Warum ist das Rechtsfreie Internet eigentlich dieses Jahr die Sommerlochfüllmasse?
2000 neue Beamte als Cybercops wünscht sich die Polizeigewerkschaft. Udo Vetter fragt zurecht, womit die denn den Tag verbringen sollen. Immerhin gibt es Internetwachen bundesweit, in Brandenburg, NRW und anderen Bundesländern. Dort können geschädigte oder besorgte BürgerInnen jederzeit Strafanzeigen erstatten, bequem per Browser.
Da ist nicht ganz ersichtlich, wieso noch Beamte auf „Streife“ surfen sollen.
Und, wie Udo Vetter auch schön beschreibt, greifen die Cops bei Straftaten, die per Internet begangen werden, rigoroser durch, als bei „realen“ Straftaten: Wohnungsdurchsuchungen, die nur am Ermittlungsrichter schreitern, weil jemand über den DSL-Anschluss der Familie unter falschem Namen etwas im Wert von 8,50 EUR erworben hat, sind da nicht selten. Von so akutem Personalmangel kann man da nicht viel sehen.
Oder, was mir auch schon passiert ist: Schnelle Ermittlungen gegen einen eBay-Betrüger, die am Ende nur deshalb nicht zur Anklage führten, weil gegen ihn schon wegen fahrlässiger Tötung eine Anklage lief. Vor diesem Hintergrund hätte ein Betrug wegen eines gebrauchten Handies weder die Strafe spürbar erhöht noch einen anderen Effekt gehabt, außer, dass die Verfahren sich womöglich gegenseitig zeitlich behindert hätten.
Und der Fahndungserfolg gegen den Kinderschänder (der sehr gut zeigt, dass das Internet weder rechtsfrei ist noch eine immer wieder zitierte Millionenindustrie damit beschäftigt ist, Kinder zu vergewaltigen und die Bilder davon zu veröffentlichen) wäre auch nicht möglich gewesen, wenn es zu wenige Polizisten „im Internet“ gäbe.
Da bringt es als Argument auch nichts, vom „größten Tatort der Welt“ zu sprechen – das Internet umfasst auf eine virtuelle Weise die ganze Welt und ist ein Abbild der Welt. Genausogut könnten Austronauten, die vom Mond aus auf die Erde blicken, diese als größten Tatort des Sonnensystems bezeichnen.
Natürlich ist es legitim, wenn die Polizeigewerkschaft mehr Polizisten fordert (nicht zuletzt um ihre Mitglieder zu entlasten und neue zu bekommen). Und im Sommerloch die eine große Schlagzeile rauszupicken, die allfällige Forderung damit begründen, und dann noch auf einem Wahlkampfthema mitzusurfen – das ist sicher marketingtechnisch nicht dumm. Allerdings widerlegen laut heise.de die Zahlen der Polizeistatistik die Notwendigkeit von 2000 zusätzlichen Polizisten.
Gegen Beleidigungen und Üble Nachrede und all solche Ehrendelikte braucht es im Internet auch gar keine Polizei, denn da hat sich schon eine Abmahninfrastruktur etabliert, die eine „Forenstreife“ durch Strafermittler überflüssig macht.
Ich hab hier im Blog auch einen Artikel, den ich Mitte der 1990er in der c’t veröffentlicht habe, und der einen inzwischen zur Legende avancierten Rechtsanwalt zum Thema hat. Seit ich eine neue Statistiksoftware einsetze fallen mir immer wiederkehrende Zugriffe auf exakt diesen Blogeintrag von einem Webserver aus auf.
Alle paar Stunden schaut der Server automatisiert auf den Beitrag.
Unter dem rund halben Dutzend möglichen Gründen dafür ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass im Auftrag des besagten Anwalts alle Foren- und Kommentarseiten, in denen es um ihn gehen könnte, auf üble Nachrede geprüft werden könnten. Der Bot schaut nach, ob ein neuer Kommentar gekommen ist, ein Mensch wird ggf. alarmiert, schaut rein, prüft den Inhalt. Wenn dieser ehrenrührig ist kriegt eine Anwaltskanzlei den Hinweis und mahnt ab. Bei redaktionellen Beiträgen hat er in den letzten Jahren alle Aussagen über ihn, die über seine reine Existenz hinausgehen, abmahnen oder per Einstweiliger Anordnung stoppen lassen.
Folglich kann, wer beleidigt wird und geistig in der Lage ist, dagegen rechtlich vorzugehen, jeder per Internetwache oder Abmahnanwalt die Zähne zeigen.
Trotzdem wünsche ich mir ein paar Tatbestände, die analog zur realen Welt im Internet geahndet werden müssen:
- Ruhestörung
Wer hat sich noch nicht aufgeregt, dass bei manchen Menschen die Shift-Taste klemmt? Die schreien in den Foren rum und scheren sich nen Dreck darum, ob uns armen Lesern die Augen flimmern. - Gefährliche Stoffe
Manche Menschen leiten mit einer gewissen Vorliebe gefährliche Stoffe ins Internet ein. Da wären zum Beispiel Schwafeldioxid und Hetzeditin, die tonnenweise verklappt werden.
Wer wünscht sich bei sowas nicht, einfach auf der Internetwache den Link einzuwerfen und ein flehentliches „tut doch was dagegen!“ zu hauchen – und am nächsten Morgen zu sehen, dass Cybercops tätig waren und das Netz wieder schön ist?
Aber andererseits – bei dem seit den Zeiten der Römer nachgewiesen verschobenen Augenmaß der Strafverfolger könnte der Schuss nach hinten losgehen:
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