Tage zu einer patriarchalen Verschwörung verquirlt, nur um deinen Männerhass ins Internet kippen zu können? 🙂 Auf Twitter geht das einfacher! Und kürzer!
Eine Verschwörung wäre es, wenn diese Kastrationsphobiker sich zusammenschlössen. So sind da einfach ein Haufen alter, weißer, privilegierter, aber leider total unreflektierter Männer, die mit den Freiheiten für Minderheiten der letzten 25 Jahre nicht klar kommen.
Check your privileges, sagt man da auch.