Momentan haben wir eine Eskalation von Alltagsrassismus, der von links kommt.

Losgelöst vom aktuellen Fall will ich einen von 2019 exemplarisch erwähnen. Der hatte mich damals schon geärgert, ich hatte aber gerade keine Zeit.

Es geht um den Ankerherz-Verlag. Der wurde mir auf Facebook bekannt durch die markigen und herzlichen Texte von Käptn Schwandt, der ein bewegtes Leben hatte und oft den richtigen Ton zu aktuellen Ereignissen in der „Flüchtlingskrise“ fand.

Ich folgte dem Verlag auf Facebook weiter und ab und zu kamen auch, nachdem es Schwandt gesundheitlich nicht mehr gut genug ging, um zu schreiben, vernünftige Sachen.

Dann kam 2019 und das hier:

Der „Zwarte Piet“, der mit Sinterklass (St. Niklaus) duch die Städte zieht, ist schon länger in der Kritik. Es handelt sich um Blackfacing. Warum soll man Menschen mit albernen, verfremdenden Stereotypien (pechschwarze Haut, dicke, rote Lippen) verkleidet irgendwo in der Rolle eines Menschen mit Wurzeln in Afrika auftreten lassen, wenn es auch Menschen mit tatsächlichen Wurzeln in Afrika gibt, die diese Rollen spielen können?

Und – hier die eigentliche Frage – wieso soll man im Jahr 2019 eine solche Tradition unhinterfragt pflegen, die aus der Hochzeit der niederländischen Kolonialgeschichte stammt?

Der Ankerherz-Verlag postete daraufhin diesen Textschnipsel:

Wäre der Ankerherz-Verlag sorgfältig gewesen, hätte er den Wikipedia-Artikel weitergelesen. Da steht nämlich:

Niederländische Zeitungen berichteten 2018 von einer anhaltenden Polarisierung der Debatte, mit Demonstranten für oder gegen den traditionellen Zwarte Piet. Die Mehrheitsgesellschaft lehnt den Radikalismus der gewaltbereiten Zwarte-Piet-Anhänger ab und ist Veränderungen gegenüber aufgeschlossener geworden. Mittlerweile gibt es ein Nebeneinander von Pieten mit vollständiger Gesichtsbemalung und solchen, in deren Gesicht einzelne schwarze Striche vorkommen, die als Rußreste interpretiert werden können.

Wikipedia

Tatsächlich ist die Sache um einiges komplizierter als der kurze Textschnipsel vorgaukelt.

Dunkelhäutige Niederländer und Aktivisten hatten bereits 2011 gegen den Brauch demonstriert. Doch den größten Wirbel löste 2013 ein Uno-Menschenrechtsausschuss unter der Leitung der Jamaicanerin Verene Shepherd aus. Shepherd fühlte sich an die Zeiten der Sklaverei erinnert und forderte eine Abschaffung des „Blackfacing“-Festes. Unter Befürwortern des Schwarzen Peters brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los, es hagelte Kritik an den Rassismus-Vorwürfen, eine Gilde zur Beibehaltung der Tradition wurde gegründet. 2014 bezeichnete ein Amsterdamer Verwaltungsgericht die Figur als „negative Stereotypisierung des schwarzen Menschen“.

schreibt Migrations Geschichten im Jahr 2020.

Außerdem, so Migrations Geschichten, sei schon 2018 nur noch jede:r zweite Niederländer:in dafür, die Tradition fortzuführen, zumal es schon längst eine Version der Figur gibt, bei der diese nur noch Ruß an den Wangen hat, als wenn sie Geschenke durch den Kamin befördert hätte (was sie nach der Geschichte auch tut).

Die Reaktion des Ankerherz Verlages auf die Kritik 2019 war grundfalsch und ignorant. Auch, wenn früher mal, also 2009 ca. vermutlich, 92% der Niederländer:innen die Tradition incl. Blackfacing weiter praktizieren wollen, könnte man das mal reflektieren.

Dass nun möglicherweise ein großer Teil der 8% den die Tradition nicht mehr wollen, eben sehr, sehr viele Rassismusbetroffene sein könnten, wäre zumindest einen Gedanken wert.

Und als privilegierter, weißer, cis Mensch kann man einer von Rassismus betroffenen Person nicht ausreden, dass sie von Rassismus betroffen ist, weil man diese Erfahrung – verdammt nochmal – selber noch nicht gemacht haben kann.

Ich fand es schon damals schade, dass der Ankerherz-Verlag nicht so weit gedacht hat.

Aber es ging ja weiter, die Ignoranz hat also System:

Es ist – verdammt noch eins -irrelevant, wie die indigenen Völker in Nordamerika heute genannt werden, wenn die Bezeichnung mit dem I-Wort als rassistisch erfahren wurde. Genau das, was man u.a. dem Winnetou-Kinderbuch vorwirft.

Das wäre ja so, als ob man argumentiert, man könne schwarze Menschen durch das N-Wort nicht mehr rassistisch diskriminieren, weil man ja heute eben andere, weniger belastete Formulierungen benutzt, und Sinti:zze und Rom:nja sollen sich wegen des Z-Worts nicht mehr so anstellen, weil sie sie ja jetzt anders bezeichnet werden.

Diese Argumentation ist, ehrlich gesagt, komplett entgleist, verunglückt und liegt neben der Spur, lieber Stefan Krücken.

Schade.

Was würde wohl Käptn Schwandt dazu sagen?

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