Mit Richtern, die sich einmischen, bayerischen Prioritäten, Selbsterkenntnis und Migration.

Richter 1: Peter Vonnahme, ehemaliger Richter am Verwaltungsgerichtshof in München, seziert die Abschiebung von „Sami A“ juristisch. Und er spart nich tmit Klartext:

Die Verhaltensweise der Minister erinnert an einen trickreichen Vermieter, der am letzten Tag der Kündigungsfrist seinen Briefkasten verschließt, um seinem Mieter am nächsten Tag hämisch grinsend zu eröffnen, seine Kündigung sei unwirksam, weil sie nicht rechtzeitig eingegangen ist. Oder an einen Straßenhändler, der einem Kunden Blüten als Wechselgeld herausgibt, und beim nächsten Einkauf sagt, mit deinem Falschgeld kannst du bei mir nicht bezahlen.

Richter 2: Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle schilt Politiker wegen ihrer Wortwahl. Besonders die Asylrhetorik sei unsäglich:

Zum Begriff „Anti-Abschiebeindustrie“, den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit Blick auf Asylanwälte und Flüchtlingshelfer benutzt hatte, sagte Voßkuhle: „Wer rechtsstaatliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfen lassen.“

Bayerische Prioritäten: Ein Mann aus Dorfen im Landkreis Erding stellt sich mit einem handgeschriebenen Plakat neben eine AfD-Veranstaltung. Das darf er, Freiheit der Meinungsäußerung und so weiter. Dann stellt sich jemand daneben und redet mit ihm und – zack! – kommt die Polizei und löst die Versammlung der beiden auf. Und der Mann mit dem Plakat bekommt einen Bußgeldbescheid über 253€, weil er eine Versammlung nicht vorher bei der Polizei angezeigt hat.

Anders als in anderen Bundesländern ist in Bayern schon das Zusammenkommen von wenigstens zwei Personen, die sich „überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung“ konzentrieren, eine Versammlung bzw. Kundgebung. Die muss im Prinzip vorher angemeldet werden.

Im Prinzip weil es auch Spontandemos gibt, wenn sich aus der Sache heraus ungeplant Menschen zusammenfinden. Dazu sagt das Bayerische Versammlungsgesetz in §13 Absatz 4:

Die Anzeigepflicht entfällt, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung).

Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass der Mann mit dem Plakat durchaus als „Veranstalter“ einer Versammlung gilt. Dann könnte aber der Absatz 3 desselben Paragraphen Anwendung finden:

Entsteht der Anlass für eine geplante Versammlung kurzfristig (Eilversammlung), ist die Versammlung spätestens mit der Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde oder bei der Polizei anzuzeigen.

Was auch immer der Mann mit dem Schild geplant hatte, war keine Versammlung. Also erst recht keine geplante Versammlung.

Da alle Spontanversammlungen einen Kristallisationspunkt haben, um den sie sich bilden, und dieser Punkt oft eine Person ist, kann die Person, um die herum sich eine solche Versammlung bildet, nicht per se als Versammlungsleiter gelten. Irgendwer muss „Lasst uns dagegen Protestieren!“ rufen, irgendwer wird immer Sprechchöre anführen, alleine das macht aber keinen Veranstalter aus.

Also war es eine Spontanversammlung und das Ergebnis der Gerichtsverfahrens, das jetzt kommt, stünde außerhalb von Bayern fest.

Was ich – neben dem krampfhaften Versuch, Meinungsäußerung zu kriminalisieren, wenn sie gegen die AfD geht – noch bemerkenswert finde, ist die Aussage gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:

Gleichzeitig habe er erfahren, dass die Bamberger Justiz vier Neonazis wieder laufen lassen musste, „weil sich die zuständige Strafkammer wegen Arbeitsüberlastung nicht in der Lage sah, den Fall vor Gericht zu bringen“.

Migration: Der beste Artikel, den ich bisher überhaupt zum Thema gelesen habe, ist das Interview mit der Migrationsforscherin Naika Foroutan. Sie beklagt, dass Deutschland sich weg von einer Gesellschaft mit pluralistischem Selbstbild entwickelt und brutaler wird. Sie erklärt auch sehr deutlich, was daran falsch ist, wenn Nichtrechte die Argumente der Rechten aufgreifen, um „Menschen abzuholen“:

Ich würde Gauck nie in einer Linie mit Sarrazin beschreiben – sondern eher als jemanden, der auf die Inszenierungslogik der Rechten für Menschen, die nicht gehört werden, hereinfällt und versucht, sie abzuholen, indem er ihre als Angst getarnten Vergiftungen aufnimmt. Und damit sind nicht die Bürger gemeint, sondern die Argumente, die ins Feld geführt werden. Dass die Menschen nicht gehört werden, steht in keinem kausalen Zusammenhang zur Multikulturalität. Aber die wahllose Kombination jeglicher gesellschaftlicher Missstände mit Migration, kombiniert mit dem Vorwurf, das werde von naiven Gutmenschen geleugnet, erzeugt ein Klima der Distanzierung. Um sich nicht vorwerfen zu lassen, naiv zu sein, fangen viele Menschen plötzlich damit an, sich kritisch zu errungenen Werten zu stellen. Stück für Stück erodiert somit ein moralischer Grundkonsens.

Das alles erinnert an das Overton-Fenster, das letzte Woche Thema war.

Ansonsten ist es warm.

Und Ihr so?

 

Kategorien: Humor