Die Krawalle in Stuttgart waren inakzeptabel und alle, die dabei zu Tätern wurden, müssen betraft werden. Das ist Konsens in Deutschland. Keinen Konsens gibt es darüber, ob als Ursache für die Krawalle auch spezifische Besonderheiten bestimmter Personengruppen gelten kann.
Zunächst mal neigen wir alle dazu, Superlative zu nutzen. Die Krawalle in Stuttgart waren eine „nie dagewesene Gewalt“, hieß es. Dass das so nicht stimmt (eher völlig im Gegenteil, auch bezogen auf Stuttgart selber) hat der Volksverpetzer mal zusammengefasst.
Ob und wie die Krawalle hätte verhindert werden können steht aber auf einem anderen Blatt. Deeskalation ist wichtig, aber manchmal klappt sie halte nicht. Man muss analysieren, welche Situation vorlag, was für Personen beteiligt waren, wie die Situation auf sie gewirkt hat und wie sie die Situation selber beeinflusst haben.
Bei der Ursachenforschung versucht man nun zunächst, die beteiligten Personen zu Beschreiben und Gemeinsamkeiten zu finden.
Alle beteiligten Personen (außerhalb der Polizei) waren junge Männer mit Alkohol und anderen Substanzen im Blut.
Junge Männer sind immer schnell ein Problem (sagt einer, der selber mal junger Mann war und sich noch erinnert). Schon die „Messermigranten“, die von der AfD und der BILD geradezu erfunden wurden, zeigen den falschen Focus der Wahrnehmung.
Messer waren schon immer ein Problem, wenn sie sich in den Händen junger Männer befanden. Auch der Polizeilichen Kriminalstatistik kann man entnehmen, dass junge Männer auffallend öfter als Tatverdächtige genannt werden, als beispielsweise Frauen jeglichen Alters oder Männer Mitte 50.
Bei der BILD kommt man zu einem anderen Ergebnis.
12 Ausländer, 9 Deutsche. Ach ja, und 3 Deutsche mit Migrationshintergrund.
Also sind die Deutschen in der Minderheit, weil 1/4 von ihnen Migrationshintergrund hat und deshalb gar keine „echten“ Deutschen sind.
Wann hat man einen Migrationshintegrund?
Wenn man nicht von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit hat?
Wenn man sie zwar hat, aber wenigstens einer der Elternteile nicht?
Wenn die Eltern sie zwar haben, aber wenigstens ein Großelternteil nicht?
Fragen über Fragen. Rechtlich gesehen und begründet aus unserer Geschichte, deren nationalistischer Rassismus einmal die ganze Welt in Brand gesetzt hat, gibt es nur eine Form der deutschen Staatsangehörigkeit, die man qua Geburt oder später durch Antrag erworben hat und die nur unter ganz engen Bedingungen entzogen werden kann.
Vor gut 5 Jahren schrieb ich schonmal darüber, dass auch ich – je nach Lesart – Migrantionshintergrund habe:
Ich bin kein Einzelfall. Wenn man in eigenen oder fremden Stammbäumen etwas zurückblättert, wird man bei einem großen Teil der Bevölkerung einen Migrationshintergrund finden.
Diese Beliebigkeit, mit der die BILD nun die Grenzen zieht, wer echter Deutscher ist und wer gefälligst nicht, ist widerlich. Sie widerspricht der Realität in unserem Land, der Realität, die seit Jahrhunderten existiert, viel länger als ein vereinigtes Deutschland.
Schauen wir uns mal die Verteilung des Nachnamens „Reichelt“ in Deutschland an. Die relative Verteilung der Namen (bezogen auf den Anteil der Einwohner innerhalb von Postleitzahlengebiete, die auf die ersten drei Ziffern reduziert sind) ist hier die deutlichste Form der Visualisierung:
Wir sehen eine deutliche Konzentration des Nachnamens südlich von Dresden im Bereich Pirna, Glashütte, Altenberg. Alles an der Grenze zu Tchechien.
Wie sieht es mit der Verteilung des Namens in Tchechien aus?
Auch hierzu gibt es eine Karte, die allerdings weniger detailliert ist als die von Deutschland:
Wir sehen, dass genau da im Norden von Tchechien Hotspots mit dem Namen „Reichelt“ existieren, alleine in Teplice (Teplitz), genau gegenüber Glashütte und Altenberg, gibt es den Namen 13mal.
Wie ist das nun mit BILD-Chefredakteur Julian Reichelt? Seit wie vielen Generationen ist sein Zweig der Reichelt-Familie „deutsch“? Ist er nun einer der „Deutschen mit Migrationshintergrund“, deren Delikte durch die BILD nicht Deutschen, sondern MigrantInnen zugerechnet werden, oder nicht?
Wir sehen, dass Namen, und mit ihnen Familien und deren Herkunft, maximal aus Regionen, nicht aus Staaten stammen. Den Regionen sind Staatsgrenzen relativ egal, da Grenzen sich im Laufe der Kriege, Regentschaften und diplomatischen Tätigkeiten immer wieder verschieben.
Wie auch immer die Antwort aussieht: Ob ein Mensch einen Migrationshintergrnd hat oder nicht ist willkürlich. Zumal in Deutschland, über das ich 2015 schrieb:
Die Geschichte des ach so gern herbei zitierten Deutschen Volkes ist eine Geschichte der Migration. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Ein Migrationshintergrund ist daher kein für irgendetwas geeignetes Unterscheidungsmerkmal, kein Makel, kein Stigma. Auch, wenn die BILD es sich wünscht, weil es die Welt scheinbar etwas einfacher macht und Rassismus scheinbar objektiviert.
Und weil es Menschen beleidigt und abwertet, die sich genau wie wir alle dafür engagieren, den Laden am Laufen zu halten: